Auf einem Zweige im Walde saß ein junger Stieglitz. Er hatte sich die Federn aufgeblasen und saß da so stolz und so selbstgefällig und machte sich wirklich dick, wie man im gewöhnlichen Leben zu sagen pflegt.
– Quirewitt! sagte er dann und wann vor sich hin. Was bin ich doch für ein unglücklicher Mensch! Gar nichts habe ich mehr, was mir Freude macht. Das Leben ist doch das Aufstehen und zu Bette gehen nicht werth.
So klagte der Stieglitz, denn wie jung er auch noch war, litt er doch am Weltschmerz, wie es vielen Menschen ergeht, die selbst nicht wissen, was sie wollen.
Da kam ein Zeisig herbei geflogen, der war ein Jugendfreund von ihm, denn er war mit dem Stieglitz, als sie fliegen lernten, auf einem und demselben Zweige in die Schule gegangen.
– Was fehlt Dir denn? fragte der Zeisig.
– Was mir fehlt? Alles! antwortete der Stieglitz. Ich bin europamüde und kann es hier gar nicht mehr aushalten.
– Du bist wohl nicht recht bei Trost, Stieglitz? Du hättest früher lieber weniger lustig in den Tag hinein leben sollen, so könntest Du jetzt mehr Freude am Dasein finden. Du bist entweder blasirt oder Du bist auch verliebt.
– Ach, das Alles haben wir längst hinter uns! sagte der Stieglitz, als wäre er schon ein Greis, während er doch noch im vorigen Jahre wie alle jungen Vögel einen gelben Rand am Schnabel getragen hatte und also eigentlich noch ein rechter Gelbschnabel war.
– Du bist nicht recht klug! rief der Zeisig, flog davon, um nicht auch melancholisch zu werden und ließ den Stieglitz allein sitzen.
– Ich glaube, er hat Recht, ich bin wirklich blasirt! sagte der Stieglitz zu sich selbst. Aber was kann ich denn dagegen thun? Es liegt einmal in meiner Gemüthsart... Ich will mir doch die Sache beschlafen.
Und so schlief er auf dem Zweige ein, denn ein eigenes Nest hatte er gar nicht.
Am andern Morgen, als er am Ufer eines Quells auf einem Kieselstein saß und Kaffee trank, hielt er folgendes Selbstgespräch:
– Ich habe mir das nun während der Nacht überlegt und gefunden, daß es am besten sein wird, wenn ich mich verändere, das heißt, wenn ich mich verheirathe; denn im Grunde langweilt mich das Junggesellenleben. Vielleicht finde ich Zerstreuung in der Ehe. Schön genug bin ich, daß mich Jede nimmt, sagte er, sich selbstgefällig in dem Wasserspiegel betrachtend, aber ich mag nicht eine Jede nehmen. Am klügsten thue ich wohl, wenn ich eine Wittwe heirathe, die schon ein eigenes Nest hat, denn mir erst ein solches zu bauen, das ist mir zu langweilig. Da ist z. B. die junge Dame in dem Erlenbaum, deren Mann im vorigen Monat von dem Jäger erschossen wurde; sie ist eine ganz rechtschaffene Stieglitzenfrau und jung und hübsch ist sie auch noch. Ich will doch um sie freien.
Und der Stieglitz machte sich schön, indem er den Quell als Spiegel benutzte, strich sich namentlich die gelben Federn in seinen Flügeln, auf die er sehr stolz war, durch den Schnabel, kämmte sich sorgfältig sein rothes Käppchen und flog sobald es Mittagszeit war, wo man Damenvisite machen kann, nach dem Erlenbaum.
Die junge Stieglitzen nahm ihn auch ganz freundlich auf, denn sie mochte wohl ahnen, was der blasirte junge Herr wollte, und als er ihr sein Anliegen gesagt hatte, war sie auch ganz einverstanden; aber sie bat ihn doch, mit der Hochzeit noch acht Tage zu warten, denn dann sei ihr Trauermonat abgelaufen. Den Anstand müsse man nie verletzen, sagte sie.
Und richtig war um acht Tage Hochzeit im Erlenbaum, aber keine große; nur die Nachbarn waren geladen, denn der Bräutigam meinte, eine große Hochzeit sei viel zu langweilig.
So war denn der Stieglitz ein Ehemann geworden.
