Verwittert, zerfallen, von Balken gestützt, hat bis zum Vorjahr der Turm im Hofe des Polizeigebäudes auf die Gestalten herabgeschaut, die — ihm ähnlich — auf ihren Krücken allmittäglich aus dem Arresthause in den städtischen Schubwagen humpelten. Trotz der Stützbalken schien es, daß der greise Turm jeden Augenblick zusammenstürzen könne. Man wollte ihn daher demolieren, aber Rücksichten auf die Erhaltung dieses Denkmals historischer Zeiten, in denen noch ein Wall die innere Stadt umgab, haben die Ausführung dieser Absicht verwehrt. So mußte man den Turm renovieren und heute steht der alte Bau freundlich und wohnlich da.
Hierher ist jetzt das von Oberkommissär Protivenski aus dem Nichts geschaffene Polizeimuseum übersiedelt. „Polizei-Museum.“ Das klingt wie ein Oxymoron. Die Musen, die neun Beschützerinnen der schönen Künste, haben doch mit dem Handwerkszeug der Verbrechergilde nicht das Geringste zu schaffen! Wohl. Aber die Tätigkeit, die im Dienste der Kultur und Wissenschaft erfolgreich die Spuren der Verbrecher zu ermitteln strebt, ist eine Kunst wie bald keine zweite. Das kann man nirgends so gut erfahren, wie hier im Polizeimuseum, wo man atemlos darüber staunt, mit welch genialem Raffinement, mit welchem Aufgebot von manueller und geistiger Geschicklichkeit die Welt der Verbrecher jede neue Errungenschaft menschlichen Schaffens ihren eigenen Zwecken dienstbar macht.
Vor dem Eingang merkt man noch nichts davon, welche Instrumente der Verbrecherwelt das Polizeimuseum birgt, denn über der Tür zum ersten Museumsraum sind Studentensäbel und Korbschläger in so dekorativer Weise angeordnet, daß man vermeinen würde, in eine Studentenbude zu treten, wenn man nicht wüßte, daß es sich um polizeilich konfiszierte Waffen handle. Immerhin eine freundliche Einführung für einen Raum, der vorwiegend der Tätigkeit der Einbrecher gewidmet ist.
Hier ist Papacostas Handwerkzeug untergebracht — der langjährige Clou des Prager Polizeimuseums. Denn Papacosta und seine Komplizen Afendakis, Maceo Stein und Perikles Slalio waren die ersten internationalen Einbrecher, die mit „allem Komfort der Neuzeit ausgestattet“ Geldschränke knackten und nur in Prag wurde man ihres ganzen Instrumentariums habhaft. Allerdings durch den Racheakt eines benachteiligten Mitgliedes der Bande. Vom 6. April 1894 an, an welchem Tage sie sich durch einen Einbruch in das an das Polizeikommissariat Heuwagsplatz angrenzende Etablissement Franz Valenta ihre elektrischen Bedarfsartikel verschafften, hatten sie ein halbes Jahr lang in kurzen Intervallen große Einbruchdiebstähle in Prag unternommen, ohne daß man eine Spur der Täter entdeckt hätte. Am 17. Dezember 1894 fand die Inhaberin des Bankgeschäftes Ig. S. Weiner, als sie am Morgen in das Geschäft kam, nicht nur zu ihrem Entsetzen Ladentüre und Kassen fast ganz aufgesprengt vor, sondern es waren auch unzählige Einbruchsgeräte auf dem Ladenpulte ausgebreitet: Die seither berühmte „Papacostasche Maulstange“, der große Zentralbohrer, die sinnreiche Blendlaterne, ein Ölfläschchen und etwa 40 Sperhaken — heute durchwegs Ausstellungsobjekte des Museums. Die Einbrecher hatten damals fluchtartig das Geschäft und auch am selben Tag Prag verlassen. Wie man einige Monate später vor Gericht erfuhr, hatte Stalio, der den Aufpasser vor der Ladentüre gemacht hatte, das Warnungssignal gegeben. Aus Rache, weil er sich bei der Verteilung der Beute übervorteilt glaubte.
Heute sind die damals angestaunten Utensilien der Papacosta-Bande nicht mehr die Glanzstücke des Polizeimuseums. Diese bilden nunmehr die Instrumente einer anderen auswärtigen Verbrecherorganisation, die in Prag ein blutiges Andenken hinterlassen hat, nämlich der Bande Wasinskis. Mit Staunen sieht man z. B. die vier Meter lange Maulstange. Man hat sie bei dem pockennarbigen Riesen Adamski gefunden, der in der Weihnachtsnacht unmittelbar nach dem Morde festgenommen worden war. Wie Adamski das vier Meter lange Instrument bei sich verbergen konnte? Nun, der lange Hebel der aus Birmingham-Stahl gefertigten Stange ist zusammenlegbar und so fest ineinanderfügbar, daß drei Männer mit aller Gewalt sich dagegen zu stemmen vermögen, wenn die Eisenplatte der „einbruchssicheren“ Kassen entzweigeschnitten werden soll. Natürlich kann die Riesenschere erst dann eingesetzt werden, wenn die elektrische Handbohrmaschine „Progreß“, deren Spannung 35 Volt beträgt, ihre Wirkung getan hat.
