„Gut; sobald Sie mit den Kindern abgereist sind, zieht Ihre Tante herunter aus ihrer Verbannung; die zwei Kranken trage ich in Decken gehüllt herunter, das schadet ihnen nicht im geringsten. Ich helfe die Kranken pflegen und pflege zugleich das arme Frauchen, denn das kenne ich schon: die Kinder sind nach einem Vierteljahr wieder auf dem Damm, aber die Mütter, die bringt man schwer in die Höhe, wenn sie erst einmal recht drunten sind! Dem Dienstmädchen werde ich das Kochen für die Kranken abnehmen, denn es war die letzten Wochen überarbeitet, dann werden sie mürrisch und kündigen zur Unzeit; das können wir nicht brauchen. Und nun sagen Sie mir, welchen Beruf hat Ihr Onkel?“
„Er ist Künstler, Landschaftsmaler.“
„Künstler, so, nun ja. Sagen Sie ihm, daß ich keinen Anspruch auf Gehalt mache; ich bin froh, wenn ich nicht länger unnütz dasitze! So wäre die Sache besprochen, nicht wahr?“
„Ja,“ sagte Gretchen, „und mir käme es herrlich vor; aber bis morgen geht es doch wohl nimmer, ich muß erst an die Eltern schreiben, ob ich die Kleinen bringen darf.“
„Schreiben? Wie umständlich! Wir telephonieren und telegraphieren, und bis Abend ist alles im reinen. Ist das Ihres onkels Haus?“ fragte Fräulein Trölopp, als Gretchen stehen blieb.
„Ja, da wohnen wir, und wollen Sie nicht lieber gleich mit heraufkommen und den onkel selbst sprechen?“
„Bewahre, Kind, so geht das nicht; zuerst muß die Exzellenz, General X., noch wirken. Brächten Sie mich jetzt so unangemeldet vor Ihren Onkel, so würde er sagen: Was bringst du mir da für eine fremdländische Kröte ins Haus!“
„O nein!“ rief Gretchen, „Sie sind so gut, das merkt man gleich.“
„Also Kind, merken Sie wohl auf: Um zwölf Uhr trifft Ihr onkel General X., um zwei Uhr bin ich im ‚Europäischen Hof‘ zu sprechen, morgen früh um acht Uhr komme ich zu Ihnen. Auf Wiedersehen!“ Der gelbe Samthut verschwand.
Gretchen war wie in einem Traum, die schönsten Hoffnungen zogen durch ihr Gemüt. Doch noch zum heiligen Abend heimkommen, die zwei herzigen Kleinen mitnehmen, die Tante aufs beste versorgt wissen, den onkel mit „Susi“ vereinigt, Rieke entlastet, alles so herrlich, daß es kaum wahr werden konnte. Wenn onkel und Tante nur auch einwilligten, ihre abenteuerliche Reisebekanntschaft zu sich zu nehmen! Wenn diese nur nicht gar so wunderlich aussähe!
Herr van der Bolten war, seit er Oskar krank hinaufgetragen hatte, nicht wieder heruntergekommen. Er konnte sich nicht so schnell wieder von Frau und Kind trennen. Ungeduldig erwartete ihn Gretchen, und als sie ihn endlich herunterkommen hörte, nahm sie ihn gleich mit ihren Neuigkeiten in Beschlag: zuerst die Hiobspost, daß die Kinderfrau abgesagt habe, dann ihren Entschluß an die Eltern zu telegraphieren, die Begegnung mit Fräulein Trölopp und deren Vorschläge.
Gretchen vermutete, daß onkel und Tante sich ungern zur Aufnahme einer ihnen ganz fremden Dame entschließen würden und so sagte sie zu deren Gunsten, was sie nur irgend konnte. Herr van der Bolten unterbrach sie in ihrem Eifer: „Was braucht es da noch viel Worte und Überlegung, wenn du meinst, daß deine Eltern unsere Kleinen aufnehmen? Dein Fräulein nehme ich natürlich mit tausend Freuden an, damit Susi wieder herunterkommen kann.“
Gretchen war freudig überrascht. „So gehst du zu General X.?“ fragte sie. „Wozu soll ich erst noch zu dem General gehen? Wenn mir jemand sagt: ‚ich komme euch zur Hilfe, und noch dazu umsonst,‘ dann antworte ich: ‚je eher, je lieber.‘“ „Aber Onkel, eines muß ich dir doch sagen, Fräulein Trölopp sieht anders aus, als du sie dir vorstellst, sie ist gar nicht schön.“
„Ich muß sie ja nicht malen,“ war die heitere Antwort.