„Der Löwe rührt sich nicht,“ erwiderte sie traurig. „Er liegt zu Hause und starrt und starrt vor sich hin. Aber nun sollt ihr hören, was ich euch zu sagen habe.“
Da scharten sich alle um die Löwin und lauschten.
„Wir alle sind in Gefahr,“ begann sie, „wir alle ohne Ausnahme. Ich habe gesammelt, was ich vom Zweifüßler gehört und gesehen. Und ich kenne seinen Charakter und seine Pläne, als hätte er sie mir anvertraut. Die ganze Erde will er sich unterwerfen. Er und seine Kinder wollen über uns herrschen — im Guten wie im Bösen.“
„So ist es!“ riefen die Tiere.
„Ja, so ist es!“ wiederholte die Löwin. „Niemand darf sich für sicher halten. Das stärkste Tier und der größte Baum — hat er sie heute nicht gefällt, so kommt die Reihe morgen an sie. Der niedrigste Wurm und das erbärmlichste Kraut — ihr wißt nicht, wann er euch braucht, oder wann ihr ihm lästig werdet. Dann hat eure Stunde geschlagen.“
„Ja, ja!“ riefen sie.
Die starke Eiche nickte mit ihren knorrigen Ästen, der Hirsch senkte betrübt sein Geweih, der[S. 71] Regenwurm flüsterte im Erdreich sein „Ja!“ und die Bienen zitterten vor Angst.
„So ist es!“ sagte die Löwin. „Für ihn sind wir entweder nützlich oder schädlich — sonst nichts. Findet er eine Blume hübsch, so nimmt er sie in seine Hut; mag seine Nase ihren Geruch nicht ausstehen, so zertritt er sie. Spendet ein Baum ihm im Schlafe Schatten, so läßt er ihn wachsen. Steht der Baum ihm aber im Wege, oder kann er das Holz gebrauchen, so fällt er ihn. Verspricht ein Tier ihm Nutzen, so fängt er es ein und macht es zu seinem Sklaven. Er bekleidet sich mit seinem Fell, er ißt sein Fleisch und läßt es arbeiten. Er hört nicht auf, wenn er satt ist, wie wir andern. Gierig, wie er ist, fängt er Tiere ein und sammelt[S. 72] Früchte für eine lange Zeit, damit er nie Not zu leiden braucht.“