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Aus Prager Gassen und Nächten:Bei „Antouschek“, dem Wasenmeister
日期:2024-01-26 11:10  点击:242
Genau eine halbe Stunde, nachdem es einem widerwärtig geworden ist, die endlose Beneschstraße in Pankratz zu durchschreiten, zweigen die Telephonstangen nach rechts ab, und man hat ihnen zu folgen. In der Třebizskygasse sieht man zum höchsten Erstaunen, daß die Gegenden, die man vorher durchschritten hat, höchstentwickelte Großstadt waren. Im Verhältnis nämlich. Auf einem Feldweg geht es weiter gegen Dworetz. Der Schnee ist weiß wie das Kleid einer Kranzeljungfer; wenn er doch auch kniefrei wäre! Auch die Volants sind von stilwidriger Färbung: Braune Spuren der Wagenräder, die den Schnee in Kot verwandelt haben.
 
Schließlich kommt man zu einem Bildstock, dem man ganz deutlich ansieht, daß er vor Jahren grün angestrichen war. In einer blauen Nische steht eine winzige, mit Gold bemalte Nepomukstatue. Rechts und links vom Bildstock stehen Häuser. links ein kleines, verfallenes Anwesen, rechts eine Reihe von langen Gebäuden, an die sich eine Umfriedung schließt. Man würde diese Besitzung für ein Bauerngut halten können, aber der breite Schlot dementiert diese Vermutung. Aber auch eine Fabrik ist es nicht. Das Hundegebell, das herausdringt, verkündet, daß hier die Prager Abdeckerei, die thermochemische Vernichtungsstation ist.
 
Im Hofe drinnen steht ein Bursche. Hohe Stiefel und ein am Rocke befestigtes blaues Emailschild mit der Umschrift „Kontumaz- und thermochemische Station“ und sein Aussehen sind die Abzeichen seiner Würde: Man hat einen jener Meister des Lassowurfes vor sich, die ihre Kunst nicht in der Prärie des wilden Westens, sondern in den Straßen Prags, nicht an Büffeln, sondern an Hunden ausüben. Ich frage den Schinderknecht nach seinem Herrn und bald stehe ich vor Herrn Rudolf Nešvara, dem Wasenmeister von Prag. „Antouschek“ nennt ihn der Volksmund, seitdem vor sechzig Jahren der Gehilfe eines seiner Vorgänger im Amte, der Anton Schek dadurch populär geworden war, weil sein Familienname gleichzeitig die tschechische Diminutiv-Endung ist. Ich trage Herrn Antouschek-Nešvara mein Begehr vor, die Vernichtungsstation besichtigen zu dürfen, und wir treten bald einen Rundgang durch die Gebäude an.
 
Zuerst öffnet Herr Nešvara die Türe zum langgestreckten Hundestall, in dem vierzig Boxe für Hunde sind. Ein wütendes Gekläff geht an: Morituri te salutant! Sie sind alle „morituri“, die schönen stichelhaarigen Foxe, die eleganten Windspiele, die putzigen Pudel hinter den schwedischen Gardinen. Drei Tage waren sie in „Untersuchungshaft“ in der Aufbewahrungs-, der Kontumaz-Station für eingefangene Hunde untergebracht, die sich auf der Taborer Reichsstraße zwischen den beiden unbeschreiblich schönen Wyschehrader Toren befindet, und hier hätten sie ihre Besitzer binnen drei Tagen durch Entrichtung der Geldstrafe auslösen können. Das haben diese aber nicht getan und nun sind die Hunde dem Tode geweiht. Vielleicht bellen sie so wütend, weil die treuen Viecher über die Untreue der Herren erbittert sind, vielleicht bellen sie so wütend, weil sie wissen, daß sie eines unverschuldeten Todes sterben müssen, vielleicht bellen sie so wütend, weil sie sich über den Unverstand der Menschen ärgern, welche diese schönen Exemplare der Hunderasse zwecklos hinrichten, statt sie zu verkaufen. Morgen müssen sie sterben. Ein aus unmittelbarer Nähe abgegebener Schuß aus dem Stutzen und der vom Menschen verlassene Genosse des Menschen wälzt sich in seinem Blute, oder — bei den kleineren Hunden wird es so gemacht — ein Beilhieb auf den Kopf und ein Hundeleben hat geendet. Man glaubt einen wehmütigen Ton in dem erbitterten Bellen und Winseln und Knurren und Kläffen mitklingen zu hören.
 
Wir verlassen den traurigen Hundekerker. Draußen im Hofe springen einige Hunde, darunter ein prächtiger reinrassiger Bernhardiner, namens „Cyrano“, liebkosend an Herrn Nešvara hinauf. Sie sind von diesem begnadigt worden und gehören zum Personale der Prager Fronerei. Schmeichelnd schmiegen sie sich an das Knie ihres Herrn, den Henker ihrer Stammesgenossen. Solidaritätsgefühl mit ihren eingekerkerten oder justifizierten Kameraden scheinen sie also nicht zu kennen, diese Hunde.
 
