„Abwarten und dann Tee trinken,“ sagte Leberecht Sperling, der auch gekommen war, brummig. Aber da ging auch schon der Vorhang auseinander, und alles Warten hatte ein Ende. Das Stück begann.
Noch heute weiß niemand recht in Oberheudorf, was eigentlich gespielt worden ist. Auf dem Zettel, der draußen an dem Tor des Wirtshauses klebte, stand zwar „Die Jungfrau von Orleans. Eine romantische Tragödie von Friedrich von Schiller“. Das klang ja sehr verheißungsvoll, aber alle, die das Stück kannten, meinten, es wäre es eben nicht. Erstens war die Jungfrau kein Hirtenmädchen, sondern eine Prinzessin, dann waren die Franzosen keine Franzosen, sondern Deutsche, und dann dachten im ersten Akt alle Zuschauer, es würde vielleicht ein Lustspiel werden. Muhme Rese sagte, es würde vielleicht Genoveva gespielt, dies war nämlich das einzige Stück, das sie je gesehen hatte.
Die Hauptsache aber war, daß das Stück den Zuschauern gefiel, und das tat es. Besonders entzückt waren die Kinder; sie fanden alles wundervoll, nur Seite 122waren sie enttäuscht, daß Heine Peterle und der dicke Friede nicht gleich von Anfang an auf der Bühne waren. Doch die ließen sich erst im zweiten Akt sehen. „Mit denen wird es ganz was Großartiges,“ sagte Muhme Rese zu Muhme Lenelies, neben der sie saß. „Nä, nä, mein Herze zittert vor Angst, wenn ich an unsern Heine Peterle denke. Wenn er's nur recht macht!“
Gemütlich war es just eben Heine Peterle nicht zumute. Der stand mit dem dicken Friede hinter der Bühne, und beide starrten ängstlich und ehrfurchtsvoll auf die Schauspieler, die hin und her gingen und so seltsam redeten. Die beiden Buben steckten in rosenroten Pagenanzügen, dazu hatten sie gelbe Mützen auf, und goldene Leuchter, die aber nur aus Blech waren, sollten sie tragen. Ganz wundervoll kamen sie sich vor. Der dicke Friede fand freilich seine Höslein, die er sonst trug, viel bequemer als die rosenroten, die waren so eng, daß er sich gar nicht zu rühren wagte. Und Heine Peterle sah auch schon krebsrot aus, so preßte und drückte ihn das Wämslein. Die Frau Direktor aber hatte beim Anziehen gesagt: „Ja, wer der Kunst dienen will, hat es nicht leicht. Für so ein Paar dicke Dorfbuben sind unsere Pagenanzüge auch freilich nicht gemacht!“
Seite 123Im zweiten Akt sollten die beiden Pagen auf der Bühne erscheinen, sie sollten neben dem Königsthron stehen ganz still und feierlich, und je näher der Augenblick kam, daß sie hinausgehen sollten, desto bänglicher schlugen ihre Herzen. Heine Peterle trat schon immer von einem Bein auf das andere, und dem dicken Friede lief der Angstschweiß über das Gesicht, als stände der Bube unter einer Regenrinne.
„Ich reiß aus,“ ächzte Friede einmal, und Heine Peterle seufzte tief. Ach, so schwer hatte er sich das Theaterspielen doch nicht vorgestellt. „Wenn's doch erst vorbei wäre!“ murmelte er.