Die hunderttausend Jahr’ verklangen,
wie wenn ein Freudentag vergangen,
und niemand weiß es: wie.
Es vergingen hunderttausend Jahre, und der Tag kam, da die Fürsten nach ihrer Verabredung wieder zusammentreffen sollten, um voneinander zu hören, wie es ihnen ergangen war.
Im Dunkel der Nacht begaben sie sich jeder für sich zum Treffpunkt und setzten sich ganz wie das letztemal im Kreise nieder, ein jeder auf seinen Berg. Als die Sonne aufging, schien sie auf die vier hohen Herren in all ihrer Pracht und Macht.
Des Sommers Purpurmantel erstrahlte, und der goldne Gürtel um seine Lende und die rote Rose im Gürtel leuchteten. Der Lenz saß in seinem grünen Gewande da, spielte auf den Saiten der Laute und summte dazu. Der bunte Mantel des Herbstes flatterte im Winde, und der Schnee auf dem Berg des Winters glitzerte wie von Millionen Diamanten.
Des Sommers und des Winters Augen trafen einander zum erstenmal wieder nach den vielen Jahren. Der Schweiß sprang auf der Stirn des Winters hervor, und der Sommer hüllte sich schaudernd in seinen Mantel. Sie waren gleich stark und gleich stolz, aber die Augen des einen waren mild, die des andern kalt und streng. Zornig blickten sie einander an, als bittre, unversöhnliche Feinde.
Und auch der Frühling und der Herbst saßen einander gegenüber wie damals vor langer, langer[S. 277] Zeit, und auch ihre Augen trafen sich. Der Blick des Frühlings war betaut, träumerisch und jung wie immer, und der des Herbstes wehmütig und ernst.
Eine Weile saßen die Fürsten so da. Dann erhoben sie sich alle und verneigten sich tief, der Frühling und der Herbst aber am tiefsten, wie es dem Geringeren geziemt. Und als sie wieder saßen, ein jeder auf seinem Berge, und eine Weile geschwiegen hatten, da wandte der Herbst seinen ernsten Blick dem Sommer zu und fragte:
„Hab’ ich den Bund gehalten, den wir schlossen?“
„Das hast du!“ erwiderte der Sommer. „Du hast mir die Ernte geborgen. Ich danke dir.“
Und der Herbst wandte sich zum Winter und fragte:
„Hab’ ich getan, was ich versprach? Hab’ ich dir dein Bett zurechtgemacht? Hab’ ich auf der Erde Platz geschafft für deinen Sturm und deine Kälte?“
„Das hast du getan,“ antwortete der Winter verdrossen. „Aber stets hast du das Tal zu spät verlassen.“