„Hör’ einmal, Freundchen. Ich will versuchen, es dir zu erklären, wie die Sache zusammenhängt. Die Königin schläft immer lange und gut, wenn sie jemand geprügelt hat, darum hab’ ich Zeit zu einem kleinen Morgenklatsch. Um so mehr, da sie noch nicht angefangen hat, Eier zu legen. Sind wir erst so weit, dann pfeift’s aus einem andern Loch.“
„Genau wie bei uns,“ bestätigte der Buchfink. „Erzähl’ nur. Wir kennen dich ja als braven Burschen. Und es würde uns nur freuen, wenn du auf deine alten Tage nicht ganz einfältig geworden bist.“
„Wir wollen also mit dir beginnen, lieber Buchfink,“ sagte die Ameise. „Es gefiel dir nicht, daß ich sagte, du sängest für uns. Für wen singst du denn, wenn ich fragen darf?“
„Für meine Liebste. Und für meine Jungen. Und zu meinem Vergnügen.“
„Gewiß, gewiß. Aber wo ist deine Liebste vom vorigen Jahr? Weg! Wo sind eure Jungen? Weg! Du heiratest, setzest Kinder in die Welt, steckst ihnen[S. 293] ein paar Fliegen in den Mund, lehrst sie ein bißchen mit den Flügeln schlagen, und dann ist’s vorbei. Du siehst sie nicht mehr. Du hast nicht das geringste mit den andern Buchfinken im Walde zu schaffen. Du bist frei und ledig, ein Vagabund, ein Künstler. Es ist keine Ordnung in dir. Du gehörst nicht zum soliden Bürgertum.“
„Gott behüte, das war ja eine ordentliche Predigt!“ warf die Buche ein.
„Ja... nun kommen wir zu dir, meine liebe Buche!“ sagte die Ameise. „Du stehst so groß und stolz da in deinem grünen Kleid und bildest dir wer weiß was ein. Du lachst mich aus, wenn ich dir sage, du seiest um der Ameisen willen da. Um wessentwillen denn sonst, he?“
„Um meiner selbst willen, denk’ ich,“ sagte die Buche.
„Gewiß, gewiß,“ erwiderte die alte Ameise. „Laß einmal sehn, was für eine Person du bist! Wo bleibt all dein grüner Staat im Herbst? Weg, verwelkt, fertig! Was machst du mit deinen Kindern? Du lässest sie rings um deinen Fuß niederfallen, wie’s gerade kommt, und lässest sie groß werden, ohne dich im geringsten um sie zu kümmern. Ob sie so dicht wachsen, daß sie einander ersticken, das ist dir vollkommen gleich. Im Sommer tust du dich dick in Grün, im Winter frierst du an den nackten Armen. Was bist du für ein Geselle? Eine leichtfertige Person, die fünf gerade sein läßt! Es ist keine Ordnung in dir!“
„Wie kann man so zur Buche sprechen!“ rief der Waldmeister dazwischen.
„Nun will ich mit dir reden, Waldmeister,[S. 294]“ sagte die Ameise. „Du bist anmutig, das bist du, weiß Gott! Es ist ein wahres Vergnügen, dich anzusehen. Es ist, wie wenn man zur Komödie geht. Aber wie lange dauert das mit dir? Wollen sagen: zwei Monate. Dann bist du fertig... tot, verstehst du! Du grünst, blühst, wirfst deine Samen ab und stirbst. Du lebst nicht einmal von einem Jahr zum andern, wie der Buchfink und die Buche. Du bist nichts als eine Vorstellung... der Vorhang geht auf, der Vorhang fällt... die Ameisen klatschen Beifall, weil du so lieb und nett warst. Aber zur soliden Bürgerschaft gehörst du wahrhaftig nicht! In dir ist noch weniger Ordnung als in den andern.“