Aber fühlte er sich wohl glücklich? Nein, er war noch ebenso unzufrieden wie vorher, denn als die Flitterwochen vorüber waren, langweilte es ihn, daß seine junge Frau Tag und Nacht im Neste lag und die Eier ausbrütete, was doch ihre Schuldigkeit war. Der Stieglitz aber meinte, das sei gar zu einfältig; überhaupt habe er die Bemerkung gemacht, daß seine Frau nur für die Wirthschaft und zu sonst gar nichts zu gebrauchen sei; hätte er das gewußt, so würde er sie gar nicht geheirathet haben.
Noch mehr aber verdroß es ihn, als nun die Jungen aus den kleinen Eiern schlüpften, die Nahrungssorgen anfingen und er den ganzen Tag hindurch Futter für die Kinder suchen mußte. Ja, als sie größer wurden, hatte er nicht einmal Platz in seinem eignen Neste und mußte die Nächte hindurch am Rande desselben auf einem Beine stehend schlafen. Das sei doch zu dumm, sagte er zu sich selbst.
– Kiriwitt! sprach der Stieglitz eines schönen Abends, als seine Frau die schon flügge werdenden Jungen auf dem Zweige exercirte. Ich bin doch eigentlich gar nicht zum Ehemann geboren!
Und als nun die Jungen ausgeflogen waren, um ihr Glück in der Welt zu versuchen, und er mit seiner Frau wieder allein war, da machte ihr der unzufriedene Stieglitz eines Tages bittre Vorwürfe. Sie sei auch zu gar nichts als zur Wirthschaft zu gebrauchen, sie habe nicht die geringste gesellschaftliche Bildung, sagte er zu ihr; eine solche Frau könne ihn nicht glücklich machen, sie allein sei Schuld daran, daß er seinen Lebenszweck verfehlt habe.
Die arme Frau fing an bitterlich zu weinen, denn sie war ja so herzensgut und hatte ihn auch immer so lieb gehabt; aber da sie seinem Lebensglück nicht hinderlich sein wollte, so willigte sie endlich ein, als er ihr vorschlug, sie wollten sich scheiden lassen.
– Er wird schon wieder zu mir zurückkehren, wenn es ihm einmal schlecht geht, dachte sie bei sich; er weiß das häusliche Glück noch gar nicht zu schätzen.
Und so flogen sie Beide zu einem Dompfaffen, der mußte sie scheiden.
– Gott sei Dank, dachte der Stieglitz; jetzt bin ich wieder frei! Ich will nur mit der nächsten Gelegenheit nach Amerika auswandern, denn hier in Deutschland ist es mir viel zu enge. Vielleicht, sagte er, machst Du in Amerika Dein Glück, und wenn Dir dies gelingen sollte, so giebst Du den Vögeln Gesangunterricht, denn die sollen dort zwar alle sehr schön von Gefieder sein, aber keinen Ton zu singen verstehen; und wie die Drossel mir gesagt hat, wird die Kunst in Amerika sehr hoch bezahlt. Vielleicht kannst Du da noch berühmt werden!....
Das war nun Alles recht gut, aber wie sollte er über das weite Wasser kommen! Er konnte zwar sehr schnell fliegen, aber, ohne ausruhen zu können, war doch die Reise über das große, endlose Meer zu weit.
Stieglitz überlegte sich diesen Punkt und flog nach einem Hafen. Hier lagen viele, viele Schiffe und eins von ihnen war eben im Begriff, mit vollen Segeln in die See zu gehen.
– Das ist gerade eine günstige Gelegenheit, sagte der Stieglitz; mit dem Schiffe willst Du fahren.
Also flog er ihm nach, setzte sich oben in den Mastkorb und fuhr Tage und Nächte, ohne sich was merken zu lassen, daß er auch da sei. Der gute Stieglitz hatte leicht reisen, denn er brauchte kein Passagiergeld zu bezahlen. Tags verhielt er sich oben in seinem Mastkorb ganz still, aber Nachts, wenn die Passagiere und die Matrosen fast alle schliefen, dann flog er auf das Verdeck herab und pickte die Brodkrümel auf, welche die Schiffsmannschaft beim Essen verloren hatten.
So ging die Reise wohl volle sechs Wochen. Dem guten Stieglitz wurde in seinem Mastkorb Zeit und Weile lang, aber hier hieß es: mit gegangen, mit gefangen, und so war er nur froh, daß er nicht seekrank wurde.
Endlich erblickte er eines Morgens in der Ferne eine Küste. Sogleich flog er auf, verließ das Schiff und eilte in das fremde Land hinein.
