Der Igel war so zusammengeschrumpft, daß in seinem Schlupfloch, das vorher für einen zu klein gewesen war, Platz für zweie war. Die Krähen zankten sich wie verrückt um die kleinste vertrocknete, vergessene Beere. Der Fuchs schlich mit schlaffem Bauch und bösen Augen umher. Und die braunen Mäuslein entdeckten mit Entsetzen, daß sie auf dem Grunde ihrer Vorräte angelangt waren. So viel hatten sie gegessen, um sich an den schlimmen Tagen warm zu machen.
Der Winter aber stand im Tale und schaute vergnügt aus. Er ging in den Wald hinein, wo der Schnee auf der Windseite bis zu den Kronen der Buchenstämme gefroren war, aber auf den Zwei[S. 274]gen der Tannen lag er so dick, daß sie bis zur Erde herabhingen.
„Seid ihr auch die Diener des Sommers, so müßt ihr euch doch darein finden, meine Livree zu tragen,“ sagte er höhnisch. „Und nun soll die Sonne euch bescheinen, und ich will mir einen schönen Tag nach meinem Herzen machen.“
Er hieß die Sonne hervorkommen, und sie kam.
An einem blanken blauen Himmel wanderte sie dahin, und alles im Tale, was noch Leben hatte, erhob sich ihr entgegen und bettelte sie um etwas Wärme an. Da war ein Sehnen und Seufzen tief in der Erde, tief in den Bäumen und tief im Flusse:
„Ruft den Frühling ins Tal zurück! Gib uns den Sommer wieder! Wir sehnen uns! Wir sehnen uns!“
Aber die Sonne hatte nur ein kaltes Lächeln als Antwort auf ihre Bitten. Sie blinzelte dem Reif zu, brachte es aber nicht fertig, ihn zum Schmelzen zu bringen; sie starrte auf den Schnee, konnte ihn aber nicht auftauen.
Tot und still lag das Tal unter seinem weißen Linnen da. Die Krähen schrien kaum im Walde.
„So gefällt mir das Land!“ erklärte der Winter.
Und der Tag ging zu Ende — ein schlechter, trister Tag, der ganz unterging in der großen, strengen Nacht, in der von tausend Sternen Kälte über die Erde herableuchtete. Der Schnee knirschte unter den Tritten des Hirsches, und der Sperling piepte im Schlafe vor Hunger. Das Eis dröhnte und bekam gewaltige Risse.
Und der Winter saß wieder auf seinem Berg[S. 275]thron und schaute froh über sein Reich hin. Seine großen, kalten Augen starrten, während er in seinen Bart brummte:
„Winter redet barsch darein,
ist von grimmer Art,
riegelt Land und Wasser ein,
straft das Leben hart.
Sommer lockt mit falschem Lied
Keime vor ans Licht.
Winter tötet, was da blüht,
hält ein streng’ Gericht.“
Die Tage verstrichen, und der Winter herrschte über das Land.
Die braunen Mäuse hatten die letzte Nuß gefressen und wußten keinen Rat für die Zukunft. Der Igel bestand nur aus Haut und Knochen, und die Krähen waren im Begriff, das ganze aufzugeben. Der Fluß lag tot unterm Eise.
Da ertönte plötzlich Gesang:
„Spielt auf, spielt auf,
haltet Tritt im Lauf,
ihr Wellen blau und sanft!
Gebt acht, gebt acht,
besiegt des Eises Macht!“
Da sprang der Winter auf und starrte in die Ferne, die Hand über den Brauen.
Unten im Tale stand der Frühling, jung und aufrecht in seinem grünen Gewande, die Laute über der Schulter. Sein langes Haar flatterte im Winde, sein Antlitz war weich und rund, sein Mund lächelte, und seine Augen waren verträumt und betaut.