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Aus Prager Gassen und Nächten:Prager Ziehung
日期:2024-01-26 11:19  点击:233
Im Ziehungssaale der Lotterie strömen alle die Gefühle zusammen, die auf den Pawlatschen und in den Waschküchen, auf dem Markte und in den Fabriken, bei den Planetenziehern und bei den Kartenlegerinnen, in und vor den Kollekturen in gewisperten Gesprächen des Aberglaubens und der Mystik zum Vorschein kommen. Der Ziehungssaal der Lotterie ist vielleicht der einzige Raum, in welchem eine Harmonie des Einzelempfindens eine Massenstimmung bildet, die nicht das Produkt momentaner Erregung ist. Die fremden Menschen, die sich hier drängen, sind wohl, was die Herkunft, was den Charakter anlangt, von einander grundverschieden. Herabgekommene, und solche sind da, in deren Geschlecht seit Menschengedenken nur gerüchtweise bekannt war, daß es irgendwo Wohlstand gebe. Die Gruppen sind schwer zu unterscheiden — das Elend hat die Unterschiede ihrer Abstammung verwischt, die Einleitungskapitel ihrer Lebensromane sind mit freiem Auge nicht lesbar. Aber die laufenden Kapitel, die ihres gegenwärtigen Seins, stehen deutlich in ihrer Anwesenheit, ihren Blicken, ihren Gesten, ihren Worten, ihren Ausrufen geschrieben. An allen diesen Menschen zerrt eine quälende Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal, in allen diesen Menschen zuckt als einzige Hoffnung die Hoffnung auf den Zufallsgewinn, aller dieser Menschen Glauben ist der Aberglauben. Ihr Handeln beschränkt sich auf das Abreißen des Marginales an den Kollekturen, auf das Auslegen von Spielkarten, Träumen, Erscheinungen und Ereignissen, und auf deren Transponierung in Ziffernwerte, auf den Ankauf von Riskonti und auf ihr Erscheinen bei der öffentlichen Ziehung. Alle ihre Hoffnungen heißen Terno und Ambo, Nominate und Extratto.
 
Prag teilt mit sieben Hauptstädten Österreichs die Ehre, der Schauplatz einer öffentlichen Lotterieziehung zu sein, einen Sammelkanal für jene Wissenschaft des Unverstandes zu besitzen, die sich unfruchtbar müht, die wirren und unzusammenhängenden Traumgebilde mit nüchternen Ziffern und Zahlen auszudrücken, die unklaren Wünsche und unklar ersehnten Schicksale ziffermäßig zu werten, und die exakteste und klarste Wissenschaft, die Mathematik in den Dienst waghalsigen Aberglaubens zu stellen. In dem an der Ecke der Ziegengasse und des Ziegenplatzes stehenden Ärarpalaste, der die Berghauptmannschaft und das Münzamt beherbergt, ist auch das Lottoamt untergebracht. Alle vierzehn Tage — immer am Mittwoch — findet hier die „Prager Ziehung“ statt, auf deren Ergebnis tausende und abertausende aus allen Teilen des Reiches mit hoffender Zuversicht harren. Die, die zur Ziehung kommen, sind gewissermaßen eine Elite: Nicht alle jene, die ihr mühsam erworbenes Hab an den Schaltern der Kollekturen entrichten, wissen, daß sie dabei sein können, wenn sich ihr Los entscheidet. Aber die zur Ziehung kommen, das sind die Gewohnheitsspieler, welche die staatliche Kontrolle kontrollieren wollen, das sind die Vertreter des Verstandes in diesem Reiche des Unverstandes, das sind die Menschen, die alles von dem Moment der Ziehung erwarten und es nicht erwarten können, bis die Kollektanten die fünf blauen Ziffern an ihren Läden affichieren.
 
Der Ziehungssaal steht im Hofe des Gebäudes. Schon um halb 2 Uhr nachmittags bilden sich an den Ziehungstagen im Hofe debattierende Gruppen. Weiber mit Kopftüchern sind da, Burschen, denen man ansieht, daß sich der Großteil ihres Tagewerkes auf die Pflege ihrer „šístky“, ihrer Sechserlocken, erstreckt, dann die Typen der Prager Straßen, Bettler und Hausierer, Halbidioten und Trunkenbolde. Sechs Wachleute halten hier Dienst.
 
