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Aus Prager Gassen und Nächten:Razzia
日期:2024-01-26 11:13  点击:261
Vor der Streifung, da geht’s ja hoch her. Da wird getanzt, gespielt, getrunken, geschäkert, geraucht, gesungen, gestritten, geschrien, geschimpft und gerauft, daß es eine Freude ist. Weiß der Teufel, wenn der Herr Oberkommissär Protiwenski dabei wäre, er würde es gewiß nicht übers Herz bringen, das Idyll mit rauher Hand stören zu lassen. Aber er ist nicht dabei und er kann am Morgen, wenn er die Razzia anordnet, noch nicht wissen, daß es am Abend in den heimzusuchenden Lokalen so lustig sein wird.
 
„Die Detektivs ... (folgen etwa zwölf Namen) haben um halb 10 Uhr abends gestellt zu sein.“ Das ist die Ordre, die jede Woche — die Wochentage wechseln in zwangsloser Reihenfolge ab — mindestens einmal ergeht. Es ist das Aviso zu der kombinierten Streifung, welche drei oder vier Partien der Sicherheitsbeamten von verschiedenen Ausgängen aus gegen einen gemeinsamen Treffpunkt unternehmen. Auf diese Weise bilden die Polizeigruppen eine Kette, und keinem der lichtscheuen Individuen, die aus einer Spelunke in die benachbarten wandeln, kann das Glück widerfahren, daß er immer vor oder immer nach dem Erscheinen der Streifung kommt und so den Fangarmen der Polizei entgeht. Außer diesen kombinierten Streifungen gibt es auch noch Generalstreifungen, die mindestens zweimal im Jahr unter Mitwirkung aller Polizeibeamten vorgenommen werden, und kleine Streifungen in bestimmte Lokale, die zur besonderen Beaufsichtigung allen Grund geboten haben. Immer werden die Razzien nur von Beamten in Zivilkleidern und von Geheimpolizisten vorgenommen, damit der nächtliche Spaziergang nicht zu großes Aufsehen errege und das Erscheinen in den ominösen Gasthäusern, Schlupfwinkeln, Massenquartieren und Branntweinschenken nicht vorzeitig avisiert werde.
 
Als noch die alten Häuser der Josefstadt standen, waren die Stätten des Verbrechens und der Ansteckung dort konzentriert. Damals konnte man in einem Hause oft mehr verdächtige und gesuchte Subjekte festnehmen, als heute in etlichen Streifungen. Allerdings wurde dieser Vorteil durch das opferwillige Wirken der Theresia Bartunek fast aufgehoben, von deren in den achtziger Jahren entfalteten Tätigkeit die Verbrechergilde noch heute dankbar schwärmt. Theresia stand oft nächtelang am Johannisplatz in einem Versteck und wartete, bis aus der Türe des Kommissariates die Beamten traten. Dann eilte sie — halb Läufer von Marathon, halb Retterin des Kapitols — von einer Spelunke zur anderen, riß die Türe auf und ließ den Warnungsruf „štrajfuňk“ ertönen ... Heute sind die Nährböden des Lasters zerstreut. Kein Stadtteil, der frei von ihnen wäre, kein Stadtteil, in den nicht Razzien unternommen werden müßten.
 
Kurz nach zehn Uhr abends öffnet sich das schwere Eisentor des Sicherheitsdepartements in der Bartholomäusgasse. Etwa fünfzehn mit Stöcken bewehrte Männer treten hinaus: Polizeibeamte und Detektivs. Es bilden sich drei Gruppen: die eine zieht zur Postgasse hinunter und wendet sich dann gegen die Obere Neustadt hin. Die beiden anderen Gruppen schreiten zur Altstadt zu. Bei der Husgasse biegt die Altstädter Partie ab und die Gruppe, welche die Untere Neustadt mit ihrem Besuche beehren will, zieht durch die Perlgasse und über den Obstmarkt weiter.
 
Alsbald haben sie zu tun, allerdings nur mit einer belanglosen Klientel: Es sind Passantinnen, welche die ihnen schon längst bekannten Polizeibeamten mit einem grenzenlos ehrfürchtigen und wohl oft heuchlerischen „Küß’ die Hand, gnädiger Herr“ begrüßen. Paßrevision. Man sieht nach, ob in dem Dienstbuch des Mädchens das Datum des vergangenen Montags eingetragen ist, und sie können ihren Weg fortsetzen. Manche „gehen bloß zu ihrer Schwester“, aber da die mißtrauischen Polizeibeamten aus verschiedenen Gründen dieser rührenden Schwesterliebe absolut nicht glauben wollen, so muß die Dame statt zu ihrer Schwester auf die Wachstube gehen. Eine wieder kann das Buch nicht finden, sie habe es verlegt. Auch diese Buchverlegerin wird dem nächsten Wachmann übergeben, der dem schönen Fräulein Arm und Geleite bis zum nächsten Kommissariat anbietet. Sie wehrt sich: Sie sei weder Fräulein, weder schön und könne ungeleitet nach Hause gehen. Aber das nützt ihr nichts.
 