In allen Ehren kann neben den Internationalen aus Griechenland und Galizien auch ein heimischer Aussteller bestehen: Eduard Linhart, der an einem Wintersonntag des Jahres 1908 den Kellerplafond der Karolinentaler Vorschußkasse durchbrach und den Fußboden zerschnitt. Für diesen mißglückten Einbruchsversuch hat Linhart nicht weniger als 8 Jahre hinter den schwedischen Gardinen von Pankratz zuzubringen — eine harte Strafe, die wohl vor allem darauf zurückzuführen ist, daß die corpora delicti allzudeutlich von der Gefährlichkeit des Inkulpaten sprachen: Ein Zentralbohrer mit Schraube ohne Ende, mit Kraftübertragung durch Kurbeldrehung und einem Mundloch, den die „Goodel Pratt-Company“ hergestellt hat, eine feine „Fuchsschwanz“-Säge, ein Riesenhammer und allerhand ähnliches.
Durch elegante Form fällt das Reisenecessaire auf, in welchem die Kirchenräuber Kankovsky und Brünner ihre Einbruchswerkzeuge praktisch angeordnet hatten. Auch weniger bekannte Einbrecher haben dem Museum wertvolle Bereicherungen geliefert. Man sieht einen Gutaperchahandschuh, den ein Einbrecher angezogen hatte, um keine Fingerspuren zu hinterlassen und um an der elektrischen Leitung gefahrlos hantieren zu können. Man sieht Schlüssel mit auswechselbarem Bart, bei denen sogar jeder Bart auf zwei verschiedene Arten — normal und verkehrt — eingesteckt werden kann. Man sieht Schlüssel, deren Stiel aus lauter Schlüsselbärten besteht. Man sieht Hohlschlüssel für Patentschlösser. Man sieht abgesägte amerikanische Vorhängschlösser, sieht, wie Stecher-Schlösser einfach aus der Kassa herausgenommen werden, sieht Brustgriffe für Bohrinstrumente, sieht Pechpflaster mit den Resten der eingedrückten Fensterscheibe, an die sie angedrückt wurden, sieht Nagelstöcke zum Aufkratzen des Fensterkittes, sieht Strickleitern und stangenförmige hölzerne Kellerleitern mit Querleisten. Man sieht „Krähenaugen“, die Frucht von Paris quadrifolia, welche die Einbrecher den Wächterhunden vorwerfen, um diese zu vergiften. Auch eine photographische Darstellung des Einbruches, den die Kirchenräuber Wainar und Anton im Jahre 1904 in die Kapelle in Scharka unternahmen, ist hier ausgestellt, um zu zeigen, wie man damals mit Hilfe der Daktyloskopie bloß nach dem am Tatorte aufgefundenen Abdruck eines Handballens der Täter habhaft wurde.
Die Requisiten, welche bei Diebstählen in Anwendung kommen, sind gleichfalls in diesem Raum vorhanden. Sehr elegant ist ein Spazierstock, dem man es gar nicht ansieht, daß er zu einer Länge von drei Meter auseinandergezogen werden kann. Ein praktisches Mittel zum Stehlen von Gegenständen, die noch so weit vom offenen Fenster entfernt liegen mögen. Diese Stöcke heißen im Rotwelsch „Disputierer“, weil in den Gefängnissen die Häftlinge auf Latten, die sie irgendwo im Hofe gestohlen haben, einander die „Kassiber“, die Verständigungsbriefe zustecken, also mittels eines ähnlichen Instrumentes „disputieren“.
Das System, auf dem die Erfindung der „Betthaken“ beruht, ist ein analoges. Das sind winzige Angelhaken, deren drei scharfe Zacken ankerförmig angeordnet sind. Diese Haken werden an einer langen Schnur befestigt, deren Ende der Dieb in der Hand behält. An dem Haken wird ein Bleistück befestigt und nun das Instrument durch ein offenes Fenster in einen Stall oder in eine Wohnung geschleudert. Die Zacken bohren sich fest in eine Pferdedecke, ein Federbett, ein Kleidungsstück oder einen Sack ein und dieses Objekt wird nun mit Hilfe der Schnur aus dem Fenster auf die Straße gezogen. Fast bei jedem Zigeuner, der von der Gendarmerie oder der Polizei festgenommen wird, findet man dieses Diebswerkzeug.