Die Gespräche drehen sich durchwegs um Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt. Die Debatten werden zwar ernst und sachlich geführt, aber es kann eine Einigung nicht erzielt werden, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, daß weder Unterausschüsse noch Referentenkomitees eingesetzt werden. Eine Gruppe wird gänzlich von der Frage beherrscht, ob „Verhaftung“ die Ziffer 79 bedeutet, wie das eine der beiden tschechischen Traumbücher besagt, oder die Ziffer 88 — die Ansicht des anderen Traumbuches. Frau Kratochvil vom Obstmarkt und Frau Lenovsky aus der Markthalle haben nämlich in der Nacht von Sonntag auf Montag den gleichen Traum gehabt: der Markthelfer Jaro Krejsa sei arretiert worden. Kaum hatte sich in den Kreisen der Halledamen das Gerücht von dieser Duplizität der Träume herumgesprochen, als die Polizei wirklich den Jaro Krejsa, diesen Lumpen, wegen Diebstahls verhaftete. 79 oder 88, das ist hier die Frage.
 
Auch in einer anderen Gruppe sind Traumbücher aufgeschlagen. Aber es handelt sich beileibe nicht um simple Traumdeutungen, sondern um mathematisch-kabbalistisch-astrologische Berechnungen höheren Grades. Das Traumbuch, das — so sagt das Titelblatt — „von Madame Lenormand nach besten Quellen und untrüglichen Erfahrungen altägyptischer Priester und persischer Magier“ zusammengestellt ist, enthält auch eine Fülle von tabellarischen Systemen und saturnalischen Quadraten, nach denen die Amben und die Ternen zusammenzustellen sind. Die Grundlage bilden die Ziffern, die bei den letzten Ziehungen in Brünn, Wien, Innsbruck, Lemberg, Linz, Prag und Triest Treffer brachten. Das sind die Intelligenzspieler. Sie verachten und belächeln jene Lotteriespieler, die ihr Glück dem Zufall anvertrauen, die sich von den an den Kollekturen ausgehängten Marginalenummern, den sogenannten „trhačky“ (Abreißzetteln), einen beliebigen auswählen oder gar sich willenlos der Prophezeiung des Kollektanten unterwerfen, indem sie einfach die Ziffern setzen, die auf einer schwarzen Tafel im Innern der Kollektur als besonders empfehlenswert aufgeschrieben sind und „Kabbala“ genannt werden.
 
Die Gruppe der verachtenden Intelligenzspieler wird wieder von einer Gruppe verachtet, die über alle anderen erhaben ist. Nicht bloß, weil sie die drei Stufen besetzt hält, die zu dem Saaleingang führen, sondern weil sie alle die Manipulationen und Berechnungen als hellen Unsinn erkennen.
 
„Die blöden Weiber,“ sagt der eine, der mit höhnischem Lächeln ein Gespräch der benachbarten Weibergruppe zugehört hat, „sie glauben, daß man die Einer der bei der letzten Ziehung herausgekommenen Zahlen zur ersten Ziffer addieren muß. Subtrahieren muß man sie.“
 
Diese Übergescheiten spielen auf Sieg und nicht wie die anderen auf Platz. In der Prager Lotteriesprache heißt dieser Turfausdruck „Na Ruf“ und bedeutet, daß die gesetzte Ziffer an eine bestimmte Stelle, z. B. als dritte, gezogen und ausgerufen werden muß. Sie können sich diese Vorausbestimmung schon leisten, denn nach ihren präzisen Berechnungen müssen sie ja gewinnen. Sie sind auch gar nicht aufgeregt und spötteln über die Aufregung der anderen. Wenn man sie aber fragen wollte, warum sie denn dann hierhergekommen seien und warum sie sich unmittelbar an der Türe anstellten, dann würden sie wohl die Antwort schuldig bleiben.
 
Vom Turme der Jakobskirche tönen zwei Glockenschläge. Alles drängt sich zur gläsernen Eingangstüre, durch die jetzt im Innern des Saales der Amtsdiener sichtbar wird. Der sperrt die Türe auf und alles strömt in den Ziehungssaal.
 
