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Glückspilzchen-Sechstes Kapitel. Was dem langen Poeten im Walde begegnet.
日期:2024-04-03 14:34  点击:221
Ich habe böse Träume gehabt die Nacht über, erzählte er, und wachte ganz gegen meine Gewohnheit in der frühen Morgendämmerung auf. Mein erster Gedanke war gleich an Glückspilzchen, und ihr könnt denken, daß ich einen Tausendschreck hatte, wie ich mich mutterseeleneinsam in dem grünen Gras liegen sah, Glückspilzchen weg, der blonde Hansel verschwunden und die Käke dazu. Nur zwei kleine Holzhauerbuben waren bei mir; die fuhren nicht wenig erschrocken in die Höh', als ich mich aufrichtete, denn sie hatten meine langen dünnen Beine in den grauen Hosen für zwei Baumwurzeln gehalten und sich gemüthlich darauf niedergelassen, um zu frühstücken. Ich befragte sie, ob sie nicht ein kleines Mädchen gesehn hätten, so und so angethan; aber sie schüttelten den Kopf und liefen furchtsam davon. Da ward mir gar blümerant zu Sinne; ich schrieb ein paar weinerliche Verse auf ein Baumblatt und machte mich dann auf die Beine, Glückspilzchen nach und meinem Tannenmusje, den ich unterwegs irgendwo zu erwischen hoffte.
 
Ich war noch gar nicht weit gegangen, da sah ich einen kuriosen Kerl daher kommen, und ein Lakai lief hinterdrein mit einem großen Korbe, daraus verschiedene Flaschen mit Käppchen von schönem rothen Siegellack hervorschauten.[53] Der Kuriose kam gerade auf mich zu, sagte mir, er sei Prinz Schnudi und freue sich, endlich einen Menschen zu finden in der schauderösen Wildniß, in die ihn Prinzessin Marzebille verbannt habe. In die sei er nämlich ganz unsterblich verliebt; aber sie wolle ihm nicht eher Gehör schenken, als bis er seine Liebe dadurch erprobt habe, daß er in der Wildniß herumlaufe und eine poetische Liebeserklärung zu Stande bringe. Mit dem Herumwildnissen ging' es passabel, so mäßig er leben müsse; aber er habe sein Lebtag nicht zwei Verse gemacht und werde sich nächstens, sobald sein Wein zu Ende gehe, bei lebendigem Leibe todtschießen, denn er halte es nicht länger aus vor Gram.
 
Wie ich ihn von solchen Aengsten behaftet sah, jammerte er mich und ich war sehr freundlich zu ihm, trotzdem daß er ein Prinz war. Ich sagte ihm, ich wär' meines Zeichens ein Poet und wollte ihm gern mit einigen Reimen unter die Arme greifen, so gut ich's halt könnte ohne mein Feuerzeug. Indessen wüchse hier herum Waldmeister in Menge; er sollte doch einen Maitrank bereiten, auf daß ich mich hinterher stärken könne; denn ich war noch nüchtern wie ein Sieb. Da hättet ihr die königliche Hoheit Luftsprünge machen sehn sollen, ging auch flugs mit dem Lakaien ans Werk, während ich in seine allerhöchste Schreibtafel folgende Verse schrieb:
 
