„Hat man je so etwas gesehen!“ rief die Nachtigall. „Wenn unsereiner stirbt, bleibt man liegen, wo man umfällt, oder wohin man sich geschleppt hat. Von dem Jungen des Zweifüßlers aber soll ein Aufhebens gemacht werden, wie zu ewigem Gedächtnis. Ich weiß nicht einmal, wo meine lebendigen Kinder vom vorigen Jahre geblieben sind, geschweige denn das arme Wesen, das aus dem Nest hinausfiel und den Hals brach.“
„Gebt nur acht! Es kommt noch schlimmer!“ sagte das Rind.
Und so war es. Eine Woche später ereignete sich etwas, das die Tiere des Waldes noch mehr aufbrachte als alles, was bisher geschehen war.
Frau Zweifüßler sah einen prächtigen Paradiesvogel auf einem Baum sitzen.
„Wie wunderschön sind diese Federn!“ rief sie. „Wer die hätte, könnte seinen Kopf damit schmücken.“
Und der Zweifüßler, der sie über den Verlust des Kindes trösten wollte, ging sofort mit seinem Speer hin und kehrte nach einer Weile mit dem toten Paradiesvogel zurück. Sein Weib rupfte die Federn aus und steckte sie ins Haar. Und beide freuten sich über den prächtigen Schmuck.
„Das ist denn doch zu toll!“ rief erbittert die Nachtigall. „Er tötet einen Vogel, bloß um[S. 42] seine Frau mit den Federn auszustaffieren. Da muß man ja froh sein, wenn man grau und häßlich ist.“
Gefolgt von einem großen Schwarm, trat die Paradiesvogelwitwe vor den Löwen, um Klage zu führen:
„Die neuen Tiere haben meinen Mann getötet, und nun sitze ich da als Witwe mit vier kalten Eiern. Wäre ich auf ihnen liegen geblieben, so hätte ich verhungern müssen, da mein Versorger ermordet ist. Da ging ich fort, um mir etwas zu essen zu verschaffen. Und als ich nach Hause kam, da waren die Eier kalt und tot. — Hier steh’ ich und fordere Rache und Bestrafung des Mörders!“
„Was soll man dazu sagen?“ entgegnete ihr der Löwe. „Es gibt ja so viele Witwen im Walde. Ich selbst frage auch nicht, ob das Tier, das ich töte, wenn ich hungrig bin, zu Hause Frau und Kinder hat.“