„Nun auf ein paar Stunden kommt es doch nicht an! Man sieht schon, woher Gretchen ihre Ungeduld hat,“ sagte neckend Herr Reinwald, indem er fortging.
Gretchen kam wirklich erst spät am Nachmittag heim, und dann war ihr erstes Wort zur Mutter: „Ich bin dem Vater begegnet und soll dir sagen, er habe mir schon alles von dem Brief erzählt.“ Etwas enttäuscht fragte Frau Reinwald: „Nun, und was sagst du dazu?“ „Ach, so wichtig ist mir’s nicht, wie der Vater gemeint hat; wenn auch der Buchhändler die Biographie nicht schickt –“
„Was sprichst du denn von der Biographie, von der ist doch jetzt nicht die Rede!“
„Nicht? Der Vater hat mir doch von dem Buchhändlersbrief erzählt.“
Frau Reinwald sah Gretchen mit glückverheißendem Lächeln an: „Dann weißt du freilich noch nicht alles! Es hätte mich doch auch gewundert, wenn mir der Vater die schöne Neuigkeit weggenommen hätte, er hat mich nur wieder necken wollen. Gretchen, ich weiß dir etwas ganz anderes als Buchhändlersnachrichten, da nimm und lies den Brief von der Tante!“
Und nun las Gretchen, und Frau Reinwald verfolgte mit Genuß den Ausdruck auf ihren Zügen. Zuerst nur Neugierde, dann Staunen, Freude und das höchste Entzücken!
„Mutter!“ rief sie jetzt, „was hast du da wieder Herrliches ausgesonnen! Wenn Ruth dorthin darf, muß sie ja ganz aufleben, und wenn ich sie selbst hinbringen darf und mit für sie sorgen und mit Fräulein Trölopp zusammenleben und mir von ihr erzählen lassen, Rudi und Betty haben und auf dem Land, im Gebirg sein – kann so etwas wirklich wahr werden, ist’s nicht zu herrlich?“
„Warum soll’s nicht wahr werden?“ sagte Frau Reinwald. „Freilich, Forstrats haben noch keine Ahnung davon, und es wäre ja denkbar, daß sie nicht einwilligen.“
„Sie müssen, da hilft gar nichts, sie müssen! Mutter, wann kann ich hin? Heute abend noch?“
„Morgen, morgen.“
„O warum nicht gleich?“
„Es ist ja zu spät. Auf ein paar Stunden kommt’s doch nicht an, du darfst nicht so ungeduldig sein,“ mahnte Frau Reinwald, und Gretchen wußte nicht, warum sie dabei lächelte. „Ich möchte viel lieber mit Ruths Vater reden, als mit ihrer Mutter,“ sagte Gretchen, „aber ich kann doch nicht wieder auf seine Kanzlei.“ Dafür wußte Herr Reinwald Rat, als er nach jubelnder Begrüßung seitens seiner Tochter beim Abendessen saß. „Wenn du nicht wohl auf die Kanzlei kannst, so kann ich das doch tun,“ sagte er. „Der Forstrat war ja neulich auch so freundlich, dir an Stelle seiner Kleinen die Blumen zu bringen.“ Nun war Gretchen voll der besten Zuversicht. Wenn der Vater selbst die Sache in die Hand nahm, dann mußte sie ja gelingen!