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Briefwechsel mit Goethes Mutter:Den 23. April 1807
日期:2024-08-30 16:53  点击:218
Ich lieg' schon eine Weile im Bett, und da treibt mich's heraus, daß ich Ihr alles schreib' von unserer Reise. – Ich hab' Ihr ja geschrieben, daß wir in männlicher Kleidung durch die Armeen passierten. Gleich vorm Tor ließ uns der Schwager aussteigen, er wollte sehen wie Kleidung uns stehe. Die Lulu sah sehr gut aus, denn sie ist prächtig gewachsen, und die Kleidung war sehr passend gemacht; mir war aber alles zu weit und zu lang, als ob ich's auf dem Grempelmarkt erkauft hätte. Der Schwager lachte über mich und sagte, ich sähe aus wie ein Savoyardenbube, ich könnte gute Dienste leisten. Der Kutscher hatte uns vom Weg abgefahren durch einen Wald, und wie ein Kreuzweg kam, da wußt' er nicht wohinaus; obschon es nur der Anfang war von der ganzen vier Wochen langen Reise, so hatt' ich doch Angst, wir könnten uns verirren und kämen dann zu spät nach Weimar; ich klettert' auf die höchste Tanne, und da sah ich bald, wo die Chaussee lag. Die ganze Reise hab' ich auf dem Bock gemacht; ich hatte eine Mütze auf von Fuchspelz, der Fuchsschwanz hing hinten herunter. Wenn wir auf die Station kamen, schirrte ich die Pferde ab und half auch wieder anspannen. Mit den Postillons sprach ich gebrochen Deutsch, als wenn ich ein Franzose wär'. Im Anfang war schön' Wetter, als wollt' es Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter; wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Menschenseele war des Wegs gefahren, der ganz weiß war; noch obendrein schien der Mond in dieses verödete Silberparadies, eine Totenstille – nur die Räder pfiffen von der Kälte. Ich saß auf dem Kutschersitz und hatte gar nicht kalt; die Winterkält' schlägt Funken aus mir; – wie's nah an die Mitternacht rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwager reichte mir ein Pistol aus dem Wagen und fragte, ob ich Mut habe loszuschießen, wenn die Spitzbuben kommen, ich sagte: »Ja.« Er sagte: »Schießen Sie nur nicht zu früh.« Die Lulu hatte große Angst im Wagen, ich aber unter freiem Himmel, mit der gespannten Pistole, den Säbel umgeschnallt, unzählige funkelnde Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Riesenschatten auf den breiten mondbeschienenen Weg warfen – das alles machte mich kühn auf meinem erhabenen Sitz. – Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in seinen Jugendjahren so begegnet hätte, ob das nicht einen poetischen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr vergessen. Jetzt mag er anders denken – er wird erhaben sein über einen magischen Eindruck; höhere Eigenschaften (wie soll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn behaupten. Wenn nicht Treue – ewige, an seine Schwelle gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in jener kalten hellen Winternacht gestimmt, in der ich keine Gelegenheit fand, mein Gewehr loszuschießen, erst wie der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubnis loszudrücken; der Wagen hielt, und ich lief in den Wald und schoß in die dichte Einsamkeit Ihrem Sohn zu Ehren mutig los, indessen war die Achse gebrochen; wir fällten einen Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und knebelten ihn mit Stricken fest; da fand denn mein Schwager, daß ich sehr anstellig war, und lobte mich. So ging's fort bis Magdeburg; präzis sieben Uhr abends wird die Festung gesperrt, wir kamen eine Minute nachher und mußten bis den andern Morgen um sieben halten; es war nicht sehr kalt, die beiden im Wagen schliefen. In der Nacht fing's an zu schneien, ich hatte den Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig sitzen auf meinem freien Sitz; am Morgen guckten sie aus dem Wagen, da hatte ich mich in einen Schneemann verwandelt, aber noch eh' sie recht erschrecken konnten, warf ich den Mantel ab, unter dem ich recht warm gesessen hatte. In Berlin war ich wie ein Blinder unter vielen Menschen, und auch geistesabwesend war ich, an nichts konnt' ich teilnehmen, ich sehnte mich nur immer nach dem Dunkel, um von nichts zerstreut zu sein, um an die Zukunft denken zu können, die so nah gerückt war. Ach, wie oft schlug es da Alarm! – plötzlich, unversehens, mitten in die stille Ruhe, ich wußte nicht von was. Schneller, als ich's denken konnte, hatte mich ein süßer Schrecken erfaßt. O Mutter, Mutter! denk' Sie an Ihren Sohn, wenn Sie wüßte, sie sollte ihn in kurzer Zeit sehen, sie wär' auch wie ein Blitzableiter, in den alle Gewitter einschlugen. – Wie wir nur noch wenig Meilen von Weimar waren, da sagte mein Schwager, er wünsche nicht den Umweg über Weimar zu machen und lieber eine andre Straße zu fahren. Ich schwieg stille, aber die Lulu litt es nicht; sie sagte: »Einmal wär' mir's versprochen und er müßte mir Wort halten.« – Ach Mutter! – das Schwert hing an einem Haar über meinem Haupt, aber ich kam glücklich drunter weg.
 
