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Ein modernes Mädchenbuch:Was Mädchen nicht wissen sollen.
日期:2024-01-30 14:07  点击:213
Oben, fünf Stock hoch, wohnte die arme, junge Frau in der Mansarde. Sie war ganz unförmig und hatte ein hageres, eingefallenes Gesicht. Da ihre Beine geschwollen waren, konnte sie die vielen Stockwerke nicht mehr hinabsteigen, um in Arbeit zu gehen.
 
Fräulein Helene brachte ihr heimlich alltäglich das Essen hinauf.
 
Wissen durfte niemand davon, denn ihre Eltern hätten sie gescholten und ihr niemals gestattet, so bei „allerlei Leuten“ herumzulaufen.
 
Wenn das feine, junge Mädchen über die Treppe der Armut stieg, sorgsam die Röcke raffend, damit dieselben nicht vom Schmutz der[S. 80] Stiege verunreinigt würden, so wurde ihr wirr zu Mute über die Kompliziertheit des Lebens.
 
Irgendwo war es nur hell, weiß, schön und irgendwo schien alles grau, Schmutz, Ekel. Wenn nur mein Leben heilig und schön bliebe, wünschte ihre Seele.
 
Die junge Frau kam ihr diesmal nicht entgegen. Sie saß am Bettesrand. Und obwohl ihr armes Leidensgesicht ganz unbewegt schien, gingen doch zwei stille Thränen ihren Weg über die Wangen. Helene wußte nicht, was sie fühlte. Viel Mitleid vielleicht, aber auch Ekel. Dennoch sagte sie mild: „liebe Frau, soll ich Ihnen den Arzt schicken?“
 
„Nein, nein, danke, Fräulein.“ Und dann stöhnte sie plötzlich auf, als zerrisse ihr Leib. Die Nachbarin kam herein. „Fräuleinchen, fort von hier. Wenn das Ihre Leute wüßten.
 
Werde schon nach Hilfe sehen. Gehen Sie nur schnell fort und kommen Sie nicht wieder. Sonst giebt es Schelte für uns arme Leute.“
 
„Soll ich ihren Mann holen? Wo ist ihr Mann?“
 
[S. 81]
 
„Mann? Hehe! sie hat keinen. Ihr Bräutigam ist fortgelaufen, als sie ihm sagte, daß ein Kind kommt.“
 
„Ein Kind?“ rief Helene erschreckt, während ein zweites, mächtigeres Grauen in ihrem Innern auflohte. Ihr war, als müßte sie umsinken vor Entsetzen, aber ein Ekel hielt sie aufrecht. Es kam ihr vor, als würde sie mit in den Sumpf gezogen, dessen sie im Halbverständnis der angedeuteten Worte inne ward.
 
Ihre Seele that heimlich den Eltern Abbitte. So etwas gab es!
 
Aber die junge Frau stöhnte immer heftiger, während die alte Nachbarin ihr bedeutete, fortzugehen.
 
Plötzlich entsann sie sich, daß eine neugierige Freundin einmal im Konversations-Lexikon über die Geburt nachgelesen hatte und einer zweiten Freundin hatte es das Dienstmädchen erzählt. Nur ihre Eltern thaten, als wußten sie nichts davon.
 
Helene zitterte, wollte nicht bleiben, konnte nicht fort.
 
[S. 82]
 
Das wurde also ein Kind ohne Vater. Und zu solchen Leuten ging sie. Die mußte man ja verachten, das schlechte Geschöpf. Danach dachte sie: muß ich gleich verurteilen, was ich für mich selbst als schlecht empfände? Und sie schämte sich ihrer Pharisäergedanken.
 
Die alte Nachbarin, die einstweilen Wasser gehitzt und eine Menge Bändchen, Tücher und eine Schere bereitete, sah so ruhig aus. Helene konnte nicht umhin, dies gemeine Weib, mit den groben, furchigen Arbeitshänden mit einer Art Ehrfurcht zu betrachten. Während sie selbst zitterte, war jene die ruhig Helfende. All das Hündisch-Demütige der Armut war von ihr weg, und sie schien von einer stillen Größe. In ihrem Antlitz lag etwas Erzstarres und dennoch Güte. Wie eine Priesterin des Schmerzes erschien ihr die Alte, die der Leidenden zuzurufen schien: „Weib, erfülle Dein Schicksal.“
 
Helene flüsterte ihr zu: „müssen alle Frauen so leiden?“
 
„Alle! Die einen mehr, andere weniger, aber alle, alle.“
 
[S. 83]
 
Wieder wirbelte es durch ihr Inneres. Alle? Und warum verachtet man, oder bespöttelt man die, welche verunstaltet durch die Gassen gehen, mit der Last des zukünftigen Lebens in ihrem schwachen Leib.
 
