Am Abend wußten es schon alle Leute in Ober- und Niederheudorf, daß der Herr von der Bahn in der Wassermühle wohnte. „Allweil 'n bißchen jung sieht er aus,“ sagte der Schulze, dem einfiel, wie man einmal einen Maler für den Schulrat in Oberheudorf gehalten hatte. „Man muß sehen, ob's stimmt,“ meinten auch die andern Bauern.
Am Abend sagte der Müller zu seinem Mieter: „Hm, 's wär schon recht, wenn wir die Bahn kriegten, nicht die Niederheudorfer!“
„Freilich,“ erwiderte der Student, der recht höflich sein wollte. Als er am andern Tage erst den Schulzen, dann den Schnipfelbauern, den Kaspar auf dem Berge, den Waldbauern und zuletzt Hans Rumps hintereinander traf und jeder sagte: „Hm, 's wär schon gut, wenn wir die Bahn kriegten und nicht die Niederheudorfer,“ erwiderte er allemal sehr freundlich: „Natürlich, Oberheudorf muß die Bahn haben.“ Er meinte das auch Seite 170wirklich so, Niederheudorf kannte er gar nicht, und da die Oberheudorfer sich so sehr eine Bahn zu wünschen schienen, wünschte er sie ihnen auch.
Die Niederheudorfer waren wütend, denn natürlich erzählten es ihnen die Oberheudorfer gleich: „Wir bekommen die Bahn!“ Am zweiten Tage lief darum der Niederheudorfer Schulze so lange im Walde herum, bis er den Studenten traf. Der sammelte gerade Blumen, denn er war Botaniker, und das Blumensuchen gehörte zu seiner Arbeit. „Hm,“ brummte der Niederheudorfer Schulze grimmig, „die Bahn soll wohl hierher kommen?“
„Bewahre, die kommt doch nach Oberheudorf,“ erwiderte der Student und ließ den Schulzen stehen, seine Pflanzen gefielen ihm besser als der dicke Schulze. Der lief wütend heim, und die Niederheudorfer beschlossen, eine Eingabe an die Regierung zu machen, die Bahn solle über ihr Dorf gehen.
Am nächsten Morgen trafen zufällig etliche Oberheudorfer Buben und Mädel mit einigen aus Niederheudorf zusammen, und die Oberheudorfer taten sich so gewaltig mit der Bahn, daß es den Niederheudorfern zu viel wurde; sie behaupteten, es sei noch gar nicht sicher, gingen wie die Kampfhähne auf die andern los, und mit lautem Geschrei prügelten sie sich alle lustig untereinander.
Seite 171Der Student geriet bei seiner Heimkehr aus dem Walde gerade unter die Streitenden. Er rief: „Aber Kinder, aber Kinder, was tut ihr denn? Schämt euch doch!“