O du süße Marzebille!
Warum bannt dein strenger Wille[54]
Mich in dieser Wälder Stille?
Wär' ich, ach, die Nachtigall
Mit der Lieder holdem Schall,
Daß mich bald ein Vogler finge
Und in deine Kammer hinge!
Wär' ich einer von den Hirschen,
Daß mich könnt' der Jäger birschen,
Und auf deine Tafel schicken
Meine Keulen, Brust und Rücken!
O wie würde mich's beglücken,
Schnittst du trauernd sie in Stücken,
Aeßest dann sie mit Entzücken,
Wie du jetzt mit Liebestücken
Mir das Herze thatst berücken,
Daß mir weiter nichts will glücken,
Meine Sehnsucht auszudrücken,
Als mich tief vor dir zu bücken
Und zu bitten unterthänig,
Lindre meine Qual ein wenig!
Nachschrift. Königliche Hoheit,
Uebersieh die arge Rohheit
Dieses Briefs und meiner Schrift.
Thust du 's nicht, so nehm' ich Gift,
Und dann schließt auf ewig zu die
Augen der verliebte Schnudi.
Als ich diese Verse dem Prinzen vorlas, war er vor Entzücken ganz außer sich. Er bat mich tausendmal um Entschuldigung, wenn er augenblicklich in seinen Wagen stiege, der am Saume des Waldes warte, denn er könne sein Glück nicht länger aufgeschoben sehen. Noch ehe ich[55] mich besinnen konnte, war er mit der Schreibtafel, dem Lakaien und dem Korbe verschwunden und hatte mich allein zurück gelassen unter vier Augen mit einer Flasche Maitrank, die mich so ziemlich über den eiligen Abschied der prinzlichen kuriosen Person tröstete.
 
Ich hatte einen Augenblick meiner kleinen Schwester und des Tannenmusjes vergessen, denen ich doch eigentlich nachlief. Nun aber ging ich gar wehmüthig fürbaß, trank von Zeit zu Zeit aus der ehrlichen Flasche und war kreuzunglücklich, denn von den Verlornen fand ich keine Spur. Ich weiß nun nicht, kam's von der Betrübniß oder vom Maiwein, kurz und gut, mir ward ganz träumerisch, dazwischen ein bischen toll und unsinnig, daß ich bald die Bäume umarmte und ihnen lange Reden hielt, bald auf einem Bein über Stock und Stein sprang und Glückspilzchen richtig wieder vergaß. Wenn ich dann aber den traurigen Rappel bekam, mußte ich gleich wieder an den verlornen Wildfang denken und klagte Sonne, Mond und Sternen mein Leid. Ich habe dabei eine ganze Menge Verse aus dem Stegreif losgelassen, kann mich aber auf keinen mehr besinnen.
 
Da kam auf einmal eine steinalte Frau des Weges, einen Korb auf dem Rücken, ein Reisbündel in der Schürze vor sich, und hatte mehr Runzeln im Gesicht, als Haare auf dem Kopf. Ich aber in meiner Verdrehtheit denke: So wahr ich Paul heiße, ist die da nicht mein alter Schatz, die mir gerade vorm Jahre den Dienst aufgekündigt hat?[56] Und da schoß mir richtig die alte Liebe wieder so stark zum Herzen, daß ich vor Wallung nimmer weiter konnte und mich der Herzallerliebsten gerade in den Weg stellte. Dabei sagte ich ungefähr folgendes:
 
Es weht aus einander der lose Wind
Die Wellen und Wolken und Flammen.
Zwei Herzen, die für einander sind,
Die finden sich immer zusammen.
Mein Haar ist worden dünn und grau,
Meine Wange welk und bleich.
Mein Liebchen, blicke mich an genau,
Und du erkennst mich gleich.
Somit breitete ich die Arme aus und wollte sie gerührt an mein Herz drücken. Da fing sie ganz entsetzlich an zu keifen, was das für ein Nestküken sei, der ein altes Weib am Narrenseil zu leiten gedächte, und ich sollte sie ihrer Wege gehn lassen. Weiß der Himmel was ich dachte! so viel ist gewiß, ich ließ sie nicht los, umfing sie vielmehr zärtlich und sang:
 
