Abenteuer der Nixe Undula mit dem Professor Theophilus Sutorius.
Es ist nun schon zwanzig Jahr her oder gar drüber, da saß ich eines Tages in dem Wipfel jenes Erlenbäumchens, das, wie Ihr sehn könnt, die Zweige zu einem förmlichen Sitz ausbreitet. Es war das meine liebste Zuflucht, wenn meine Freundinnen mich geärgert hatten; denn ich war damals noch sehr jung und durfte auf den großen Nixenbällen nicht tanzen, und da sahn sie mich zuweilen über die Achsel an und schimpften mich einen Backfisch. Darum zog ich mich, wenn wieder Ball war, in mein Schmollwinkelchen zurück, oben auf den Baum, und weinte.
Da saß ich also wieder einmal und weinte, und hatte meine langen Haare um mich gehüllt, daß sie fast bis auf den Boden herabreichten, als ich einen jungen Menschen daherkommen sah, das Ränzel auf dem Rücken und den Wanderstab in der Hand. Er sang:
Den Plato und den Cicero,
Die hab' ich wohl im Kopf;
Und doch sagt mir die Burschenschaft,
Ich sei ein dummer Tropf.
Das kommt daher, das kommt daher,
Daß ich nicht küssen kann.
Ach käm' ein einsam Dirnchen doch,
Die mir es zeigte an!
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Weiß Gott, sagte er, das ist ein wundervoller Platz zum Ruhen! Es macht doch herzlich müde, wenn man einmal die Nase in den Wald steckt. Aber schön ist er, und im Horaz und Virgil steht nichts davon. – Er hielt diesen Monolog lateinisch, was ich damals noch nicht verstand; aber weil er ausführlich Tagebuch führte über jedes Wort, was er gesprochen und gedacht hatte, und die guten Gedanken in ein besonderes Heft excerpirte, hat er mir's nachher zu lesen gegeben. Er schnallte nun sein Ränzel ab und war eben im Begriff sich ins Gras zu strecken, da sah er mein langes Haar herniederwehen. Ei der Tausend! rief er aus und weiter nichts, sondern stand mit offnem Munde da und hatte die blaue Kappe in der Hand, und mit der andern spielte er an den Schnüren seiner schwarzen Sammetpikesche. Ich sah nun eigentlich erst, daß er ein bildhübscher Mensch war; nur blaß war er, und wie er so mit offnem Mund und großen Augen dastand, sah er ein bischen dumm aus. Ich war damals ein muthwilliges Ding und rief ihm zu: Junger Herr, macht nur den Mund zu und setzt die Kappe auf, und wenn Ihr ein Stündchen Zeit habt, klettert herauf zu mir; da ist noch ein prächtiger Ast für Euch, wir wollen eins plaudern zusammen. – Er folgte etwas verlegen meinen Worten, kletterte unbeholfen hinauf, und saß mir stumm gegenüber, über und über roth vor Verlegenheit. Nun, sagte ich, Ihr seid mir ein schöner Held, fürchtet Euch vor einem armen jungen Nixchen, das sie Alle Backfisch[195] schimpfen! – Wie ich den Namen Nixe aussprach, sah er, gerade wie Ihr, Fedelint, ängstlich nach dem Saume meines Gewandes, ließ sich aber eben so geschwind von seinem Aberglauben heilen. Erzählt doch, fing ich wieder an, wer Ihr seid; glaubt, ich thue Euch nichts zu Leide! – und dabei mußt' ich die Augen senken, denn ich fühlte, daß er meinem unerfahrnen Herzen schon was zu Leide gethan hatte. – Aengstlich fing er an: Natus ego sum, Theophilus Sutorius – ach verzeiht, schönes Fräulein! unterbrach er sich, ich muß es auf Deutsch sagen; Ihr versteht ja kein Latein. Ich heiße Gottlieb Schuster, nenne mich Theophilus Sutorius, weil das