Die Streifenden setzen ihren Weg fort. Die Wachposten auf der Straße grüßen nicht; der Gruß würde das Inkognito der Zivilpolizisten lüften, und ihr Nahen könnte leicht drahtlos an die interessierten Stellen depeschiert werden. Endlich ist man vor einem Gasthaus, aus dem Jubel und Lärm auf die Straße dringt. Plötzlich wird es drinnen still, jemand, der gerade im Hausflur war, ist in das Lokal gestürmt und hat das Erscheinen der Streifung gemeldet. Jäh verstummt der Lärm. Paare, die sich zärtlich verschlungen hielten und eben unzertrennliche Liebe schworen, stieben auseinander und rennen, wie die Zecher, die gerade das Glas zum Munde führen wollten, wie die Kartenspieler, die eben den Eichel-Ober übertrumpfen wollten, den Ausgängen zu. Aber die sind besetzt: Im Haupteingang steht der Beamte, an den Seiteneingängen Detektivs. Die aufgeschreckten Gäste sehen, daß an ein Entkommen nicht zu denken ist, und kehren wieder in den Saal zurück.
 
„Ganz untertänigster Diener, hohe Regierung,“ so tönt es devot von den Lippen des Wirtes, der an den Beamten herantritt, ehrerbietig die speckige Kappe zieht und sich im rechten Winkel verbeugt. Der Wirt hat alle Ursache, mit den Polizeibeamten höflich zu sein, wenn diese auch jetzt seine besten Gäste wegführen werden: Schon mehrere Male ist ihm mit der Entziehung der Konzession gedroht worden und wieder hat vor kurzem ein Gast seines Lokales einen anderen derart liebkost, daß am nächsten Tage in den Zeitungen unter dem Titel „Eine tödliche Ohrfeige“ darüber berichtet wurde.
 
Der Beamte ignoriert den Gruß. Rundgang und Cercle beginnen. Ein Mädchen sitzt nahe der Türe an einem Tisch, neben ihr ein Jüngling. Die beiden markieren ein zärtliches Gespräch und scheinen sich um die Eintretenden gar nicht zu kümmern. Sie haben verabredet, ein Brautpaar darzustellen.
 
„Was machen Sie hier?“ fragt der Beamte das Mädchen.
 
„Ich bitte, ich bin mit meinem Bräutigam hier.“ Fast beleidigt klingt das. Und der Galan nickt eifrig Bestätigung.
 
„So, so, Fräulein Harlak, Sie haben wohl geglaubt, daß ich Sie nicht erkennen werde, weil Sie jetzt ein Jahr in Brünn waren?“ Die Erkannte wird blaß. Der Beamte wendet sich in strengem Ton an ihren Partner: „Das ist also Ihre Braut?“
 
Der „Bräutigam“ hat jedoch „Spundus“ gekriegt und er verleugnet seine Braut. Er schweigt. Da wird aber die Verratene, die kurz vorher noch so zärtlich schien, sehr fuchtig:
 
„Was? Zehn Glas Bier hab’ ich Dir schon gezahlt und jetzt willst Du mich nicht kennen. Du Hundekerl, Du ...“ Ein Wink des Beamten beendet den Redeschwall der Jungfrau. Ein Detektiv führt sie zu dem neben der Türe gelegenen Tisch, wo sich alle versammeln müssen, welche der Beförderung in „Direktor Wejřiks Hotel“, das Polizeigefangenhaus, wert erachtet werden.
 
Inzwischen hat der Beamte einem Manne seine Aufmerksamkeit zugewendet, der allein an seinem Tisch sitzt. Fast die ganze Biertasse ist schraffiert — jeder Strich bedeutet ein Glas, das der einsame Zecher hinter die fehlende Binde gegossen hat. Beamter und Gast blicken einander in die Augen und über beider Gesichter huscht ein Lächeln, das zu sagen scheint: Sieh da, ein alter Bekannter!
 
„Guten Abend, Herr Kommissär,“ bricht der Zecher das Schweigen.
 
„Schönen guten Abend, Herr Lojsa,“ wünscht der Kriminalpolizist. „Was machst Du denn hier?“
 
„Ich trinke,“ antwortet Lojsa naiv und treuherzig.
 
„So? Du weißt wohl nicht, daß jetzt schon zwölf Uhr ist, und daß Du (Lojsa steht unter Polizeiaufsicht) um acht Uhr abends zu Hause sein sollst?“
 
„Gnädiger Herr, ich habe jetzt zwei Tage Holz gehackt und da wollte ich heute ...“
 
„Holz hast Du gehackt? Es wird wohl das Holz einer Wohnungstüre gewesen sein. Der Kratochwil ist gestern wegen Einbruchs festgenommen worden und hat gesagt, Du könntest sein Alibi nachweisen.“
 
„Ja, Herr Kommissär, das kann ich nachweisen!“
 
„Kannst Du? Umso besser.“ Und schon führt ein Polizist den stillen Zecher zu dem Sammelplatz neben der Tür, wo schon Fräulein Harlak Aufstellung genommen hat. Hier haben übrigens auch die Kellnerinnen des Lokales Posto gefaßt, um von den „Auserwählten“ die Zeche einzukassieren.
 