Kehr um, kehr um und tanz mit mir
Und weich mir nicht von der Seiten.
Die Vöglein singen so lockend hier,
Im Takte die Bächlein gleiten.
Ich bin beglänzt, du bist beglänzt
Von Maiwein und von Liebe.
Der Wald der ist von Sonne beglänzt,
Daß er nicht nüchtern bliebe.[57]
Die ganze Welt hat einen Glanz,
Sie tanzt mit uns in die Runde.
Und sind wir Alle müde vom Tanz,
Das ist die jüngste Stunde.
Und nun begann ich so ausgelassen zu tanzen, daß die Vögel im Wald glaubten, es käme ein Erdbeben, und meiner schönen Tänzerin wackelten die alten Knochen und sie schrie gar gottserbärmlich. Laßt mich los! rief sie und wollte sich mir entwinden. Ich aber immer noch in dem guten Glauben, es sei mein altes Liebchen und sie wolle nur nichts von mir wissen, hielt sie nur fester und schwätzte ihr das ungewaschenste Zeug in die Ohren. – Er Nichtsnutz! war die Antwort, laß Er mich los, ich rath's Ihm, oder es bekommt Ihm schlimm. Joseph, Joseph! rief sie darauf. Ich meinte, sie riefe den Pflegevater des Christkindleins um Hülfe an; wie ich aber eben wieder einen prächtigen Luftsprung mit ihr gethan hatte, kam plötzlich ein stämmiger Gesell von der Seite her auf mich zu, hatte einen tüchtigen Stecken in der Hand und prügelte so wacker auf mich ein, daß mir Hören und Sehen verging und ich über eine Baumwurzel stolpernd gar unsanft zu Boden fiel.
 
Da lag ich nun längelangs, und der Glanz verging mir; denn ich konnte mich nicht regen, so zerschlagen war ich. Ich hörte aber, wie das Weib dem Joseph die Historie berichtete, und der darauf sagte: Er wird's nimmer wieder thun, ich hab ihm den Garaus gemacht. Was hast aber da für eine Puppe im Korb? – Ist mir heut unter die[58] Finger gerathen, da ich Holz sammelte, erwiederte das Weib. Wollt's unserm Enkelkind als Spielzeug geben. – Es hat ein gefährlich Ansehn, sagte der Joseph darauf. Wirf's weg! kannst nicht wissen, ob's nicht behext ist oder der Teufel selbst, den du dir auflädst und wirst ihn nimmer los danach. – Ich hörte was fallen ins Gras; dann schritten die Beiden weiter und ließen mich allein mit meinen Beulen und meinem Aerger, daß ich so eine alte Schachtel für mein junges Liebchen angesehn hatte.
 
Nach und nach ward mir besser zu Muth; da richtete ich mich auf und schaute um. Neben mir lag mein grauer Hut und war eine einzige Beule; ich zog ihn wieder zurecht und suchte emsig umher im Grase; denn ich war neugierig auf die verdächtige Puppe der Alten. Da könnt ihr denken, wie ich froh überrascht wurde, als ich meinen Tannenmusje liegen sah und alle Schwefelhölzchen hatte er noch, die er von mir mitgenommen hatte. Er wäre mir am Ende auch wieder entwischt; aber beim Fallen aus dem Korbe hatte er das Bein verstaucht, somit war ihm das Getragenwerden bequemer.
 
Wir haben uns nun mitsammen auf den Weg gemacht, und wenn ich nicht die Angst um Glückspilzchen ausgestanden hätte, wäre ich leidlich fidel gewesen. Zum Glück kam da so eine alte Hexe mit einer Ruthe in der Hand hinterm Busch hervor und erzählte mir, sie sei die Frau Bösgewissen und habe für Glückspilzchen schon gesorgt und ihr die Wege gewiesen. Eigentlich habe sie mit mir[59] auch ein Hühnchen zu rupfen, daß ich dem Maiwein so zugethan sei und den schönen Mädchen und sonst ein leichtsinniger Patron sei; aber sie wolle es diesmal noch vergeben, wenn ich Besserung angelobte. Und nun ich mein Feuerzeug wieder habe, solle ich nur gleich an mein Heldengedicht gehen und nicht auf der Bärenhaut liegen. Uebrigens wäre der Weg geradeaus der richtige.
 
Damit machte sich die Dame Bösgewissen wieder unsichtbar, fitzte mich nur noch leise mit der Ruthe, daß mich's im Weitergehn ein Bischen brannte. Und so fand ich bald den blonden Schusterjungen mit der Käke auf dem Arm, und der Weg zu euch war nimmermehr eine Tagereise. 

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