„Jungen sind keine richtigen Menschen,“ sagte der Kanarienvogel. „Wenigstens nicht in dieser Beziehung. Sie können unglaublich schlechte Luft vertragen.“
„Nicht, wenn sie krank sind,“ bemerkte die Pelargonie. „Und der Junge ist krank. Das weiß ich bestimmt. Seine Mutter hat es auf dem Markt zu der Frau gesagt, von der sie mich kaufte.“
„Ich sollte nicht wissen, daß er krank ist?“ versetzte der Kanarienvogel. „Ich, sein Liebling? Der Doktor sagte, ich müsse hinausgetragen werden, aber der Junge wollte es nicht haben, und darum blieb ich. Und ich sollte auch jeden Abend mit einem gräßlichen schwarzen Tuch bedeckt werden. Aber er bat, es nicht zu tun, damit er mich sehen könne. Wenn ich nicht wüßte, wie es um den Jungen steht, wer sollte es denn dann wissen?“
„Ich,“ rief die Lampe und schnalzte abermals mit der Feuerzunge. „Die Pelargonie ist erst gestern[S. 154] gekommen und kennt nur das Gewäsch, das sie auf dem Markt gehört hat. Der Kanarienvogel ist auch erst seit dem letzten Geburtstag des Jungen da, aber ich bin von Anfang an hier gewesen.“
„Bist du denn so alt?“ fragte die Pelargonie.
„Allerdings,“ zischelte die Lampe. „In der Nacht, als er geboren wurde, habe ich in der Schlafkammer gestanden. Ich habe die Hebamme beschienen. Und ihn selber, als er als kleiner roter Bursche da lag und sein erstes Gebrüll von sich gab. Damals war ich vornehmer als jetzt. Es war mehr Bronze an meinem Fuß, und meine Glocke war auch noch nicht entzwei. Als es anfing, mit mir bergab zu gehen, kam ich in dieses Zimmer.“
„Herrgott,“ schrie der Kanarienvogel.
„Und ich klage nicht. Es ist ein sehr guter Platz für eine ältere Lampe. Hier ist nicht mehr Arbeit zu verrichten, als ich bewältigen kann. Im Sommer werde ich nie angezündet, und im Winter bloß, wenn der Junge Schularbeiten zu machen hat, und dann, wenn er zu Bett muß. Aber an den Aufgaben lernt er nicht besonders lange, und ins Bett geht er im Geschwindmarsch, und dann löscht Mutter mich aus. Manchmal werde ich freilich wieder angezündet, wenn wir in der Küche ein paar Streichhölzer gemaust haben und im Bett noch etwas lesen wollen... Das ist ein sehr großes Verbrechen und darum unvergleichlich schön. Wird es entdeckt, so bekommt der eine von uns Prügel,[S. 155] und der andre wird sofort ausgeblasen. Aber in der jetzigen Zeit steh’ ich Nacht für Nacht angezündet und muß bis zum frühen Morgen brennen, wenn auch nur mit halber Flamme.“
„Ja, das ist eben das Unglück,“ sagte der Sauerstoff.