anständiger ist, und bin Student im dritten Semester. Meine Kameraden nennen mich einen Philister, weil ich lieber hinter den Büchern, als hinterm Wirthstisch sitze, und lachen mich aus, daß ich nicht küssen kann. Ich sagte ihnen, ich wollt's ja herzlich gern lernen, wenn sie nur Einen wüßten, der darüber Vorlesungen hielte. Da wiesen sie mich zu verschiedenen alten Professoren; ich sollte sie bitten, mir ein privatissimum übers Küssen zu halten. Die aber schüttelten den Kopf und schickten mich zu ihren alten Haushälterinnen, bei denen könnt' ich's lernen. Aber die alten garstigen Fliegen wollten mich umarmen und sagten, als ich mich wehrte, das gehöre auch dazu, das wären die Elemente. Da lief ich fort, und wie ich auf die Kneipe kam und meinen Kameraden das erzählte, lachten sie mich ganz gewaltig aus und sagten, ich sollte in den Ferien eine[196] Reise ins Gebirg machen, und wenn ich an einer einsamen Stelle eine hübsche Dirne träfe, die sollte ich bitten, mir Unterricht im Küssen zu geben; sie würde es wohl ohne Honorar thun. Ja seht, schönes Fräulein, schloß er, da bin ich nun zu Euch gekommen. Wollt Ihr mich's lehren?
Jetzt war die Reihe an mir, zu erröthen; aber der arme Mensch dauerte mich, wie er mich so bittend ansah, und am Ende hätte er's von einer andern gelernt, und das war mir ein unausstehlicher Gedanke. Ich sagte also: Wenn's denn sein müßte, ja! aber so ganz ohne Honorar ging' es nicht; er müsse mir ein bischen Latein beibringen. Das war er denn auch zufrieden, und ich sagte ihm, er solle nur herabsteigen und mir die Hand reichen, daß ich bequem zur Erde käm'. Mit einem Sprung war er unten und stand und hielt die Arme ausgebreitet, freilich wie eine Gliederpuppe, aber er war doch gar zu schön! Ich flocht in der Eil meine Zöpfe auf und sprang vom Baum; ich weiß nicht, wie es zuging, daß ich gerade in seine Arme sank, und in der Bestürzung, wie ich so wankte, drückte ich meine Lippen auf seinen Mund, um mich an ihm zu halten. Ich fühlte, er wurde ganz verwirrt, sagte aber: Nicht wahr, ich kann's noch nicht, Fräulein? – Ach, antwortete ich ihm, Ihr seid nicht ohne Talent; ich hoffe, Ihr sollt es bald aus dem Grunde können. – Nun war's aber schon spät geworden und ich mußte fort. Lieber Theophilus Sutorius, sagt' ich, ich muß wahrhaftig fort und kann Euch nicht mitnehmen; Ihr möchtet mir[197] ertrinken, denn das Wasser ist Euch gar zu ungewohnt. Aber die Nächte sind jetzt mild genug; da könnt Ihr im Freien hausen, und wenn unten Alles schläft, komme ich zu Euch zum Unterricht und bringe Euch zu essen. – Indem hört' ich von unten rufen: Backfisch! Backfisch! Wellindchen! wo steckst du denn? – Also Wellindchen heißt Ihr, sagte er. Wißt Ihr was? Ihr sollt jetzt Undula getauft werden; das paßt besser in die lateinische Ode, die ich auf Euch machen will; und hört einmal, wenn Ihr mich anredet, müßt Ihr immer Theophile Sutori sagen; das ist der Vocativ, und sonst macht Ihr einen groben Schnitzer gegen die Zumpt'sche Grammatik. – Wie Ihr wollt, sagt' ich; doch nun lebt wohl! ich höre schon wieder nach mir rufen. In drei Stunden geht der Mond auf, da komm' ich zu Euch. Adieu! – Pros't! sagte Theophilus, und ich sah ihn am Ufer stehn und mir nachschaun, wie ich in die Tiefe niedertauchte.
