Elise versprach, sich nun auch ernstlich an die Arbeit zu machen. Gretchen war sehr vergnügt darüber und fragte gleich am folgenden Tag, wieviel sie nun gelernt habe? Da stellte es sich heraus, daß Elise doch nicht dazu gekommen war. Jetzt war Gretchen entrüstet. „Wie kann denn das sein, daß man immer nicht zum Lernen kommt? Bei mir zu Hause ist das anders, da kommt man dazu. Komm mit mir heim nach der Schule, dann lernen wir zusammen!“ Elise machte allerlei Einwände, aber Gretchen gab nicht nach, Elise mußte mit ihr kommen, und nachdem sie erst einmal zusammen gelernt hatten, widerstrebte sie nicht mehr; sie kam öfter, und Gretchen hatte eine so rührende Freude an dem, was Elise zustande brachte, daß diese selbst allmählich der Sache nicht mehr so gleichgültig gegenüberstand. Es war Gretchen gelungen, ihr etwas von dem eigenen Eifer einzublasen.
Inzwischen war der Tag herangekommen, auf den die Taufe festgesetzt war. Auf zwei Uhr zum Kaffee, lautete die Einladung, denn später hatte der Hofkutscher Dienst. So saß Gretchen schon beim Mittagessen in ihrem schwarzen Konfirmationskleid dem Vater gegenüber.
„Sie sieht ganz würdig aus,“ sagte Herr Reinwald zu seiner Frau, „man merkt schon von ferne, daß sie Patin werden soll.“
„Weißt du, Vater, daß ich im Wagen abgeholt werde? Herr Bauer hat es angeboten und Lene hat gesagt: ‚Er weiß wohl, was sich schickt.‘ Ist das nicht nett?“
„Freilich; wer klug ist, wählt darum sein Patchen immer unter den Kutscherskindern.“
Kurz darauf saß Gretchen in dem Wagen, der vor dem Haus hielt, grüßte zu Franziska hinauf, die zum Fenster heruntersah, und der Gevatter kutschierte.
Gar sauber und freundlich hatte Lene ihre Stube zur Feier hergerichtet. Ein kleines Tischchen, weiß bedeckt, mit Blumenstöcken geschmückt, war zur Taufhandlung gerichtet, und nun kam auch schon der Kirchendiener und brachte das silberne Becken. Die drei Brüder sahen in ihren besten Gewändern ordentlich aus und waren in gehobener Stimmung. Der große Tisch in der Mitte des Zimmers war als Kaffeetisch gedeckt, und an der ganzen Art war wohl zu bemerken, daß die Hausfrau wußte, was guter Geschmack war. Und nun ging die Türe weit auf und der Hofkutscher Plitt in seiner scharlachroten, mit silbernen Tressen besetzten Livree trat ein, bescheiden hinter ihm seine einfach gekleidete Frau. Ehe sie noch die Anwesenden begrüßt hatten, kam schon Pfarrer Kern. Lene brachte ihren Täufling herein, der ruhig weiter schlief, und alle scharten sich um den kleinen Tisch, an dem der Geistliche stand.
Der Taufrede, die er nun hielt, war wohl anzumerken, daß der Pfarrer schon vorher gewußt hatte, wer anwesend sein würde, denn sie schien auf jedes einzelne Glied der kleinen Versammlung berechnet. Er sprach vom Vater des Kindchens, dem nach schweren Jahren neues Glück erblüht sei, von der Mutter, die schon in fremdem Dienst sich in treuer Fürsorge für die Tochter bewährt habe, die nun als junge Patin dem Kindchen all diese Liebe heimgeben wolle. Er wandte sich an die drei Brüder und sagte ihnen, das Schwesterchen werde ihrem Beispiel folgen; wenn es immer Liebes und Gutes von ihnen sähe, so würde es auch lieb und gut werden.