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Fünfzehn heitere Erzählungen:Einleitung. Warum noch ein Buch geschrieben wurde.
日期:2024-03-19 10:16  点击:223
An einem Wintertag, an dem es draußen schneite und wehte, als hätte der Winter Sehnsucht, ein paar erfrorene Nasen zu sehen, saß der Schullehrer von Oberheudorf in seinem Wohnzimmer und las seiner Frau aus einem Buche vor. Die Kälte und der Sturm draußen kümmerten sie alle beide nicht, sie lachten einmal laut, einmal leise, und die Frau Lehrerin rief manchmal: „Na, so etwas!“ und ihr Mann nickte dann und sagte vergnügt zwischen Vorlesen und Lachen: „Es stimmt, es stimmt! Wirklich, so ist es gewesen, ganz genau so!“
 
Einmal sahen beide auch traurig drein, und die Frau wischte sich verstohlen ein paar Tränlein aus den Seite 2Augen, und dann wurden sie alle beide wieder vergnügt und waren so eifrig zusammen, er beim Lesen und sie beim Zuhören und Strümpfestopfen, daß sie gar nicht hörten, als es draußen klopfte. Erst als das Klopfen stärker wurde, hörte der Lehrer auf zu lesen, und seine Frau ging und öffnete die Türe. Herein kam ein altes Weiblein, das hatte ein rotes Kopftuch um und ein so liebes, freundliches Gesicht, als wäre die Sonne seine allerbeste Freundin. Die Lehrersleute riefen ihr auch recht vergnügt entgegen: „Ei, guten Abend, Muhme Lenelies! Das ist recht, daß Sie sich mal sehen lassen. Sie kommen just auch gerade wie gerufen!“
 
Muhme Lenelies mußte sich an den Ofen setzen, und die Hausfrau brachte ihr geschwind eine Tasse heißen Kaffee und ein Stück Wecken, und als die Alte nun so recht vergnügt und behaglich dasaß, nahm der Herr Lehrer das Buch und las ihr etwas daraus vor.
 
Da staunte aber die gute Muhme Lenelies. Sie schlug die Hände zusammen und rief: „Ih nä, die Geschichte ist doch hier in Oberheudorf passiert, nu ganz gewiß! Daß mir mein Friede, mein Herzensjunge, in den Suppentopf gefallen ist, das muß ich doch wissen!“
 
„Freilich, freilich,“ lachte der Lehrer und zeigte der alten Frau das hübsch eingebundene Buch. „Da lesen Sie nur einmal!“ Ein bißchen mühsam und stotternd Seite 3buchstabierte die Muhme, denn es war schon lange, lauge her, seit sie in der Schule lesen gelernt hatte: „Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten.“
 
„Was sagen Sie dazu, Muhme? Lauter Geschichten von unsern Buben und Mädeln stehen in dem Buch,“ rief die Lehrersfrau. „Von Heine Peterle, wie er zum ersten Male in die Stadt gegangen ist, und von Schulzens Jakob, von den drei Frieden, von Annchen Amsee, Röse und Mariandel, selbst von Schnipfelbauers Fritz, diesem unnützen Strick, wird darin geschrieben. Und auch Sie kommen darin vor, Sie und Ihr Häusel und mein Mann und ich und sogar, kaum zu glauben ist's, auch der Herr Schulrat.“
 
„Jemine, jemine,“ rief die Muhme, „so etwas ist mir in meinem Leben noch nicht passiert. Ein Buch, ein richtiges Buch ist über Oberheudorf geschrieben worden? Potztausend noch mal, da wird ja unser Dorf bekannt werden wie ein bunter Hund oder wie die Schimmel von unserm Herrn Grafen, die auch jeder Mensch in der Gegend kennt.“ Plötzlich aber machte Muhme Lenelies ein ganz ängstliches Gesicht und fragte zaghaft: „Aber liebste, beste Frau Lehrer, sagen Sie mir nur, kommt mein Häusel auch sauber darin vor? 's wäre mir doch zu schrecklich, wenn jemand sagen möchte, ich hätte nicht reine gemacht.“
 