Ja, wie sah das Alles so anders aus als zu Hause! Das soll ein Leben werden! dachte der Stieglitz; hier kannst Du Dein Glück machen!... Du willst nur gleich einmal die Tonleiter singen, um Dich zu überzeugen, ob Du auch unterwegs nicht Deine Stimme verloren hast!
Er ließ sich auf einen Baum nieder, der war dick mit granatrothen Blüten besetzt und stand mitten in einem Walde.
– Kiriwitt, Kiriwitt! sang er zur Probe... O, es geht noch! Du mußt nur erst wieder in Zug kommen, sagte er zu sich selbst... Kiriwitt, sang er ganz vergnügt, hob den Schwanz in die Höhe und flog von einem Baume zum andern.
– Arrah, Arrah! hörte er plötzlich unter sich schreien und erblickte einen großen, ganz schneeweißen Vogel, der hatte einen gelben Kamm auf dem Kopf, auf den er sich viel einzubilden schien. Und um ihn her saßen eine ganze Menge andrer bunter Vögel, die waren grün, gelb, grau und roth und stimmten ein gefährliches Geschrei an. Stieglitz meinte, wenn er sich nicht irre, müßten dies Papageien sein.
– Aha, dachte er, da sind schon welche von den Wilden! Du mußt ihnen nur gleich einen Begriff von der deutschen Bildung und Kunst beibringen. Wie man sich einführt, so wird man hernach beurtheilt. Was werden Die staunen, wenn sie Dich singen hören.
– Kiriwitt! sang er und setzte sich mitten unter die großen Vögel.
– Ei sieh doch, was bist denn Du für ein kleiner Knirps? fragte der große weiße Vogel. Was soll denn das heißen: Kiriwitt? Wir sprechen keine fremden Sprachen; wir sprechen hier nur englisch.
Und dabei fing er wieder an zu kreischen, daß dem Stieglitz ganz übel wurde.
– Pfui, Ihr solltet Euch schämen mit Eurem Geschrei; das ist ja, als wäre man in einer Judenschule. Ihr seid doch noch gar zu sehr in der Bildung zurück! rief der Stieglitz.
– Mit Erlaubniß zu fragen: was bist Du denn für Einer? sagte ein großer grauer Papagei.
– Ich bin ein Stieglitz und stamme aus einer sehr noblen Familie des Schwarzwaldes in Deutschland, antwortete der Stieglitz. Da ich aber hörte, daß man hier im Gesange noch so weit zurück ist, ja gewissermaßen sogar nichts davon versteht, so bin ich herübergekommen, um Euch in dieser Kunst zu unterrichten.
– Na, dann singe uns 'mal was vor! sagte der Papagei.
Der Stieglitz nahm eine sehr künstlerische Haltung an, wetzte sich den Schnabel und räusperte sich.
– Kiriwitt – witt – witt! stimmte er an, wie es die Sänger zu thun pflegen, ehe sie eigentlich beginnen, und dann quinquilirte er ihnen was vor, das sollte eine deutsche Arie sein, wie er sagte.
– Hahaha! Das ist also eine deutsche Arie? Die kann mir gestohlen werden! rief der große weiße Vogel. Jetzt höre zu, wir wollen Dir eine Arie nach unsrer Weise vorsingen.
Und wieder fingen sie an zu schreien, daß es durch den ganzen Wald schallte und der Stieglitz vor Schreck beinahe von dem Zweige gefallen wäre.
– Das ist ja eine wahre Katzenmusik! rief er, als sie fertig waren mit ihrer Arie. So etwas Gesang zu nennen! Pfui!
Aber kaum hatte er dies gesagt, da fielen sie Alle, als wenn sie sich verabredet hätten, mit ihren dicken Schnäbeln über ihn her und wollten ihn todtbeißen. In seiner Angst flog der Stieglitz davon; sie aber verfolgten ihn und hätten ihn gewiß auch bald erreicht. Wie wäre es dem armen Stieglitz wohl ergangen, wenn er nicht zu seinem Glück hinter dem Walde ein Landhaus gesehen hätte, dessen Fenster offen standen.
Er flüchtete sich in das Zimmer und verbarg sich ängstlich hinter der Gardine.
Aber nun denke man sich seinen Schrecken, als er plötzlich bemerkte, wie sich eine pechschwarze Hand nach ihm ausstreckte, und gleich darauf sah er zu seinem Entsetzen auch einen kohlenschwarzen Kopf, ein paar weiße Augen und große weiße Zähne.
