Hella ging mit der Malerin durch den Wald. Es war Sommer. Die heiße Nachmittagssonne konnte nicht direkt herabglühen. Das Laub der Bäume, je nachdem es dichter oder schütterer stand, war heller, goldiger oder tiefergrün beleuchtet. Wie ein Sonnenlächeln strahlte das Licht durch den Wald.
Hella und die Malerin plauderten miteinander.
Hella sprach mit ihrer selbstüberzeugten, sicheren Jung-Frauenart: „Das Porträt ist sehr schön, aber zu nüchtern. Wissen Sie, es ist so, wie der Wald hier ist, aber das Sonnenlächeln drüber fehlt. Und das ist doch das schönste daran.“
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Die Malerin antwortete: „Ja, könnte ich immer, wie ich wollte. Aber ich muß es den Leuten recht machen. So wie die es wollen, muß ich es machen, sonst bekomme ich keine Aufträge.“
Das Mädchen fühlte sich durch diese Antwort angewidert. Sie dachte, man müsse lieber leiden, als seiner Ueberzeugung untreu werden. Nachher schämte sie sich ihrer absprechenden Anmaßung. Dachte, wie schwer das Leben wohl sein mag und wie schrecklich der Kampf um die nötigen Daseinsbedingungen. Und da wurde es ihr klar: einige sind stark genug zu widerstehen und sich endlich durchzusetzen, andere jedoch müssen nachgeben, um leben zu können. Und Leben-Können ist doch der Zweck des Daseins.
Dann sah sie die Malerin an. Sie hatte dunkelgrüne Augen. So ungefähr, wie die dunklen Stellen einer Resedablüte oder eines tiefgrünen Chrysoberylls. Sie selbst aber hatte eine kornblumenblaue Leinwandbluse. Etwas ganz gewöhnliches. Aber dieses Blau, das an[S. 74] sich durch die Art des Stoffes am Kleidungsstücke stumpf erschien, spiegelte im Glanz der Augen in ungeheurer Heftigkeit. Das schwarze Innere der Pupille verschwand. An seiner Stelle leuchtete eine blaue Rundung, wie von blankpoliertem Lapis lazuli. Und rings herum der grüne Kranz des Augensternes. Das Weiße im Auge strahlte gletscherfarben. Es war wunderschön. Etwas Mystischem, Dämonischem glich dieser Anblick. Und es war doch nur der Widerschein der gemeinen Leinwandbluse in den freundlichen Augen der Malerin. Aber daß eben so aus Nichts plötzlich ohne unser Wissen und Zuthun Bedeutendes werde, das ist das Rätselhaft-Wunderbare des Lebens.
Da Hella die Malerin mit begeisterten Worten auf ihre Beobachtung aufmerksam machte, sprach diese ihre Verwunderung aus, daß ein junges Mädchen, welches nicht male, solches bemerke.
„Ja, warum denn nicht,“ sagte Hella. „Woran sollte man sich sonst freuen?“
Die Malerin sagte: „Wenn alle solch’ geübte Augen hätten, wäre für uns das Malen leichter.[S. 75] So müssen wir manches anders malen, als wir es sehen, weil wir wissen, daß es das Publikum nicht verstehen würde.“
Hella erhitzte sich, indem sie erwiderte: „Das sollte kein Maler thun. Das ist ein Versündigen an der Kunst. Mögen die Leute sehen lernen!“
Die Malerin dachte seufzend nach. Dann sagte sie: „Sie haben ja recht. Aber das Leben ist schwer. Indes giebt es ja viele, die wahren Künstler, welche lieber eine Weile den Spott der Wenig-Beobachtenden hinnehmen und getreulich wiedergeben, was sie sehen. Spät, oft erst nach ihrem Tode kommen die, welche sie verstehen und ihnen recht geben. Aber gemeiniglich ist für den gewöhnlichen Menschen der Himmel blau, der Sonnenuntergang gelb, die Anzeichen des Windes am Himmel rot. Damit ist ihr Farbensehen der Natur zu Ende.“
Hella flüsterte geheimnisvoll: „Wissen Sie, jemand anderem würde ich es nicht verraten, man würde mich ja auslachen. Doch Ihnen kann ich es sagen. Ich sah einen Sonnenunter[S. 76]gang, da erschienen die Fenster der Häuser türkisblau. Das war märchenschön.
Und dann ein andermal konnte ich einen Brand beobachten. Unten drängten sich die Menschen wie häßliches Ungeziefer. Es war Sommer und ungefähr ½-9 Uhr abends. Das Licht der Laternen hatte noch keine Leuchtkraft. Aber die Brandlohe war so intensiv, daß sie den Himmel leuchten machte. Nie hätte ich mir dies als möglich gedacht. Das Firmament hatte das tiefe Blau eines südeuropäischen Himmels. Und goldene Sternentropfen fielen aus der Luft. Oben aber, ferne und blaß wie Auerlicht mit schlechtgewordenen Strümpfen, hingen die Sterne. Denken Sie, unsere schönsten Sterne!“
Die Malerin lächelte über diese drollige Beschreibung, während Hella fortfuhr: „Und die Straßen sahen gräßlich aus; durch das übermäßige Licht schien die unbeleuchtete Seite in tiefstem Schatten, die andere aber phantastisch erhellt. Es war, als wäre die Grellheit des Blitzes bleibend geworden.
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In allen Fenstern sah man Menschen. Doch man unterschied weder Augen noch Haare. Sondern ihre Gesichter hingen nur wie Riesenbüschel fahlfarbiger Früchte aus den Fensterrahmen.“
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Wieder dachten beide nach. Die Malerin sagte: „Haben Sie gesehen, daß der Sonnenuntergang in manchen Gegenden violett ist?“
Die junge Eigensinnige entgegnete: „Violett? Nein! Aber tieffliederfarben. Es giebt eine Art seltener Syringen, die so tief im Ton sind, d. h.“ und sie verbesserte sich selbst „eine Nuance zwischen tieffliederfarben und mauve.“
Ihr Gesicht drückte ein leises Mißbehagen aus. „Wissen Sie,“ meinte sie zur Malerin, „die Maler können überhaupt meistens die Farben gar nicht benennen.
Aber malen können wir sie! Ja, das ist wahr. Doch wie soll sich der Schriftsteller helfen? Es giebt rot, blau, grün, gelb, weiß, schwarz, violett. Dann sind wir fast fertig. Wie brutal muß da eine Beschreibung sein,[S. 78] während das Auge die herrlichsten Nuancen sieht, die so schön zusammenstimmen, wie Harmonieen.“
„Nun, so belehren Sie die Leute, wenn Sie es besser wissen,“ sagte die Malerin mit leichtem Spott.
„Das will ich auch einst, bis ich mehr weiß,“ sagte Hella mit träumender Heftigkeit. „Aber wo soll ich anfangen? Selbst innerhalb der paar armseligen Worte, die die Menschen für Farben haben, haben sie nicht Gefühl genug zu unterscheiden, daß eine Farbe in glänzendem Stoff zu einer anderen paßt, während dieselbe, matt zur anderen gebracht, disharmoniert.“
Die Malerin, die mehr auf Sehen, als auf das Reden über das Sichtbare eingerichtet war, fand sich verletzt und gelangweilt.
So schieden sie, eben als Hella noch etwas von ihren Beobachtungen verraten wollte.
Die Malerin dachte: „Ein bißchen verrückt ist sie doch.“