Wie im Hofe, so stehen auch im Ziehungssaale Polizisten, Acht an der Zahl. Vier von ihnen bilden an der kaum acht Meter langen Barriere, welche den für das Publikum reservierten Raum der Breite nach abgrenzt, einen Kordon. Reelle Geschäfte pflegen im allgemeinen polizeilichen Schutzes nicht zu bedürfen. Aber das macht die Leute nicht stutzig, die sich durch die Türe aus dem Hofe in den Saal ergießen.
 
Die Wachleute sind nicht die einzige Sicherheitsvorkehrung, durch die sich das Lottoamt vor seinen Kundschaften schützt. Die Distanz wird gewahrt. Zwischen der Barriere und dem Podium ist ein etwa zwei Meter breiter Zwischenraum und längs des Podiums zieht sich neuerlich ein Geländer.
 
Überdies bemüht sich die Verwaltung, durch Beobachtung allerhand strenger Kautelen darzutun, daß das Lotto schon an sich ein so lukratives Geschäft ist, daß es nicht auch zu seiner Durchführung einer Düpierung des Publikums oder gar eines Schwindels bedarf. Als noch das alte Lottoamt bestand, war das Podium sehr erhöht und das Publikum konnte den Beamten nicht genau kontrollieren. Da gab es denn arge Verdächtigungen.
 
„Aha! Seht Ihr den Kerl? Die richtigen Nummern legt er auf den Tisch und seine eigenen Nummern gibt er in die Kapseln!“
 
Solche und ähnliche Rufe wurden gegen den Finanzrat laut, der oben am Tische saß. Überhaupt das alte Lottoamt! Die bejahrten Kundschaften Frau Fortunas wissen davon sehr viel übles zu berichten. Damals war noch der „langnasige Hausmeister“. War das ein Lumpenkerl! Der drehte und drehte das Glücksrad wie er es brauchte. Wenn er achtmal drehte, dann kamen die kleinen Nummern heraus, wenn er siebenmal drehte, die großen.
 
Und erst die Waisenknaben! Das waren ausgesuchte Lausbuben. Die hatten die Nummern schon im Gefühl und wer sie am besten bezahlte, dem taten sie den Gefallen und zogen sein Terno.
 
Ja, und die Soldaten! Das war auch ein Schwindel. Früher bildeten nämlich Soldaten das Spalier an der Barriere. Wenn nun die Herren vom Lottoamt wollten, dann bestellten sie sich die Jäger, die kleinen Soldaten. Natürlich wurden dann immer die kleinen Nummern gezogen. Aber wenn man die Ziehung großer Nummern beabsichtigte, dann bestellte man die größten Soldaten vom Infanterieregiment Teuchert-Kauffmann, daß diese das Herz der mannstollen Frau Fortuna beeinflussen mögen. War es da nicht berechtigt, daß man die 88er-Infanteristen mit unverhohlenem Unwillen empfing, wenn man gerade die kleinen Nummern gesetzt hatte?
 
Heute ist’s anders. Es kommen keine Soldaten mehr, sondern Wachleute, der langnasige Hausmeister ist einem Amtsdiener mit einer indifferenten Nase gewichen und das Podium ist so niedrig, daß man den Beamten gehörig auf die Finger schauen kann. An dem Tische auf dem Podium sitzen drei Beamte. Einer in Uniform, zwei in Zivil. Der eine sitzt in der Mitte des Tisches, sein Gesicht ist dem Publikum zugewendet. Die beiden anderen sitzen zu seinen Seiten und zeigen dem Publikum nur ihr Profil. Einer von ihnen hat eine Kassette vor sich, in der die Nummern 1 bis 90 fein säuberlich geordnet liegen. Er entnimmt die erste Nummer und reicht sie einem vierten Beamten, dem Assistenten, der — mit dem Rücken zum Publikum gekehrt — bei dem Tische steht. Der Assistent steckt den Zettel zunächst dem uniformierten Beisitzer zu, der diesen mit ostentativ scharfen Blick betrachtet. Dann reicht der Assistent den Zettel dem in der Mitte des Tisches sitzenden Finanzrat und verkündet dabei laut:
 