Seite 4„Na, wer sollte das wohl sagen?“ meinte die Lehrersfrau. „Bei Ihnen sieht es doch immer blitzsauber aus, Muhme. Aber wissen Sie, die Geschichte, wie Ihre Ziege Friederike sich betrunken hat, steht auch im Buche.“
 
„Du meine Güte!“ schrie die Alte entsetzt. Sie stellte in ihrer Verwirrung die Kaffeetasse neben die Bank, – plumps, lag die Tasse unten, und es gab eine kleine braune Überschwemmung, worüber die gute Muhme noch verlegener wurde. Sie stammelte tausend Entschuldigungen, und die Lehrersleute mußten sie richtig trösten. Dann aber wollte Muhme Lenelies wissen, was für Geschichten noch im Buch stünden, und der Herr Lehrer erzählte und las vor, und alle drei staunten, lachten, freuten sich, schauten die Bilder an, und es war ihnen, als kämen so nach und nach alle Oberheudorfer Kinder hereinspaziert. Auf einmal sagte die Frau Lehrerin: „Von dem Hünengrab steht doch nichts drin, und was die Mädel dabei für eine Dummheit gemacht haben!“
 
„Nein,“ erwiderte ihr Mann, „die Geschichte fehlt. Ach, es fehlen überhaupt noch viele, viele Geschichten. Vom Theaterspiel ist nichts geschrieben worden und nichts davon, wie Heine Peterle und Schulzens Jakob Gespenster gesehen haben.“
 
Seite 5„Und die Geschichte fehlt auch, wie es dem Kohlbauern und unsern Kindern zu Fastnacht ergangen ist,“ rief die Muhme, „und von dem Nachtwächter ist auch nichts erzählt worden.“
 
„Ein paar von Muhme Lenelies' Märchen könnten auch noch drin stehen,“ meinte die Frau Lehrerin, „die gefallen mir gerade so gut.“
 
Die Muhme wehrte bescheiden ab, aber der Herr Lehrer gab seiner Frau recht. Nachdenklich sagte er: „Es gäbe freilich ein sehr, sehr dickes Buch. Eigentlich könnte noch ein Buch geschrieben werden, Geschichten genug sind in den letzten Jahren in Oberheudorf passiert.“
 
„Es passiert wirklich erstaunlich viel,“ rief Muhme Lenelies stolz. „Ich sag's ja immer, unser Oberheudorf ist ein ganz besonderes Dorf. Wenn jemand angefangen hat, etwas davon zu schreiben, dann soll er es auch ordentlich tun, und wenn ich der Herr Lehrer wäre, dann wüßte ich, was ich täte: Ich setzte mich hin, schrieb in die Stadt, dahin, wo das Buch gedruckt worden ist, es möchte geschwind jemand herkommen und noch alle die Geschichten aufschreiben, die hier nicht drin stehen.“
 
„Muhme Lenelies hat recht,“ sagte die Lehrersfrau und goß der Alten schnell die dritte Tasse Kaffee ein. „Tu es doch, lieber Mann! Gefällt den kleinen Leuten Seite 6draußen in der weiten Welt ein Buch von Oberheudorf, so gefällt ihnen wohl auch ein zweites.“
 
Der Lehrer lachte herzlich; er nahm eine Feder, tauchte sie in sein Tintenfaß und schrieb eins, zwei, drei den verlangten Brief. „Er wird schon etwas nützen,“ sagte die Muhme, stand auf und wickelte sich wieder fest in ihr Umschlagtuch, denn es war Zeit zum Heimgehen. Mit vielen Dankesworten nahm die Muhme Abschied. Den Brief versprach sie beim Wirt Kaspar auf dem Berge abzugeben, der fuhr am nächsten Morgen zur Stadt und sollte ihn dort zur Post bringen.
 
Und Muhme Lenelies ging heim. An diesem Tage aber nahm der kurze Weg schier kein Ende, denn wen die alte Frau sah, wer nur seine Nase zur Haustür heraussteckte, der bekam geschwind die Geschichte von dem Buche zu hören. Alle staunten und freuten sich, waren stolz und sagten wie die Muhme: „Hoffentlich gibt es noch ein zweites Buch! Wenn schon, denn schon. Von unsern Oberheudorfer Buben und Mädeln kann man wirklich noch mehr Geschichten erzählen. 

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