Die Waldvöglein in Zweigen
Stehn singend auf beizeit,
Derweil noch schlafen und schweigen
Der Menschen Lust und Leid.
O Jubel und o Wonne,
Nach Nächten, dunkel und bang,
Zu grüßen die liebe Sonne
Mit frohem Lied und Klang!
Zu schweben und zu schwanken
Da droben hoch im Blau'n,
Zu trösten die Müden und Kranken,
Die drunten auf Träume bau'n;
Und zu rufen hinab in die Lande:
Wacht auf nun, nah und fern!
Es kommt in des Frühroths Brande
Ein neuer Tag vom Herrn.
Wohlauf denn und frisch gesungen,
Ein Jedes nach seinem Brauch!
Ist's nur vom Herzen erklungen,
Gefällt's dem Himmel auch.
So ungefähr sang die Lerche, die am Morgen beim Frühconcert die erste Stimme trillerte; es war nur Alles noch viel besser und fröhlicher, so köstlich daß man's gar[42] nicht mit bloßen Worten wiedergeben kann, und die andern lustigen Sänger hielten sich auch brav dran. Da stand auch die Sonne bald auf, wischte sich die Nebel vom Auge und hielt nicht länger mit ihrem goldnen Schein hinterm Berg.
Glückspilzchen aber, wie es auffuhr aus dem Schlaf, wußt' es erst gar nicht, wo es war; denn daß das Zimmerchen in einer alten hohlen Eiche stecke, fiel ihm nicht ein. Das Licht fiel spärlich durch ein rundes Astloch, das die alte base Spinne aus Gefälligkeit mit Spinneweb wie mit einer Fensterscheibe überzogen hatte, und davor hatten die Eichkätzchen gestern Nacht ein großes Blatt geheftet, um den Mond abzuwehren, so daß eine halbe Dämmerung ringsum war. Da bekam Glückspilzchen rechte Furcht, und wie sie ihren Bruder, den langen Poeten, nicht fand, auch die Käke nicht mehr im Arm hatte, setzte sie sich wieder auf das Moosbettchen, nahm die Schürze vors Gesicht und weinte bitterlange Zähren; denn von der Thür fand sie auch keine Spur, weil die Fugen in der Rinde nicht bemerkbar waren. Sie hatte aber kaum ein paar Dutzend Thränen geweint, da ging die Thür auf und Springinslaub trat herein, und hinter ihm die alte Großmama, die trug auf einem Brett den wundervollsten Eichelkaffee in Wallnußschalen und prächtige Erdbeeren, die ihre Enkel schon in aller Frühe im Walde gesucht hatten. Glückspilzchen hörte plötzlich ein bischen auf mit Weinen, denn sie verwunderte sich gar zu sehr[43] über den zierlichen Besuch. Die alte Eichkätzchengroßmama aber setzte sich freundlich und liebreich neben sie und erzählte ihr, wie sie gestern von ihren Enkeln hereingebracht wäre, und sie solle nur bleiben, so lange sie wolle, und sie würden's ihr schon angenehm machen. Glückspilzchen saß wie im Traum, ließ sich aber von der Alten und den Andern, die nach und nach Alle Visite machten, geduldig das Ohrläppchen küssen und zum Frühstück nöthigen; denn sie meinte, es wäre doch Alles Traum, und sie würde bald aufwachen und Käke und ihren Bruder und auch den blonden Schusterjungen wiedersehen.
Indessen rief die Großmama eins von den Eichkätzchen heran und sagte: Knackzähnchen, erzähl' wo du gewesen bist und was du gesehn hast beim Erdbeersammeln. Da sagte das Eichkätzchen mit feiner Stimme:
Wo die blauen Veilchen sprossen,
Sind drei Bächlein hergeflossen
Ueber Nacht, wie wunderbar!
Salz'ge Bächlein, rasch und klar,
Drüber sich die Zweige spreiten.
Auf dem einen sah ich gleiten
Eine Puppe klein und schmächtig,
Augen funkelhell und prächtig,
Zähne blank wie Elfenbein;
Gar erbärmlich that sie schrein.
Sagt, weß mag die Puppe sein?