Huh! der arme Stieglitz dachte nicht anders, als daß der Teufel selbst ihn packte. Er wollte davonfliegen und hätte sich lieber von dem bösen weißen Vogel als von der schwarzen Hand greifen lassen, aber er verwickelte sich mit seinen langen Nägeln in den Gardinenfranzen. Da zappelte er nun, und die große schwarze Hand packte ihn und eine andre streichelte ihm das rothe Käppchen.
– Wie schlug dem Stieglitz das kleine Herz! Jetzt ist es vorbei, dachte er; wäre ich doch lieber zu Hause bei meiner Frau geblieben... Nun machen sie mich todt!
Aber die große schwarze Hand, die einer Mohrin gehörte, brachte ihn zu einer Frau, die war ihre Herrin, und zu seiner Freude sah der Stieglitz, daß diese ganz weiß war, ja er hörte, daß sie sogar deutsch sprach.
Die Sache verhielt sich nämlich so: Stieglitz befand sich bei einer deutschen Pflanzerfamilie, die viele Mohren und Mohrinnen als Sklaven hatte.
An seinen Gesangsunterricht dachte der Stieglitz gar nicht mehr, ja er war nur froh, als die Hausfrau ihn in einen Käfig setzte, ihm Hanf und Wasser gab und zu ihrer Dienerin sagte, sie wolle sich den Stieglitz zahm machen, denn sie habe ihn sehr gern, weil er ja aus ihrem Vaterlande komme.
– Hier mußt du klug sein! dachte Stieglitz. Und er stellte sich, als sei er schon ganz zahm und ließ sich alle Tage von der Hausfrau liebkosen, so viel sie wollte. Dabei guckte aber der Schelm immer nach dem Fenster, und als er eines Tages gewahrte, daß dieses offen stand, war er draußen in der freien Luft, eh' sich Einer dessen versah.
– Kiriwitt! sagte er, sich dem Hause gegenüber auf einen Baum setzend. Ihr kriegt mich nicht wieder!
Die Frau aber lief zu ihrem erwachsenen Sohn, der gerade von der Jagd kam, und sagte ihm, daß der Stieglitz entwischt sei und im Baume sitze. Dieser lockte ihn mit allerlei Leckerbissen, Stieglitz aber rief: ich bin nicht so dumm, wie Ihr glaubt! und hüpfte vergnügt im Baume herum.
Da wurde der Sohn so böse, daß er seine Flinte vom Nacken nahm und eh' Stieglitz daran dachte, hörte er einen Schuß und sah, wie der Hagel um ihn her in die Zweige schlug.
– Jetzt machst du dich aus dem Staube! sagte er für sich, flog eine halbe Meile weit weg und ruhte dann aus.
– Ich glaube, dachte er hier, du begiebst dich wieder auf den Heimweg. Hier in dem fremden Lande blüht dein Glück doch nicht; Pulver hast du nun schon gerochen und wenn die ungebildeten bösen Vögel dich wieder zu sehen bekommen, so ergeht es dir auch schlecht.
So flog er denn wieder zum Hafen zurück und sah zu seiner Freude, wie gerade dasselbe Schiff wieder auslaufen wollte, mit dem er gekommen war.
– Kiriwitt! Nehmt mich mit! rief er, flog ihm nach und setzte sich an seinen alten Platz im Mastkorb.
Also kam denn der Stieglitz wieder heim und flog in den Wald, um reuig zu seiner geschiedenen Frau zurückzukehren.
Als er aber in den Erlenbaum kam, da lag seine arme Frau im Sterben. Die hatte sich so viel um ihn gegrämt, daß sie schwer krank geworden war.
Stieglitz setzte sich auf den Rand des Nestes und küßte seine gute Frau, sie aber konnte ihm nur noch einen Blick zuwerfen, und dann war sie todt.
– Das habe ich nun von meiner Thorheit! sagte Stieglitz, sich mit dem einen Fuß die Augen wischend. Hätte ich nur zu schätzen gewußt, was ich besaß, so wäre ich jetzt glücklich!
Und Stieglitz begrub seine arme Frau unten am Fuße des Erlenbaums; dann aber setzte er sich auf den Rand seines Nestes, weinte drei Tage lang und grämte sich so sehr, daß sein rothes Käppchen ganz blaßgelb wurde. Alle seine schönen Federn verlor er, und als es Herbst wurde und die Blätter von den Bäumen fielen, da war auch der Stieglitz todt und lag erstarrt auf dem Grabe seiner Frau.