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Aus Prager Gassen und Nächten:Wie ich aus dem Rathause hinausgeworfen wurde
日期:2024-01-26 11:19  点击:251
Auf meinem Leben lastet eine Sünde, die ich nicht in das neue Jahrzehnt hinüber nehmen will. So will ich durch aufrichtige Beichte diesen Alp von meiner Seele abwälzen. Meinem Gedächtnis, dem vielleicht einzelne Phasen des Verbrechens entschwunden oder verwischt sein könnten, kann ich ja leicht nachhelfen. Ich brauche nur in der Universitätsbibliothek in den gebundenen Exemplaren der tschechischen Zeitungen nachzuschlagen. Darin steht die reine Wahrheit.
 
Dort ist meine Schande zum Studium und abschreckenden Beispiel für künftige Geschlechter aufbewahrt. War doch der Vorfall ein bedeutsamer, und ich glaube: Über den Prager Fenstersturz, der den dreißigjährigen Krieg einleitete, wurde nicht so ausführlich berichtet, wie über meinen Hinauswurf aus dem Altstädter Rathause.
 
Aus allen diesen Berichten geht hervor, daß ich mich damals im Prager Rathause skandalös benommen habe. Und darf man sich denn im Prager Rathaus skandalös benehmen? Hat man überhaupt schon gehört, daß sich jemand im Prager Rathause skandalös benommen hätte? Nein, heute muß ich unbedingt zugeben, daß man mich mit Recht hinausgeschmissen hat. Und es war unverdiente Gnade, daß man mir eine ungeheure Strafmilderung zugestand: Man hat mich nicht durch einen Hausknecht hinausgeworfen, sondern man hat mich durch den Stadtverordneten Březnowsky hinausexpedieren lassen.
 
Dieser hat mich durchaus nicht mit Glacéhandschuhen angefaßt, obwohl er sich in seinen stillen Stunden mit deren Erzeugung beschäftigt. Er hat es nicht getan, weil ich es nicht verdiente. Habe ich mich denn nicht, laut Bericht des „Hlas Národa“, das einem alttschechischen Stadtverordneten gehört und dem daher in Rathauskreisen eine gewisse Authentizität zukommt, „sehr frech und wütend“ benommen? „Er versetzte,“ so heißt es in der Morgenausgabe dieses Blattes vom 10. November 1908 u. a., „dem Stadtverordneten Vanha einen Stoß und mit dem Ausrufe ‚Ich werde diese Diebshöhle schon beleuchten‘, sauste er blitzesschnell die Stiegen hinunter“. Also bitte, man bedenke: Ich habe einem unserer Stadtväter einen Stoß versetzt, und die ehrwürdige Ratsstube eine Diebshöhle genannt. Weshalb bin ich eigentlich nicht geklagt worden! Wie übel wäre es mir doch ergangen! Ein Leugnen hätte mir nichts geholfen, denn auch das offizielle Rathausorgan, die „Nár. Listy“, erklärten in aufgeregtem Tone, ich hätte die Drohung ausgestoßen, daß ich Diebstähle (die tschechische Sprache kennt keinen bestimmten Artikel) aus dem Rathause veröffentlichen werde. Auch den Stoß gegen den Stadtverordneten Vanha registriert das Rathausorgan, und weiß sogar das interessante Detail hinzuzufügen, daß ich den Stoß mit der Faust versetzt habe.
 
Der klerikale „Čech“ bedeckt den Rippenstoß mit dem Mantel der Nächstenliebe. Er verschweigt ihn ganz, trotzdem sein Bericht sonst an Ausführlichkeit durchaus nichts zu wünschen übrig läßt. Er schreibt u. a.: „Als erster fand sich Redaktionsmitglied der „Bohemia“ „buršák“ Kisch ein, der durch seine Provokation auf dem Graben berüchtigt ist. Es wurde ihm gesagt, daß es nicht angehe, in den Sitzungssaal des Kollegiums das Redaktionsmitglied eines Blattes einzulassen, welches alles, was aus Prag kommt, verdreht und beschimpft. Kisch aber machte keine Miene, den Saal zu verlassen. Es traten also die Ordner hinzu und führten ihn auf den Gang hinaus. Kisch schäumte, drohte und lehnte sich auf, es blieb ihm aber nichts übrig, als zu suchen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hatte.“ Im weiteren Verlaufe des ausführlichen Berichtes registriert das genannte Blatt die Tatsache, daß nach meiner angedrohten Enthüllung über die Diebstähle im Prager Rathause „in dem auf den Korridoren angesammelten Publikum Bewegung entstand“. So?
 