Der Rundgang wird fortgesetzt, er führt jetzt in die Räume, die dem Zwecke der Anstalt, der gefahr- und geruchlosen Vernichtung der Tierkadaver dienen. Wir betreten zunächst den Seziersaal, wo die Kadaver enthäutet und wie die täglich hierher kommenden Konfiskate der Schlachtbank und der Markthalle zerstückelt werden. Die Stücke werden dann durch ein in der Wand angebrachtes Mannsloch in einen Apparat geworfen, der im angrenzenden Maschinensaale an der Wand steht. Dieser Apparat ist der sogenannte Kafilldesinfektor, der vom Antwerpener Schlachthausdirektor de la Croix erfunden und von der Firma „Rietschel & Henneberg“ in Berlin im Jahre 1882 zum erstenmale in Deutschland hergestellt worden ist. Der Bruder des Herrn Nešvara ist hier am Werke. Er scheint der technische Leiter des Unternehmens zu sein. Wenn der Apparat gefüllt ist, verschließt er ihn hermetisch und leitet hernach zwischen die doppelten Wände des Behälters Dampf von fünf Atmosphären. Dadurch findet eine Trocknung der Fleischteile statt, und die durch den Siebboden ablaufende Flüssigkeit wird durch den im Rezipienten sich entwickelnden Dampf in einen zweiten Zylinder gedrückt. Nun wird der Apparat durch sechs Stunden einer Temperatur von hundertfünfzig Grad ausgesetzt, worauf man durch den Dampf alle noch vorhandene Flüssigkeit und das ausgeschiedene Fett in den Rezipienten drückt. Aus diesen gelangt das Fett in den rechts vom Kafilldesinfektor stehenden Fettabscheide-Apparat, während das Leimwasser in den auf der linken Seite des Desinfektors stehenden Verdichtungsapparat strömt. Der nun fast trockene und geruchlose Inhalt wird nun in eine riesige Maschine gebracht, die in der Mitte des Seziersaales steht: Den Podewilsschen Trockentrommelmühl-Apparat, in dem die Fleischreste zu „Tierkörpermehl,“ einem feinen Pulver zermahlen werden, das einer Kunstdüngerfabrik in Pankratz verkauft wird. Die größeren Knochen werden in einem anderen Apparate zu Knochenmehl — gleichfalls ein Düngemittel — zermahlen. Eine hydraulische Presse, die unter einem Drucke von vierhundert Atmosphären das Tierkörpermehl zu runden Kuchen zu pressen vermag, steht außer Betrieb. Während in Deutschland diese Tierkörpermehl-Kuchen als Futtermittel stark verwendet werden, vermochten sie sich in Prag trotz ihres großen Proteïn-Gehaltes nicht einzubürgern. Außerdem stehen im Maschinensaal ein mächtiger Ventilator, Trockenapparate und Schöpfpumpen in Betrieb.
 
An den Maschinensaal schließt sich der Kesselraum mit der 6 H. P. starken Dampfmaschine und einem Dampfkessel von zwölf Meter Heizfläche. Hinter dem Kesselraum befindet sich das Fettmagazin, in dem große Fässer voll Tierfett stehen. Auf einer schmalen Stiege gelangt man in den Trockenraum für Häute und das Magazin für Tierkörpermehl — weite Bodenräume, in deren Mitte der breite, rote Schlot den Dachstuhl durchbricht. Auf der Erde liegen braune Berge, die wie aufgeschichtete Ackerkrume aussehen, und Tierkörpermehl sind. In einer Ecke ist ein gelbes Pulver, das Knochenmehl aufgeschüttet. In einer anderen liegen Knochen. Wenn man sie angreift, dann zerbröckeln sie in der Hand. Sie sind entfettet, entleimt, sterilisiert.
 
Der Rundgang ist beendet und Herr Nešvara lädt mich in seine Wohnung ein. Wir kommen durch ein Zimmer, in dem sein jüngstes Söhnchen auf der Erde mit einem Hunde spielt — das billigste Spielzeug dortzulande. Dann sprechen wir vom Fach. Herr Nešvara kennt die Geschichte des Prager Abdeckereiwesens ganz genau, ist sie doch zum Teile seine eigene Familiengeschichte. Sein Großvater, der noch in den städtischen Urkunden nicht „Nešvara“ sondern „Neschwara“ hieß, und sein Vater waren Wasenmeister, seinen ältesten Sohn, der Sekundaner ist, will Herr Nešvara Tierarzneikunde studieren lassen. Dem Abdeckergewerbe ist längst die „Anrüchigkeit“ genommen, die vor Jahrhunderten seinen Angehörigen die Heirat mit ehrbaren Mädchen, den Eintritt in die Zünfte, in den Militärstand, die Zuweisung von Ehrenstellen verbot und die Erblichkeit dieses Berufes anordnete, aber freiwillig erbt sich dieses seltsame Handwerk noch heute vom Vater auf den Sohn fort.
 
