Es war auch wirklich kein Wunder, daß der Junge so dünn war. Er bekam nichts andres zu essen als die Milch, die neben seinem Bette stand, und außerdem eine scheußliche grüne Medizin, die er beinahe nicht herunterkriegen konnte. Von der Medizin erhielt er alle zwei Stunden einen Eßlöffel voll, und von der Milch durfte er so viel trinken, wie er wollte. Aber er hatte fast nie Lust dazu; und damit waren der Doktor und seine Mutter sehr unzufrieden.
Jetzt kam seine Mutter in die Stube. Sie brachte in einem Blumentopf eine große, pracht[S. 139]voll leuchtende rote Pelargonie. Die setzte sie so auf den Tisch, daß der Knabe die Blume sehen konnte.
„Ist sie nicht schön?“ fragte sie. „Die habe ich auf dem Markt gekauft. Sie soll dir gehören und dir erzählen, daß es jetzt bald Frühling wird. Dann springen alle Knospen auf, und alle kleinen Jungen werden gesund. Ist sie nicht herrlich?“
„Gewiß,“ antwortete der Junge.
„Es war die schönste, die da war,“ sagte die Mutter. „Und die größte. Willst du sonst noch etwas haben?“
„Darf der Vogel nicht auch hierher kommen?“ fragte er.
„Jawohl, das darf er,“ erwiderte sie.
Und sie setzte das Bauer neben die Pelargonie; und als der Kanarienvogel die schöne rote Blume sah, da fing er an zu singen; denn auch er hatte die Empfindung, daß es jetzt Frühling sei.
Da lächelte der Junge ein ganz klein wenig. Die Mutter küßte ihn und ging in die Küche; denn sie mußte ja dafür sorgen, daß das Essen fertig war, wenn der Vater aus dem Kontor nach Hause kam. Und Vater kam nach Hause und ging zu seinem Jungen hinein. Dann aßen sie in der Stube nebenan. Der Junge hörte das Tellergeklapper und Messergeklirr. Er dachte daran, zu fragen, was sie zu Tisch hätten, gab es aber auf, weil er zu[S. 140] müde war, und weil es ihn auch gar nicht interessierte.