„Jedna — Eins.“
 
Der Finanzrat kontrolliert neuerlich, ob sich der Inhalt des Papierstreifens mit der ausgerufenen Nummer deckt, und legt dann den Zettel in eine hagebuttenähnliche Holzkapsel. Diese Hülse schraubt er mit feierlicher Langsamkeit zu und wirft sie dann in das zu seiner Rechten stehende Glücksrad, dessen Seitenwände aus Glas sind und so den kritischen und mißtrauischen Beobachtern den Einblick in das Innere gewähren. Glück und Glas.
 
Mit den nächsten Nummern geht es ebenso. Die einzelnen Ziffern werden von den Stammgästen mit allerhand Glossen und Reminiszenzen begleitet. Jeder der Beteiligten konstatiert mit Befriedigung, daß auch seine Nummer der Glastrommel einverleibt wurde: Der erste Schritt zum Terno ist getan. Manche stoßen, wenn die Ziffer ihres Extratos in das Glücksrad geworfen wird, inbrünstige Wünsche aus. Die Nennung der Zahlen 79 und 88, die durch die Verhaftung des Markthelfers Jaro Krejsa besondere Aktualität gewonnen haben und im Vordergrunde des Interesses stehen, wird allseitig mit beifälligem Gemurmel begrüßt. Der Zettelvorrat in der Kassette des Beamten nimmt zusehends ab, was sich von der Aufregung im Zuschauerraum nicht behaupten läßt. Im Gegenteil. Sie steigt mit der Höhe der verkündeten Ziffern.
 
„Hned bude neunzig,“ prophezeit Frau Lenovsky.
 
Sie hat recht. Bald ruft der Assistent die „Neunzig“ aus und das Glücksrad wird verschlossen. Der Amtsdiener schnallt einen Riemen um den Messingmantel des Glücksrades. Einer der beiden Waisenknaben, die bislang unbeachtet in einer Ecke des Podiums saßen, steigt auf den Stuhl, der zwischen dem Rat und dem Rad steht. Auf einen Wink des Finanzrates beginnt der Diener die Kurbel der Glastrommel zu drehen. Einigemale nach rechts, einigemale nach links. Die hölzernen Hagebutten springen klappernd in ihrem gläsernen Palaste hoch empor und hopsen lustig durcheinander, als ob sie nicht wüßten, daß sich an sie ein verzehrendes Hoffen und Sehnen der Leute da unten knüpfe. Und wieder ein Wink des Finanzrates. Es klingelt, und das Rad steht still. Ein Fensterchen in der Messingwand des Glücksrades wird geöffnet. Der Waisenknabe streckt seinen rechten Arm in die Höhe. Der rechte Ärmel seines grauen Zwilchmantels, den er soeben anstelle seines Rockes angezogen hat, ist bei der Schulter abgeschnitten, das Hemd hinaufgeschlagen, so daß der Arm nackt ist. Der Bub streckt die Finger der Hand von sich, damit man sehe, daß er auch hier nichts verborgen habe. Er macht das ganz putzig und lächelt dazu.
 
„Ein entzückender Junge,“ registriert Frau Lenovsky, „und was er für zarte Fingerchen hat. Der zieht sicher etwas gutes.“
 
Inzwischen hat der also Belobte seinen Arm in Fortunas Rad versenkt, eines der hölzernen Futterale herausgezogen und es einem Mitgliede des Beamtenquartetts gereicht, der die Hülse auseinanderschraubt, den Papierstreifen herausnimmt, entfaltet, betrachtet und dann seinen Kollegen reicht. Einer von diesen schreibt die gezogene Nummer ins Protokoll und der Assistent ruft in tschechischer und deutscher Sprache in die atemlose Stille hinein:
 
„Erster Ausruf: Vier.“
 
Im Nu weicht die Ruhe einem Gemurmel des Entsetzens. Von den verehrten Festgästen hat gerade auf „vier“ niemand gesetzt, wie sich aus den Mienen der Enttäuschung und den Ausrufen der Bestürzung erkennen läßt. Ein Marktweib findet die Lösung des Rätsels, wieso gerade der Vierer gezogen wurde:
 
„Weil sie den Jaro Krejsa in den Vierer gebracht haben!“
 
Der „Vierer“ wird im Volksmunde das Departement IV der Polizeidirektion, das Sicherheitsbureau, genannt. Wie Schuppen fällt es von der Leute Augen. Daß man daran gar nicht gedacht habe! Jaros Verhaftung hatte weder 79, noch 88 zu bedeuten, sondern 4. Natürlich!
 