Herr Nešvara kennt die Geschichte seiner Vorgänger auch über seine eigene Ahnenreihe hinaus. Aus einer Schublade holt er ein vergilbtes Dokument hervor: Den Freibrief, mittels welchem Maria Theresia den Schindern und deren Freiknechten gestatte, eine Ehe mit einem bürgerlichen Mädchen einzugehen, allerdings unter der Bedingung, daß diese Männer vorher ihrem Gewerbe entsagen mußten. Das muß ein hochwichtiger Akt gewesen sein, anno dazumal, denn er ist vom Fürsten Karl Egon Fürstenberg und „ad mandatum Sacro-Caesarea Regineque Majestatis ex Consilio Regii Gubernii“ von Johannes Arnvers gezeichnet.
 
Das Amt des Schinders wurde in Prag vom Scharfrichter versehen, man stellte die Vernichtung der zum Tode geweihten Menschen jener der „abgestandenen“ Tiere gleich. Im Jahre 1860 wurde der Henkersdienst verstaatlicht, die Abdeckerei aber nicht. Die Konzession zur Ausübung des Wasenmeistergewerbes erhielt für die am rechten Moldauufer gelegenen Teile Prags A. Nešvara, der Großvater des heutigen Inhabers, für das linke Ufer J. Jeřábek, dessen Amt heute ein ehemaliger Wachmann namens Josef Černy in der Kontumazstation Tejnka bei Břewnow ausübt. Die Nešvaras haben früher ihr Gewerbe in der Salnitergasse beim Rudolphinum ausgeübt, an der Stelle, wo heute das tschechische akademische Gymnasium steht. Herr Nešvara erzählt von Medizinern, die in seiner Jugendzeit in diese Wasenmeisterei kamen, um hier verschiedene Experimente an den Tieren zu machen. „Unsere häufigsten Besucher von damals sind heute Professoren an der deutschen medizinischen Fakultät,“ fügt Herr Nešvara hinzu. Meine Frage, ob die Tiere eventuell zu Vivisektionszwecken an die Universitätsinstitute abgetreten werden, verneinte Herr Nešvara. Nur bei besonders interessanten Fällen von Tiererkrankungen bitten sich die physiologischen Institute das Materiale aus, wenn sie nicht selbst solches haben. Aber das kommt fast nie vor.
 
Dann beginnt Herr Nešvara auf sein Geschäft zu schimpfen. Er habe die thermochemische Vernichtungsstation nach reichsdeutschem Muster mit einem Aufwande von 50.000 Kronen so errichtet, daß nicht nur die hygienische Vernichtung aller Kadaver, sondern auch deren Verarbeitung möglich sei. Er habe sich aber verspekuliert. Das Materiale sei gering, die Verwendungsmöglichkeit noch weit geringer. Von der Geldstrafe, die für ausgelöste Hunde entrichtet werde, bekomme er ein Drittel, etwa dreitausend Kronen im Jahr. Davon könne er die Betriebsspesen nicht decken. An die Vernichtung der Kadaver — darunter jährlich etwa tausend Hunde — müsse er jedes Jahr einen Betrag von dreißigtausend Kronen daraufzahlen und bemühe sich daher seit neun Jahren um die Zuweisung einer Subvention von der Stadtgemeinde. Seine Gesuche werden aber ohne Motivierung abgelehnt. Auch sein Antrag, daß man, so wie dies in anderen Städten geschah, den Maulkorbzwang abschaffen und bloß jene Hunde abfangen und vernichten möge, welche ohne Hundmarke herumlaufen, habe keinen Erfolg gehabt. Die Verwertung der Hundekadaver lohne sich nicht und Pferde, welche ein ergiebiges Verwertungsmaterial bilden, werden seit dem Aufschwunge des Pferdeselchergewerbes fast niemals mehr hergebracht. So sei die Abdeckerei buchstäblich auf den Hund gekommen.
 
„Ja, warum üben Sie denn Ihr Gewerbe aus, wenn Sie wirklich so viel zusetzen müssen?“, ist meine Frage.
 
„Ich werde es auch aufgeben. Mir liegt schon der Antrag vor, das Unternehmen in eine Farbenfabrik umzuwandeln, und das werde ich tun.“
 
Es fehlte noch, daß Herr Nešvara seiner Klage das Faustsche Wort anfügen würde: „Es möchte kein Hund so länger leben“ und man müßte diesem Fachmann sein Leid glauben. So aber weiß man nicht, ob er es mit seinem Entschluß gar so ernst meint, ob wirklich dieses Institut bald der Vergangenheit angehören soll, ob ein besseres oder ein schlechteres nachfolgen, und wie in Zukunft dem Hundeleben in Prag ein Ende gemacht werden wird. 

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