Man könnte meinen, die Königin, die nicht ganz ohne Eifersucht war, habe diesen Schwur gefordert, um sicher zu sein, daß der König keine zweite Ehe schließen würde. Glaubte sie doch bestimmt, daß es auf der ganzen Welt keine Frau gäbe, die ihr gleich käme.
So starb sie denn. Niemals hatte ein Gatte größere Trauer gezeigt: Weinen und Schluchzen bei Tag und bei Nacht, diese armseligen Rechte der Verlassenheit waren seine einzige Beschäftigung. Aber auch der größte Schmerz dauert nicht ewig.
Es versammelten sich die Großen des Staates und kamen mit der gemeinsamen Bitte zum König, er solle sich wieder verheiraten. Ihr Vorschlag schien ihm grausam und ließ ihn neue Tränen vergießen. Er berief sich auf den Eid, den er der Königin geschworen und gab allen seinen Räten den Auftrag, erst einmal eine Prinzessin zu suchen, die schöner sei, als seine Frau es gewesen. Er war aber überzeugt, daß sie diese niemals finden würden.
Dem hohen Rate kam das Gelübde des Königs lächerlich vor, und er erklärte, Schönheit sei eine Nebensache; das Staatsinteresse verlange eine tugendhafte Königin, die Mutter werde; der Staat brauche für seine Ruhe und seinen Frieden Prinzen. Die Prinzessin habe zwar alle Eigenschaften, die eine große Königin zieren, aber man müsse ihr einen Fremden zum Gemahl erwählen. Dieser Fremde würde sie entweder in seine Heimat führen, oder wenn er neben ihr im Lande herrsche, so würden seine Kinder immer fremdblütig bleiben. Das wäre eine Gefahr, da die Nachbarvölker eines Königreiches, das keinen Thronfolger habe, Krieg beginnen und den Untergang des Landes herbeiführen könnten.
Betroffen von solchen Erwägungen versprach der König, ihrem Rate zu folgen und begann, unter den heiratsfähigen Prinzessinnen Umschau zu halten, ob eine unter ihnen wäre, die ihm gefallen könnte. Jeden Tag brachte man ihm die reizendsten Bilder. Aber keines zeigte die Anmut der verstorbenen Königin, und so konnte er sich für keine entscheiden.
Obwohl er sonst von gutem Verstande war, kam er unglücklicher Weise auf den tollen Einfall, seine Tochter, die Prinzessin, zur Frau zu nehmen. Da sie ihre königliche Mutter, an Geist und Anmut bei weitem übertraf, so glaubte er, sie allein könne ihn von seinem Eide erlösen.
In ihrer Tugendhaftigkeit und Scham wäre die Prinzessin bei diesem entsetzlichen Vorschlag fast in Ohnmacht gefallen. Sie warf sich ihrem königlichen Vater zu Füßen und beschwor ihn mit der ganzen Leidenschaft ihrer Seele, sie nicht zu einem solchen Verbrechen zu zwingen.
Der König aber hatte sich nun einmal diesen Wahnsinn in den Kopf gesetzt und fragte, um das Gewissen der Prinzessin zu beruhigen, eine alte Zauberin um ihren Rat. Dieses alte Weib, das ebenso gottlos wie ehrgeizig war, opferte das Glück der unschuldigen und tugendhaften Prinzessin der Ehre, die Vertraute eines mächtigen Herrschers zu sein. Sie schmeichelte sich so sehr in das Herz des Königs ein, schilderte ihm das Verbrechen, das er begehen wollte, in so schönen Farben, daß er der festen Überzeugung war, es sei ein Gott wohlgefälliges Werk, die Tochter zu heiraten.