»Wenn dem so ist,« fuhr Riquet mit der Locke fort, »so werde ich doch noch glücklich werden, denn Sie haben die Macht, mich zum liebenswertesten aller Menschen zu machen!«
»Auf welche Weise?« fragte die Prinzessin.
»Es ist einfach! Wenn Sie mich nur genug lieben, um zu wünschen, daß es so sein möchte! Kurz, mein Fräulein, damit Sie nicht länger im Zweifel sind, so hören Sie: Dieselbe Fee, die mir am Tage meiner Geburt die Gabe verlieh, den Menschen, der mir gefällt, klug zu machen, gab Ihnen die Gabe, den Mann schön zu machen, den Sie lieben, und an dem Sie diese Gunst betätigen wollen!«
»Wenn es sich so verhält,« sagte die Prinzessin, »so wünsche ich von ganzem Herzen, daß Sie der schönste und liebenswürdigste Prinz der Welt werden sollen, und ich verleihe Ihnen von diesen Eigenschaften ebenso viel, wie ich selbst besitze!«
Kaum hatte die Prinzessin diese Worte gesprochen, als Riquet mit der Locke sich in ihren Augen in den schönsten Mann der Welt verwandelte, den bestgestalteten und liebenswürdigsten, den sie je gesehen hatte.
Einige Leute behaupten, es wären nicht die Zauberkünste der Fee gewesen, die da am Werke waren: die Liebe allein habe diese Wandlung vollbracht. Sie sagen, als sich die Prinzessin der Beharrlichkeit ihres Bewerbers, seiner Verschwiegenheit und aller seiner guten Herzens- und Verstandesgaben bewußt geworden wäre, habe sie keinen Blick mehr für seinen mißgestalteten Körper und sein häßliches Gesicht gehabt. Sein Buckel wäre ihr nur wie krumme Haltung vorgekommen, und in dem schrecklichen Hinken, das sie früher an ihm wahrgenommen hatte, habe sie jetzt nur eine gewisse reizvolle Nachlässigkeit erblickt. Es heißt weiter, daß ihr sogar seine schielenden Augen als außerordentlich strahlend vorgekommen wären, und ihre Unregelmäßigkeit nahm in ihrer Vorstellung den Charakter gewaltiger Liebesleidenschaft an; endlich hatte auch seine dicke, rote Nase für sie etwas Kriegerisches und Heldenhaftes.
Wie dem auch sei, die Prinzessin versprach ihm, auf der Stelle ihn zu heiraten, vorausgesetzt, daß er dazu die Einwilligung ihres königlichen Vaters erhalte.
Als der König erfuhr, wie sehr seine Tochter den Prinzen Riquet mit der Locke schätzte, den er übrigens als einen sehr vernünftigen und weisen Menschen kannte, nahm er ihn mit Vergnügen als seinen Eidam an.
Schon am nächsten Tag wurde die Hochzeit gefeiert, wie Riquet mit der Locke es vorausgesehen hatte, und zwar nach den Anordnungen, die er schon lange vorher dafür getroffen hatte.
Moral:
Nicht Dichtung ist’s, was Ihr gehört:
Das Leben selbst Euch hier belehrt,
Daß schön und klug ist jedermann,
Den eins von Herzen lieben kann.