Ach Gott, seufzte Glückspilzchen, das ist am Ende meine Puppe Käke gewesen! – Ei es giebt viel Puppen[44] auf der Welt, sagte die alte Großmama, um sie zu beruhigen. Nun komm du, Rothbärtchen, und erzähle. Das Rothbärtchen aber fing an:
Einsam sprang ich durch die Buchen,
Beeren, roth und süß, zu suchen,
Schaut' umher nach allen Seiten.
Da auf einmal sah ich schreiten
Einen blonden Schusterjungen
Durch die Büsche, dichtverschlungen.
Mütze saß auf einem Ohr;
Spielte sich ein Liedel vor
Auf der blanken Ziehharmonik,
Wie ein Spielmann aus der Chronik,
Pfiff und schimpfte auch mitunter,
Kam vom rechten Weg herunter,
Lauft nun so in Tag hinein.
Sagt, wer mag sein Meister sein?
Das war ganz gewiß der blonde Hansel, mit dem wir gekommen sind, sagte Glückspilzchen. Ach Gott, wenn ich nur erst draußen wär'! – Ei es giebt so viel Schusterjungen, sagte die alte Großmama rasch; bleib du nur hier bei uns; und nun soll Nußfresserchen erzählen, was ihr passirt ist. Nußfresserchen aber trat kecklich vor, machte einen Knix und declamirte dann mit vielem Ausdruck:
Drunten tief im Lindenhag,
Da noch kaum erglomm der Tag
Und nur wenig Vögel sangen,
Kam ein langer Herr gegangen,[45]
Grauen Filzhut in der Hand,
Drauf ein schwarzrothgülden Band
Flatterte im Morgenhauche,
Und er rief bei jedem Strauche:
Saht ihr nicht, ihr schwanken Aesterchen,
Mein verlornes kleines Schwesterchen?
All ihr Gräser, Blumen, Pilzchen,
Saht ihr nicht das Unglückspilzchen?
Rabenschwarz ist Aug' und Haar,
Und der Wuchs ist ganz und gar
Einer Arabeske ähnlich,
Nase, Mund und Kinn gewöhnlich,
Trug ein blaues Thibetkleidchen –
Ach Himmel! rief Glückspilzchen auf einmal, das ist mein Bruder, der lange Poet, der sucht nach mir, und ich Unglückspilzchen sitze hier bei Eichelkaffee und Erdbeeren und mache ihm so viel Herzeleid! Ich muß fort, geschwinde fort, ich halt's gar nicht mehr aus. – Die Eichkätzchen wollten sie freilich gerne behalten, aber das ging doch nicht, und da öffneten sie die Thür, schlüpften mit Glückspilzchen hindurch und die kleine Treppe hinab und schlossen ihr unten gar traurig die große Thür auf. Sie hatten schon Abschied von einander genommen und dem kleinen Mädchen noch zu guter Letzt das Ohrläppchen geküßt, da sagte die Großmama: Nur noch ein paar Augenblicke warte, bis dir meine Enkel noch was vorgetanzt haben. Das mußte Glückspilzchen der guten Alten schon zu Gefallen thun, die auf ihre Familie nicht wenig eitel war, und so wurden[46] die Musikanten gerufen, der Zeisig, der Fink und der Vogel Bülow, und die Eichkätzchen führten ein zierliches Ballet auf, den großen Ast auf und ab. Wie aber Glückspilzchen den kleinen Tänzern zuschaute, wurde sie wieder ganz munter, und vergaß Bruder und Käke und den blonden Hansel nach ihrer leichtsinnigen Art. – Nun sollt ihr mich erst tanzen sehn! sagte sie, da das Ballet zu Ende war, und sogleich kletterte sie zur Thür hinaus, ließ die Musikanten ein frisches Stücklein anfangen und tanzte dann so artig und klapperte so geschickt mit den blanken Dreiern in der Sparbüchse, daß eine ganze Menge Vögel und Waldthiere herzukamen, auch die Rehe herbeiliefen und oben nach dem Ast und der kleinen Tänzerin guckten. Zuletzt ward sie doch müde; da that sie die Sparbüchse auf, warf den Eichkätzchen die Dreier zu und rief, sie sollten sie zum Andenken an einem Bändchen um den Hals tragen. Dann rief sie noch einmal: Lebewohl! und tausend schön Dank! und kletterte behende den Baum hinab, indem sie den liebenswürdigen Thierchen viele süße Kußfinger zuwarf.