In Weimar kamen wir um zwölf Uhr an; wir aßen zu Mittag, ich aber nicht. Die beiden legten sich aufs Sofa und schliefen; drei Nächte hatten wir durchwacht. »Ich rate Ihnen«, sagte mein Schwager, »auch auszuruhen; der Goethe wird sich nicht viel draus machen, ob Sie zu ihm kommen oder nicht, und was Besondres wird auch nicht an ihm zu sehen sein.« Kann Sie denken, daß mir diese Rede allen Mut benahm? – Ach, ich wußte nicht, was ich tun sollte, ich war ganz allein in der fremden Stadt; ich hatte mich anders angekleidet; ich stand am Fenster und sah nach der Turmuhr, eben schlug es halb drei. – Es war mir auch so, als ob sich Goethe nichts draus machen werde, mich zu sehen; es fiel mir ein, daß ihn die Leute stolz nennen; ich drückte mein Herz fest zusammen, daß es nicht begehren solle; – auf einmal schlug es drei Uhr. Und da war's doch auch grad', als hätte er mich gerufen, ich lief hinunter nach dem Lohnbedienten, kein Wagen war da, eine Portechaise? Nein, sagt' ich, das ist eine Equipage fürs Lazarett. Wir gingen zu Fuß. Es war ein wahrer Schokoladenbrei auf der Straße, über den dicksten Morast mußte ich mich tragen lassen, und so kam ich zu Wieland, nicht zu Ihrem Sohn. Den Wieland hatte ich nie gesehen, ich tat, als sei ich eine alte Bekanntschaft von ihm, er besann sich hin und her und sagte: »Ja, ein lieber bekannter Engel sind Sie gewiß, aber ich kann mich nur nicht besinnen, wann und wo ich Sie gesehen habe.« Ich scherzte mit ihm und sagte: »Jetzt hab' ich's herausgekriegt, daß Sie von mir träumen, denn anderswo können Sie mich unmöglich gesehen haben.«Von ihm ließ ich mir ein Billett an Ihren Sohn geben, ich hab' es mir nachher mitgenommen und zum Andenken aufbewahrt; und hier schreib' ich's Ihr ab. »Bettina Brentano, Sophiens Schwester, Maximilians Tochter, Sophie La Rochens Enkelin wünscht Dich zu sehen, l. Br., und gibt vor, sie fürchte sich vor Dir, und ein Zettelchen, das ich ihr mitgebe, würde ein Talisman sein, der ihr Mut gäbe. Wiewohl ich ziemlich gewiß bin, daß sie nur ihren Spaß mit mir treibt, so muß ich doch tun, was sie haben will, und es soll mich wundern, wenn Dir's nicht ebenso wie mir geht.
 
Den 23. April 1807. W.«
 

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