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Sechzehntes Kapitel. Wiege und Sarg.-1
日期:2024-11-12 16:11  点击:297
Heiß und staubig war es in den Straßen der Residenz, glühend brannte die Sonne auf die Mauern der Häuser. Die Schulkinder schlichen müde in ihre Schulen und waren träge bei der Arbeit. Auch im Institut bei Fräulein von Zimmern machte sich die Schlaffheit fühlbar, bei Lehrern und Lehrerinnen ließ die Frische nach. In der Klasse der Großen freute man sich nicht mehr an dem Sonnenschein, den man im Herbst, im Winter und Frühjahr so gerne zum Fenster hereingelassen hatte. Die Läden waren so weit geschlossen, daß kaum mehr die nötige Helligkeit hereindrang. Heute war Handarbeitsstunde. Das Nähen wollte nicht recht vorwärts gehen, die Finger waren feucht und die Nadeln rutschten nicht durch den Stoff. Aber Fräulein Weber wollte nicht nachgeben; ihr Ehrgeiz war, daß jede der Schülerinnen die zwei Nachtjacken, die sie unter ihrer Leitung angefangen hatte, bis Schluß des Schuljahrs vollenden sollte. Eine kleine Ausstellung der angefertigten Arbeiten war jedes Jahr das wichtigste Ereignis in dem Leben dieser Lehrerin, und zwar war es ihr Ehrgeiz, daß sich nicht nur einige Mädchen durch besonders hübsche Arbeiten hervortun sollten, sondern daß auch die weniger Begabten gute Leistungen aufzuweisen hätten.
 
Elise Schönlein war auch in diesem Fach die geringste Schülerin, denn es fehlte ihr an Fleiß und sie legte gern ein Viertelstündchen die Hände in den Schoß. Aber auch Gretchen war in dieser Hinsicht keine gute Schülerin, sie machte oft etwas Ungeschicktes.
 
Heute war wieder ein Unglückstag für sie. Sie hatte das oberste Knopfloch zu groß geschnitten und mußte wieder ein Stückchen davon zunähen. Daß sie nun zu viel zunähte und die Hälfte davon wieder auftrennen mußte, gab dem Knopfloch ein trübes, zerzaustes Aussehen, das auch nicht besser wurde, als Gretchen sich in den Finger stach und ein Tröpfchen Blut daraus floß. Fräulein Weber war ärgerlich und Gretchen unglücklich. Hermine tröstete sie freundlich: „Es ist ja die erste Nachtjacke,“ sagte sie, „die ist nicht so wichtig, wenn nur die zweite gut ausfällt, dann legst du bei der Ausstellung die schöne obenauf und niemand sieht die verunglückte.“
 
„Ich werde gar nicht fertig mit der zweiten bis zum Schulschluß, ihr seid fast alle weiter als ich.“
 
„Wir werden auch früher fertig als nötig, du wirst sehen, es reicht dir noch.“
 
Gretchen war froh, als die Stunde vorüber war, in der es ihr immer heißer wurde als in allen andern. Langsamer als sonst schlenderte sie heim durch die heißen Straßen. Als sie später als gewöhnlich nach Hause kam, sagte Franziska: „Es ist ein Mann im Besuchzimmer, es muß Sie auch angehen, er hat auch nach Ihnen gefragt.“
 
„Wie sieht er aus?“
 
„Groß und breit, ein Vierziger denke ich; schwarz gekleidet, fast wie ein Herr, aber doch kein Herr, meine ich.“
 
Als Gretchen ins Zimmer trat, erhob sich der Mann, der kein Herr war, und Gretchen sagte erstaunt: „Ach, Sie sind’s, Herr Bauer, wie geht es Lene und der Kleinen?“
 
„Ich danke für die Nachfrage,“ sagte der Kutscher, „es geht gottlob gut. Ich habe Ihrer Frau Mutter die Bitte vorgetragen, die ich und meine Frau haben, ob Sie nicht unserm kleinen Mädel zu Gevatter stehen wollten?“
 
„Die Mutter? Ach, wie nett!“ rief Gretchen. 

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