Als sie nun unten so allein herumlief und von ihrer Reisegesellschaft keine Spur erblickte, wurde ihr wind und weh. Sie kam zu den drei Bächlein, die über Nacht entsprungen waren. Der lange Poet und der Hansel waren verschwunden, die Käke auch; von der aber hing das kleine Hütchen mit dem grünen Schleier am Ufer zwischen den Vergißmeinnicht; da weinte Glückspilzchen wieder heftiger. Ein Verschen von dem langen Poeten, das er auf ein[47] Baumblatt geritzt und an einen Stamm geheftet hatte, kam nicht in ihre Hände; das hatte der Kapellmeister, der Herr von Grasemück, mit in sein Nest genommen, um es in Musik zu setzen, weil es ihm gar so gefiel. Von dem hab' ich hinterdrein erfahren, daß es so lautet:
Es plaudern in Linden und Buchen
So lustig die Vögel im Chor.
Ich muß wandern und traurig suchen
Meine Schwester, die ich verlor!
Es sind viel Bahnen und Straßen
Und blühen wohl alle so schön,
Und bist du nicht trüb und verlassen,
Du magst sie in Freuden gehn.
Mir aber vor Gram und Sehnen
Im Wandern das Herze bricht.
Ich seh vor den leidigen Thränen
Den blühenden Frühling nicht.
Ein Glück war's eigentlich, daß der Zettel von dem Kapellmeister aufgefangen wurde; denn er hätte Glückspilzchen nur noch betrübter gemacht, und sie war's schon genug. Da kam aber auf einmal eine garstige alte Frau hinterm Baum vor, weiß Gott, wo sie eigentlich gewachsen war, hatte eine tüchtige Birkenruthe in der Hand und rief: Wart nur, du böses Kind! deinen armen Tanten wegzulaufen, die sich nun abgrämen, und du bist's gar nicht werth. Nun lauf nur vor mir her, ich will dich schon heim bringen! – Damit fing sie an, die Ruthe zu[48] rühren und sie auf Glückspilzchens Rücken zu schwingen, daß die eilig sich auf die Beine machte; aber die Alte war eben so flink hinterher trotz ihrer grauen Haare, und kein Schlag ging verloren. Ach, rief das kleine Mädchen ganz außer Athem, wer seid Ihr denn, Ihr häßliche alte Frau! Au! das war aber grob! – Was da grob! erwiederte die Alte, und schlug noch ärger, du hast's nicht gelinder verdient. Ich bin die Frau Bösgewissen, und laure dir schon seit vorgestern auf, und werde dich nicht eher in Ruhe lassen, als bis du dich besserst und nimmer so eine leichtfertige Person bleibst, sondern hübsch Sitzefleisch hast und artig zu Haus und fleißig in der Schule wirst. Verstehst mich? – Ach ja, liebe Frau Bösgewissen, rief Glückspilzchen und lief dabei, als hätte sie Feuer unter den Sohlen, laßt's nur für diesmal genug sein! ich will ja auch ein frommes Kind werden. – Nun denn, sagte die Alte und steckte die Ruthe ein, noch einmal will ich dir's nachsehn. Aber nimm dich in Acht; ich hause nicht im Wald allein, und kann dich auch bei deinen drei Tanten besuchen. Also sei gut und denk' an mich! – Nach diesen Worten war's plötzlich stille, und als Glückspilzchen besorglich umschaute, war von der Frau Bösgewissen nichts mehr zu sehn; aber ihre Ruthe war als wie zur Warnung an den nächsten Baum gebunden, und Glückspilzchen that der Rücken noch immer weh. Ach und wie sie noch zehn Schritte gethan hatte, da ward's hell zwischen den Bäumen und der Wald hatte ein Ende. Am Saume des[49] Waldes aber saßen – nun rathet einmal! Ich will unterdessen ein neues Kapitel anfangen.