Fedelint hatte der Nixe mit steigendem Erstaunen zugehört und ganz den Fischsalat und die Sardellenbrödchen vergessen. Theophilus Sutorius! rief er aus. Das ist ja der Professor der Philologie und Nixologie an unserer Universität, der das Buch »Ueber die Nichtexistenz der Fischschwänze bei der Gattung Nixa aquosa« geschrieben hat. – Ja, ja, derselbe! seufzte Undula, und all seine Weisheit hat er von mir, der Undankbare! Hört nur weiter. Ich kam also in der Nacht, als mein Vater und meine Freundinnen schliefen, wieder herauf und fand ihn,[198] wie er eben seine Ode auf mich fertig hatte. Ich verstand noch kein Sterbenswörtchen; aber es klang doch schön, wie er's so im Mondschein declamirte; wenn er nur nicht mit den Armen so steif in der Luft herumgefahren wäre! Da aß er nun erst, was ich ihm mitgebracht hatte, rein auf; damals erfuhr ich zuerst, was Studentenappetit ist. Dann fing er seine lateinische Stunde an, und da ich gut begriff, wie wir Nixen alle, kamen wir in der ersten Lection gleich bis amo. Das war ein passender Uebergang zu meinem Unterricht, und ich kann Euch versichern, Fedelint – und dabei sah sie erröthend auf ihre Perlenschnur – er machte eben so schnelle Fortschritte im Küssen, wie ich vorher im Lateinischen.
So hatte der gegenseitige Unterricht ungefähr einen Monat gedauert, und ich war es so gewohnt, in altgriechischem Gewande zu erscheinen, daß ich auch jetzt, wo gar Vieles anders geworden ist, mich nur so kleide, wie Ihr mich seht, lieber Fedelint. Da kam ich eines Abends herauf, und meine Augen glitten geschwind nach der Stelle, wo ich sonst den Freund immer fand; aber ach, sie war leer! Der Wind, der klagend in dem Erlenbaum flüsterte, wehte mir ein Blättchen Papier zu, darauf stand:
Vielgeliebte Undula,
Theuerste discipula!
Zeit ist's, daß ich dich verlass',
Nicht mehr hab' ich ferias.[199]
Doch zum Abschied drückte dir
Auf die linke Ecke hier
Seinen allerschönsten Kuß
Theophilus Sutorius.
Ihr könnt denken, Fedelint, wie sehr ich betrübt war; aber ich verzieh ihm, denn er hatte bei mir ausgelernt und hatte mich den Werth einer höheren wissenschaftlichen Ausbildung so hoch schätzen gelehrt, daß ich es ihm nicht verdenken konnte, wenn er Jemand suchte, der ihm über die neuesten Systeme der Kunst zu küssen Aufschluß geben könnte. Denn wir armen Geschöpfe leben gar zu einsam, um je andere Weisheit zu lernen, als die sich von Mutter zu Tochter fortpflanzt. Ich kehrte also traurig in die Tiefe zurück und lebte ganz im Andenken an den Verlornen; aber von der Zeit an ließ ich mich Undula nennen und trug griechische Kleider. Da erfuhr ich vor einigen Jahren, er habe ein Buch geschrieben, worin er unser ganzes Leben und Treiben klärlich schildert und alle Geheimnisse, die ich ihm anvertraut hatte, bekannt macht. Da verwandelte sich meine Liebe zu ihm in einen glühenden Haß. Zwar hat zum Glück noch kein Mensch an sein Buch geglaubt; es kam ihnen allzu wunderbar vor, wie wahr es auch ist. Aber die Treulosigkeit ist doch dieselbe. – Dabei vergoß Undula einige Thränen, die von den schönen Perlemuttermuscheln aufgefangen wurden, und sich sogleich in Perlen verwandelten.