Der Polizeikommissär hat wieder einen alten Freund erspäht: „Kuželka, Du hast doch Prag!“, ruft er ihn an. Das ist ein elliptischer Satz, das Prädikat „verboten“ ist zu ergänzen. Aber jeder, der das Prager Rotwälsch versteht, versteht auch dieses Satzfragment.
 
Revertent Kuželka will in einer langatmigen Rede dem Kommissär auseinandersetzen, welch wichtige Angelegenheiten ihn nach Prag geführt haben, während ihn in Wirklichkeit die schönen „Arbeitsgelegenheiten“ und der gleichgestimmte Freundeskreis wieder in die Landeshauptstadt riefen, aus deren Polizeirayon er dauernd abgeschafft ist. Der Beamte hört ihm einen Augenblick lang aufmerksam zu und scheint seinen Argumenten voll beizustimmen. Dann sagt er freundlich zu Kuželka:
 
„Dorthin stell’ dich.“ Da weiß der erfahrene Kuželka, daß alle weiteren Rekriminationen vergeblich sind und stellt sich zur Tür.
 
Das Frage- und Antwort-Spiel geht weiter. Der Polizeibeamte läßt sich Arbeitsnachweise zeigen und erkundigt sich nach dem Obdach der Gäste. Manchmal fallen die Antworten befriedigend aus, manchmal aber endet das Spiel mit dem Wink gegen den Formierungsplatz bei der Türe. Alle Gäste sind verhört worden. Da wendet sich der Beamte zu dem Billardbrett und stöbert mit seinem Stock unter die Wachsleinwand, die das Billardbrett bis zum Boden bedeckt. Unten ist jemand. Das hat der Beamte ohnedies gewußt und wollte nur den Zeitpunkt der Entdeckung möglichst lange hinausschieben, damit der dort Versteckte schon die Hoffnung schöpfe, die Polizei überlistet zu haben. Aber als die Person auf seine Aufforderung hin hervorkriecht, ist der Beamte des Kriminalbureaus doch überrascht:
 
„Die tolle Andula! Wie kommst Du denn her? Um vier Uhr hat Dich der Polizist über die Rayonsgrenze hinausgeführt, und jetzt bist Du wieder hier!“
 
„Zu Fuß, gnädiger Herr, bin ich wieder zurückgegangen. Ich glaube, daß ich früher hier war, als der Polizist auf dem Kommissariat. So bin ich gelaufen. Meine ganzen Lackschuhe sind kaput. Neun Gulden haben sie gekostet. Und jetzt werde ich wieder eingesperrt.“
 
Das Mädel, ein siebzehnjähriger Fratz, der verderbter ist, als die ältesten Kolleginnen, verzieht schmollend das Gesichtchen, das nicht unschön genannt werden kann.
 
Der Polizeibeamte sagt seinen Refrain: „Stell’ Dich dorthin.“ Dann kommandiert er den Ausgehobenen „rechts um, Marsch“, der Wirt zieht noch devoter sein Käppi, draußen übernehmen uniformierte Polizisten die Eskorte. Weiter geht die Razzia.
 
Nach der Streifung ist in den Lokalen die ganze Stimmung verflogen. Der spärliche Rest der Gäste zahlt seine Zeche, und wenn ein Polizeiorgan die Flüche hören würde, die der vorher so devote Wirt jetzt gegen die Behörden ausstößt, so würde es diesem wohl nicht gut ergehen.
 
Um halb 2 Uhr nachts treffen die Partien der Sicherheitsleute, wie verabredet, beim Pulverturm zusammen. Die einzelnen Beamten erstatten dem Rangshöchsten Bericht über die Vorkommnisse, die Detektivs werden nach Hause entlassen. Die Razzia ist beendet, der Boden der Großstadt wieder einmal gekehrt worden. Vierundfünfzig Verhaftete. In der Aufnahmskanzlei des Polizeigefangenhauses werden ihre Personalien aufgenommen, die Taschen untersucht, Zellen angewiesen.
 
Am nächsten Tage werden Akten geschrieben, ärztliche Untersuchungen vorgenommen. Die Verhafteten werden nun in den bekannten grünen Karossen in das Strafgericht, in das Bezirksgericht, in das Allgemeine Krankenhaus oder in die „Fišpanka“, das städtische Arbeitshaus, befördert. Da gibt es dann Requirierungen und Erhebungen, die Heimatszuständigkeit muß ermittelt, der Schubkostenersatz verlangt, Convoyanten für die abzuschiebenden Personen beordert werden und was dergleichen schöne Schreibereien mehr sind.
 
Was Wunder, daß dann die betroffenen Beamten mehr als die Prager Verbrecher und Vagabunden über die Prager Streifzüge der Polizei schimpfen! 

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11/30 11:54