Solche Referate konnte das nationalsoziale „České slovo“ durch Radikalismus nicht mehr übertrumpfen; damit es aber doch in seinem Berichte mehr Stiefel habe, als die anderen Blätter, schrieb Georg Střibrny, der damals noch nicht Abgeordneter war, man habe die Stiefel hinausgetragen, in denen ich steckte.
 
Die Folgen meines Hinauswurfes spukten noch lange. Zuvörderst veröffentlichte ein Mann, der davon lebt, daß andere sterben, ein Partezettelagent, in allen tschechischen Blättern eine Erklärung: Er heiße zwar ähnlich wie ich, aber sei nicht mit mir identisch. Ich kann dies vollinhaltlich bestätigen, und um auch den Rest jeden Verdachtes von dem Herrn abzuwenden, erkläre ich hiemit freiwillig, daß ich überhaupt nicht mit ihm verwandt bin. Auf Ehrenwort.
 
Der gute Mann war nicht der einzige, der sich meiner schämte. Der „Večerní List“ veröffentlichte unter dem Titel „Sie kann nichts für ihren Namen“ folgende Erklärung: „Herr Egon Kisch, Redakteur der „Bohemia“, ist nicht, wie allgemein verlautet, mein Neffe, und ich bin überhaupt nicht mit ihm verwandt. Marie Kisch, Hausbesitzerin, Prag II, Zderasgasse.“ Der „Čech“ reproduzierte diese harmlos scheinende Erklärung am nächsten Morgen mit der Aufklärung, daß die Absenderin der Zuschrift die Besitzerin eines verrufenen Hauses sei. Worauf dann ein Weinberger Lokalblatt hämische Glossen darüber machte, wieso gerade das klerikale Organ gewußt habe, daß das Haus ein verrufenes sei.
 
Ferner griff mich Abg. Myslivec im Parlamente an, und die Abgeordneten sollen sich höchlichst darüber verwundert haben, daß man sich auch unanständig benehmen könne.
 
Der „Illustrovaný kurýr,“ eine Zeitung, die sonst hauptsächlich Momentphotographien vom Augenblicke der Mordverübung bringt, reproduzierte am 3. November mein Bild. Dabei passierte dem Bildredakteur eine Verwechslung, die in den Annalen dieser Zeitschrift gewiß nicht allzuhäufig ist. Er muß in ein falsches Fach gegriffen haben, und — wie es der Zufall oft will — es war wirklich mein Bild, das er erwischte und das ins Blatt kam. Allerdings steht in dem Texte, daß ich ein sehr mürrisches Gesicht mache. Aber gerade auf dieser Photographie bin ich „bitte, recht freundlich“.
 
Das Furchtbarste aber war: Es muß sich ein Ephialtes in der Nation gefunden haben, denn über die Stadtverordnetensitzung, aus der ich cum infamia exkludiert worden war, erschien ein ausführlicher Bericht in den deutschen Blättern. Mit bangem Grausen, von grenzenlosem Entsetzen gepackt, richtet der „Čech“ an die Nation am 12. November die Gewissensfrage: „Wer hat wohl dem aus dem Rathause hinausexpedierten Kisch mitgeteilt, was im Stadtverordnetenkollegium vorgegangen ist?“ Und weiter: „Da ergibt sich eine Menge von Fragen und verdächtigen Umständen ...“
 
Auf diese „Menge von Fragen“ kam keine Antwort, diese „verdächtigen Umstände“ erfuhren keine Aufhellung, und die Berichte über das Rathaus erscheinen in den deutschen Blättern auch weiter mit gebührender Ausführlichkeit. Von schwerwiegenden Folgen war also mein Ausflug aus dem Rathaus für mich nicht begleitet. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß ich mich empörend benommen habe. Ich habe die damalige Rathauswirtschaft beleidigt und einem Stadtverordneten einen Rippenstoß versetzt. Wie leicht hätte ich ihn verletzen können! Peccavi. 

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