Schwapp hatte er eine Ohrfeige bekommen, er wußte nicht wie, und Traumfriede wandte sich nach dieser Tat bleich mit funkelnden Augen von Heine Peterle zu Anton Friedlich: der flog in den Sand wie ein Gummiball. Die andern Kinder stoben erschrocken auseinander, so hatten sie den sonst so freundlichen, sanften Traumfriede noch nie gesehen. Der Bub sah aus, als wollte er seine sämtlichen Schulgenossen in den Sand werfen, und alle Buben und Mädel erhoben ein wildes Geschrei. „Er hat doch abgeschrieben,“ schrieen einige, und Anton Friedlich, der wieder aufgestanden war, brüllte laut: „Jawohl, sonst wäre er nicht so wild. Pfui, pfui!“
In all das laute Stimmengewirr hinein tönte ein sanftes Stimmlein: „Er hat es bestimmt nicht getan, er schreibt gewiß nicht ab!“ Niemand hörte sonderlich auf Waldbauers Mariandel, nur Friede hatte der Freundin Stimme gehört. Die brachte ihn etwas zur Besinnung, und er begann sich seiner Heftigkeit zu Seite 203schämen. Er sagte kein Wort, aber er drehte sich verächtlich um und rannte weg, so blitzschnell, daß die andern ihm erst ganz verdutzt nachsahen. Aber dann erhoben Anton Friedlich und Heine Peterle ihre Stimmen: „Er reißt aus, er reißt aus, pfui, er reißt aus!“ Und Mädel und Buben, die Großen und die Kleinen rannten alle lärmend hinter Friede her.
Der Bube aber war bei seiner eiligen Flucht auf ein unerwartetes Hindernis gestoßen. Mitten auf der Dorfstraße vor der Schmiede stand ein stattlicher Wagen, und an dem Wagen stand die Frau Gräfin Dachhausen und sprach mit dem Schulzen. Etliche Dorfleute standen dabei, auch Muhme Lenelies hatte sich dazugesellt. Die Gräfin kam mit ihrer Begleiterin von einer Spazierfahrt zurück. Unterwegs hatte das eine Pferd ein Hufeisen verloren, nun sollte der Schmied das Tier frisch beschlagen. „Nä, Friede,“ rief Muhme Lenelies entsetzt und hielt ihren Pflegesohn geschwind am Jackenärmel fest, „warum rennste denn so? Man läuft doch die Menschen auf der Straße nicht um!“
Friede blickte sich ganz verstört um; er sah die Frau Gräfin, die erstaunten Gesichter der andern, hörte das immer näher kommende Geschrei seiner Kameraden, und eine wilde Verzweiflung ergriff ihn. Nun würden es alle hören, daß man ihn für einen Abschreiber, einen Seite 204Lügner hielt. Er klammerte sich an Muhme Lenelies an und brach in ein verzweifeltes Schluchzen aus.
„Friede, mein Junge, ih, was fehlt dir denn?“ rief die alte Frau besorgt, und die Gräfin fragte freundlich: „Ist das der Bube, der meinen Papagei gefangen hat? Warum weint er denn so?“
Die ganze lärmende, schreiende Schuljugend war jetzt herangekommen. Als sie die allen bekannte Gräfin erblickten, blieben sie aber doch ganz verdattert stehen, und ihr Schreien verstummte. Nur ein Stimmlein hob sich wieder mutig aus der Schar heraus, und diesmal wurde es von allen gehört; Mariandel rief: „Er hat es nicht getan, er tut so etwas nicht.“