„Vielleicht wird noch außerdem die Neunundsiebzig gezogen.“ An diese Hoffnung versucht sich eine Dame der Halle zu klammern. Aber die alten Stammgäste der „Tante Lotty“ belehren sie eines besseren.
 
„Wenn einmal eine kleine Nummer gezogen worden ist, dann kommen lauter kleine Nummern.“
 
Der Assistent hat unmittelbar nach seinem Ausrufe den gezogenen Zettel in die Menge geworfen. Ein junger Lebemann von der Podskaler Wasserkante hat ihn erhascht und diesen Talisman eingesteckt. Das nächstemal wird er auf „vier“ setzen.
 
Die Prozedur wiederholt sich. Beim zweiten Ausruf wird die Ziffer „81“ gezogen, was nicht ganz dem prophetischen Ausspruche entspricht, daß heute nur kleine Nummern gezogen würden. Aber auf dieses Nichteintreffen der Prophezeihung ist die Erregung der Gemüter nicht zurückzuführen, die sich nach jedem Ausruf des Assistenten in den Ausrufen des Publikums Luft macht. Die verlesenen Zettel werden abwechselnd in den rechtsstehenden und in den linksstehenden Teil des Publikums und in dessen Mitte geworfen. Die Papierstreifen sind das einzige, was Frau Fortuna ihren Bewerbern aus dem Füllhorn beschert ... Der Verkündung der letzten Nummer ist ein besonderer Sturm der Entrüstung gefolgt. Keiner der Harrenden hat gewonnen. Was nützt es, wenn von den drei Nummern, welche jene Frau gesetzt hat, eine gezogen wurde? Erst zwei gezogene Nummern des Ternos, erst zwei gezogene Nummern des Ambosolos bedeuten einen Gewinn. Was nützt es, wenn jenem Burschen die Ziffern eines Extratos in verkehrter Reihenfolge herausgekommen sind? Mit Unwillen werden die Marginalzettel, diese Dokumente trügerischer Träume und falscher Deutungen, in kleine Stücke zerrissen.
 
„Seht Ihr den Galgenvogel,“ kreischt Frau Lenovsky den Waisenknaben an, den sie vorher nicht genug zu loben wußte, und der sich jetzt mit knabenhaftem Lächeln wieder seinen Rock statt des ärmellosen Amtskittels anzieht. „Seht Ihr den Lumpenkerl, den Wechselbalg. Seht Ihr die Diebsfinger? Zum Stehlen, da taugt er. Aber zu etwas Anständigem? Gott weiß, wer sein Vater war!“
 
Das Unglücksrad wird versiegelt. Der Saal leert sich. Die Kollektanten eilen in ihre Geschäfte, um dort die fünf roten Ziffern auszuhängen, welche heute ausgelost worden sind. Noch früher aber als die Kollektanten sind in deren Geschäften die Leute, die jetzt ihr Glück den blauen Ziffern von Brünn anvertrauen. Die Hyperklugen aber eilen in besondere Kollekturen, in jene in der Wassergasse, in der Myslikgasse, auf dem Petersplatz und in der Schalengasse, wo man nicht bloß auf die blauen und roten Gewinnziffern, sondern auch auf die goldenen der Wiener Ziehung, auf die schwarzen von Linz und Triest und auf die grünen von Graz setzen kann.
 
Sie werden auch dort den großen Reichtum nicht erringen, trotz aller ihrer geometrisch-astrologisch-okkultistisch-kabbalistisch-kryptographisch-arithmetischen Kombinationen. Grau, teurer Freund, ist alle Theorie. Und graue Gewinnziffern gibt es nicht. 

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