Man sollte sich vor ihnen neigen, wie vor dem Herrscher, wenn er vorübergeht.
 
Nun aber drängte die Alte, sie müsse Hilfe holen, es würde Zeit und Helene müsse unbedingt fort.
 
Es stieg wieder eine Verachtung für jenes Weib in ihr auf. Dann fragte sie: „Wird sie auch so schwer leiden müssen?“
 
„Natürlich.“
 
Helene zitterte, dann ging sie zu der Stöhnenden, reichte ihr, was sie sonst nie gethan, die Hand und flüsterte leise: „Möge es Ihnen wohlergehen, Mutter!“
 
Als Helene nach drei Tagen Zeit fand, wieder zu der Verlassenen hinzugehen, kam ihr die Alte an der Thür entgegen, noch starrer als sonst.
 
„Es ist vorüber,“ sagte sie hart.
 
„Was?“
 
[S. 84]
 
Die Alte deutete hinein, ohne sie anzusehen. Im Zimmer lag in einem schmalen Holzsarg die junge Frau. Kein Kranz, kein Schmuck. Arme Leute zieren Tote nicht. Armer Leute Geld reicht nur zum Hungerstillen.
 
Helene fing zu weinen an. Die Alte sah fast verächtlich zu ihr hinüber. Ihre Weichheit schien ihr Schwäche.
 
„’s ist gut so, sie hat sich’s zu sehr zu Herzen genommen. Die Schande hat sie umgebracht.“
 
„Aber wenn alle gut und verzeihend mit ihr gewesen wären, hätte sie da gelebt?“
 
„Wahrscheinlich.“
 
„Und das Kind hätte jemand gehabt, der es geschützt und gepflegt hätte! Nun wird es wieder schutzlos sein, wie die arme Tote und alles wird wieder so häßlich werden, weil niemand gut ist.“
 
Die Alte sah wieder so sonderbar zu ihr.
 
Dann ging sie ins andere Zimmer und machte Milch warm für das erwachte Kind, und mit vieler Zartheit kam sie seiner kleinen Hilflosigkeit entgegen.
 
[S. 85]
 
Als das Kind gesättigt war, legte sie es hin und sagte barsch: „Heute kommt es ins Findelhaus.“
 
Dann ging sie zur Thür hinaus.
 
Erschüttert ging Helene weg.
 
Sie dachte: „So schwer ist unser Leben. Ein Schicksal liegt auf unserem Scheitel. Und man öffnet uns nicht die Augen. Man läßt uns lächeln und vertändelt sein. Wir wissen nichts vom Leben. Wir fehlen oder thun Gutes, werden dafür verurteilt oder gelobt und begreifen selbst nichts davon. Einst sollen wir dieses Schauerliche und Süße werden: Mütter! Wir tragen der Menschheit Zukunftshoffnung in unserem Schoß.“
 
Helene gelobte sich: „Und ich will dieser armen Toten gedenken, wie die einfache Frau mich durch ihr Thun gelehrt: nicht mit Worten oder schönen Gefühlen, sondern in Werken.
 
Warum sagt man uns nichts vom Leben, von unserem Leben, damit unsere eigenen Seelen nicht leichtsinnig verworfen werden, sondern weiß und heilig bleiben, für das Schicksal, das unserer harrt?“
 
[S. 86]
 
Sie ging die Straßen entlang, ihrem Hause zu. Mechanisch streiften ihre Augen die Aufschriften an den Läden. An einer Thür hing ein Schild: Heute Schlachtfest.
 
Ihre verletzte Seele buchstabierte den Augen nach: Schlachtfest. Sie sah das bluttriefende, noch rauchende Fleisch, aus dem der ihm eigentümlich fad-üble Geruch stieg. Da ein Bein, dort der Kopf, enthäutet, noch mit den Augen darin. Das hatte noch vor wenigen Stunden gelebt. Darin pulsierte fröhlich das Blut, welches nun zerronnen am Fleisch klebte. Auch das ist unter Qual dem Leben gegeben worden, dachte sie. Dann: „Wie können Mütter sich von Getötetem nähren? Frauen muß alles Geborene heilig sein. Der Mann mag das Töten verherrlichen, wir aber wollen das Leben feiern und alles Geborene ehren und schützen. Denn in uns liegt des Lebens Sinn. Und unser Werk dieser Erde muß Güte sein und wieder Güte und der Güte nie genug...“ 

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