Auf Schiffsverladeplätzen, in den Güterwaggons und in Magazinen wird der „Kaffeeläufer“ häufig verwendet: Ein einfaches Eisenrohr, das gut zugespitzt ist. Der Dieb stößt es scharf in einen mit Ware gefüllten Sack und der Reis, die Kaffeebohnen, das Mehl fließen aus diesem durch das Rohr in den Schnappsack des Diebes, ohne daß die Plombe des bestohlenen Sackes beschädigt würde.
Zu unauffälligem Fortschaffen der Diebsbeute ist der breite Schmugglergürtel sehr zu empfehlen, in dessen Taschen die Beute gleichmäßig verteilt werden kann, und an dessen Haken kompaktere Gegenstände befestigt werden können. Natürlich arbeiten auch diese Diebe, so wie ihre Kollegen vom Einbruchsfach, mit Glacéhandschuhen, die zur Vermeidung von Fingerspuren dienen, mit Strickleitern u. dgl.
Bomben und andere Explosivkörper mannigfaltiger Art füllen in diesem Museumsraum zwei ganze Vitrinen. Ein respektables Exemplar ist die Bombe, die in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Flur der ehemaligen St. Wenzelsvorschußkasse in der Karlsgasse gefunden wurde und die damals fast so viel Aufsehen erregte, wie ein Jahrzehnt später die Enthüllungen über die Geschäftsgebarung in diesem Hause. Die Bombe bestand aus einer mit Pulver gefüllten Kugelflasche, die mit einem Gipsmantel umkleidet war. In dieser Gipshülle waren Eisennägel als Sprengstoffe eingeschmolzen, die ganze Bombe war mit Eisendraht und Fetzen umspannt.
Ferner befindet sich hier eine Höllenmaschine mit einem Wecker. Die Höllenmaschine war mit Pulver und Halbblei gefüllt. Von furchtbarer Wirkung wäre im Falle der Explosion ein oben und unten verkeiltes Gasrohr gewesen, das mit Pulver gefüllt war, und oben ein Zündloch und die Zündpfanne trug.
Eine Reminiszenz aus Prager Demonstrationstagen bildet der sogenannte „Kanonenschuß“, ein Ledersäckchen, das mit Pulver gefüllt und mit geleimtem Spagat zusammengebunden ist. Diese Apparate pflegen mit einem geradezu ungeheuren Krach zu explodieren, ohne aber besonders gefährlich zu sein. Zur Belehrung der Sicherheitswache sind hier Dynamitpatronen und Dynamitballen in Originalpackung ausgestellt. Auch gestohlene Militärsprengstoffe, Bomben in Tafelform, und „Frösche“, wie man sie in Prager bewegten Tagen den Pferden der berittenen Wachmannschaft unter die Füße zu werfen pflegt, fehlen in der Sammlung nicht.
Das Turmgemach im zweiten Stockwerke strotzt von Waffen. Am unauffälligsten nehmen sich unter diesen wohl die Schießwaffen aus, die zum Wilddiebstahl gedient haben. Wirklich kann mit diesen Gewehren jeder Wilderer ruhig das forschende Auge des Hegers passieren. Da ist z. B. ein Spazierstock einfachster Form, dem man gar nicht ansieht, daß er sich flugs in ein Zündnadelgewehr verwandeln läßt, dem nicht einmal der Kolben fehlt. Leimruten, Schlageisen für Rehe, Drahtschlingen für Rotwild, Strickschlingen für Hasen, Leimruten für Singvögel, Fangnetze für Rebhühner, die man teils in Jagdrevieren abgenommen, teils bei Wilddieben vorgefunden hat, befinden sich gleichfalls im Polizeimuseum.
