Tief im Walde mitten auf einer grünen Wiese stand ein großer alter Dornbusch, und in ihm baute sich das Neuntöterpärchen sein Nest.
An dem ersten Maitage, an dem die Sonne ordentlich schien, wurde das Nest fertig; und nachdem sie ein Weilchen beisammen gesessen und die Zukunft besprochen hatten, legte Frau Neuntöter drei gute Eier.
„So,“ sagte sie und seufzte so tief, wie ein Neuntöter überhaupt seufzen kann. „Nun ist es vorbei mit der Jugend und ihren Torheiten; der Ernst des Lebens beginnt.“
Ihr Mann tröstete sie, so gut er konnte, während sie sich verdrießlich auf den Eiern zurechtsetzte und nicht auf ihn hören wollte.
„Ihr Männer schwatzt, wie ihr’s versteht,“ sagte sie. „Ihr solltet es selber einmal versuchen; aber ihr begnügt euch mit schönen Reden und überlaßt uns das Brüten. Mach’ kein so verliebtes Gesicht! Es steht dir nicht und macht mich nervös. Spute dich und fang’ mir eine fette Fliege!“
Am Abend war sie ganz außer sich vor Wut.
„Hätte ich gewußt, was ich jetzt weiß, so hätte ich mich nicht verheiratet, und wenn du noch so[S. 164] schön gesungen hättest,“ schrie sie. „Ich halte es nicht aus! Ich halte es nicht aus! Ich fliege fort!“
Der Neuntöter hörte sie ruhig an. Mit seinen früheren Frauen hatte er dieselbe Geschichte erlebt — denn ein Neuntöter nimmt in jedem Frühjahr ein neues Weibchen —; und er wußte, daß diese Aufregung sich wieder legen würde.
„Du kannst heute noch recht gut einen kleinen Ausflug unternehmen,“ schlug er vor. „Aber dann mußt du während der übrigen Zeit auch hübsch still sitzen; sonst kommen nie und nimmer Junge aus den Eiern. Meine vorige Frau — —“
„Bitte, verschone mich mit dem Frauenzimmer!“ schrie sie.
Im selben Augenblick flog sie auf, und der Neuntöter folgte ihr schleunigst; denn er fürchtete, sie könne in ihrer Aufregung zu Schaden kommen.
Aber als die beiden soeben fortgeflogen waren, setzte sich ein andrer Vogel neben das Nest und starrte hinein.