Verbotene Waffen, wie Dolche, Stilets und Stockdegen füllen eine große Vitrine. Die übrigen Waffen, die hier zu sehen sind, stammen teils von Selbstmorden her, teils sind sie Reminiszenzen aus den Mordaffären der letzten Jahre. Von dem simpelsten Mordinstrument bis zum modernsten fehlt keines. Hier ist der große Pflasterstein, mit dem am Josefitage des Jahres 1896 Pravda und Outrata die Juwelierin Gollerstepper in deren Laden in der Husgasse ermordet haben. Hier ist das Beil, mit welchem 1895 der Schuster Franz Červenka seiner Frau die Schädeldecke zertrümmert hat. Große Blutflecken auf drei Steinen stammen aus der Nacht des 2. April 1902, in welcher die Trainsoldaten Čučko, Octovsky und Velek auf dem Belvedere den Franzensbader Hotelier Wolf getötet haben, eine plastische Karte veranschaulicht den Tatort. Ein Tuch war das Mordinstrument, mit dem der Musikant Ježek und sein Freund Merta in Točna den Prager Werkelmann Janeček erwürgten. Eine ganze Vitrine weist die Instrumente auf, mit denen das würdige Ehepaar Valeš zu Krtsch das Liebespaar Takasz-Hanzely im Schlafe umgebracht habe: Ein Jagdgewehr, ein Strick, ein Revolver, ein Beil. Ein Revolver, der an der Wand hängt, war das Mordinstrument des wahnsinnigen Stadtbediensteten Wurm, der an dem Stadtrat Parůžek furchtbare Rache für seine Entlassung nahm. Auch der Browning, die modernste der Schießwaffen, mußte in zwei Exemplaren Aufnahme im Prager Polizeimuseum finden: Mit einem Browning hat Wasinski den Gefängniswärter Kaucky am Weihnachtsabend 1907 erschossen, mit einem Browning tötete Boček am Karsamstag 1908 den Detektiv Pětiletý und verletzte die Detektivs Lukeš, Binder und Hladík.
An Bočeks Bluttat erinnert überdies die Totenmaske seines Opfers, eine andere ist von dem im Nusler Tal von unbekannten Einbrechern erschossenen Polizisten Bartoš abgenommen worden. Eine dritte Totenmaske ist die eines Anarchisten, der in Prag wegen Mordes justifiziert worden ist; in dem Gips ist die tiefe Strangulierungsfurche erkennbar. Die älteste Mord-Reminiszenz, die sich im Polizeimuseum befindet, ist ein vergilbter Steckbrief der Prager Stadthauptmannschaft vom 1. Mai 1828. Er ist gegen zwei Fuhrleute aus der Umgebung Prags gerichtet gewesen, die im Vogtlande die Familie eines Landmannes töteten und beraubten. Der älteste Band des „Polizeianzeigers“ — die amtliche Wochenschrift des Prager Sicherheitsdepartements — weist gleichfalls schon vergilbte Blätter auf; die Leute, deren Steckbriefe in diesem Buche gedruckt sind, haben wohl schon längst ihre Strafen gebüßt. „Königl. Preußische Polizeidirekzion in Prag.“ Diese seltsame Inschrift trägt eine Stampiglie, die aus der Prager Preußenzeit des Jahres 1866 stammt.
Verschiedenartig sind die Hilfsmittel der Betrüger. Wohl der genialste Schwindel, dessen Schauplatz Prag war, ist die lukrative Gründung des geheimen Telegraphenamtes durch Plocek und dessen Personal gewesen. Von Ploceks Hand stammen raffinierte Postanweisungsfälschungen. Nicht minder geschickt nachgeahmt sind Diplome, Totalisateur-Tickets und Dokumente, Stampiglien und Marken, Orden und Medaillen. Die ganze Einrichtung einer Münzfälscherwerkstätte und falsches Geld aller Sorten liegt zur Schau. An der Wand hängt ein Phantasiesäbel — der „amerikanische Oberstabsarzt Morocz“ hat ihn 1899 in Prag getragen, bevor er verhaftet, als der langgesuchte Heiratsschwindler Theophil Lawczinski erkannt und an die Schweiz zur Bestrafung ausgeliefert wurde. Plombierte und verschlossene Pakete „russischen Tees“, die Sägespähne enthalten, magnetische Ringe, elektrische Stühle und anderes aus dem Warenlager großindustrieller Quacksalber, die präparierten „Glücks“-Spiele der Bauernfänger, die Schmucksachen der Ringwerfer, die vor zwei Jahren in Prag reißend abgesetzten Kassetten der „Elektrischen Amalisations-Werke in Berlin SW“, welche einen Apparat zur Ersparung elektrischer Kraft enthalten sollten, aber in Wirklichkeit leer waren, und vielerlei ähnliches sieht man.
Das sind die Dinge, die der Museumsturm der Polizeidirektion einschließt. Aus seinen spitzen Fenstern kann man in das anthropometrische Kabinett im Hauptgebäude hinübersehen. Dort liegt man der Tätigkeit ob, die zur Ausmittlung der Verbrecher und zur Verhütung des Verbrechens dient, dort daktyloskopiert man und signalisiert man, dort werden die portraits parlé und die Photographien des Verbrecheralbums eingeordnet. Dort rüstet man, von dort aus kämpft man gegen den Feind, der das Eigentum, die Ordnung und das Leben der Menschen bedroht. Manches, was hier geleistet wird, entbehrt nicht des verblüffenden Erfolges. Aber gegenüber steht hoch, trotzig und fest der Turm, der Rüstzeug und Waffen des Feindes birgt.