Am nächsten Morgen war von dem Fluß nur eine schmale Rinne übrig, und als noch eine Nacht vergangen war, da war die Brücke fertig. Wieder rief der Fürst des Winters seine weißen Vögel herbei, und bald war die Schneedecke über den Fluß gebreitet, so daß man nicht mehr sehen konnte, was Land und Wasser war.
Aber keck ragten aus dem tiefen Schnee die Bäume auf, und in ihren Wipfeln schrien die Krähen. Tannen und Fichten hatten alle ihre Blätter behalten und waren so grün wie immer. Wo sie standen, da bildeten sie Deckung vor dem Frost und Schutz vorm Schnee, und der Buchfink und die andern Vögel fanden Zuflucht unter ihrem Dach.
Der Winter blickte sie zornig an.
„Könnt’ ich euch doch bändigen, könnt’ ich euch doch zerbrechen!“ schrie er. „Ihr bietet mir Trotz, ihr spottet meiner. Mitten in meinem Reiche haltet ihr Wache für den Sommer, und ihr gebt den verfluchten Schreihälsen, die die Ruhe in meinem Lande stören, eine Zuflucht. Mein Eis vermag sie nicht zu töten. Hätte ich bloß Schnee genug, euch darunter zu begraben, daß ihr mir wenigstens nicht in die Augen stechen könntet!“
Aber die Nadelbäume boten dem Zorn des Win[S. 271]ters Trotz und bewegten die langen Zweige im Winde.
„Du hast uns weggenommen, was du konntest,“ sagten sie. „Weiter reicht deine Macht nicht. Wir warten ruhig bessere Zeiten ab.“
Als sie das gesagt hatten, fiel der Blick des Winters plötzlich auf winzige Knospen rings an den Zweigen der Bäume. Er sah die Kätzchen des Nußstrauches, die nach dem Frühling dufteten. Er sah die braunen Mäuslein eine Trippeltour in den Schnee unternehmen und sah sie vor seinen Augen wieder in ihren warmen Stuben verschwinden. Deutlich hörte er den Igel an der Hecke schnarchen, und die Krähen schrien ihm fortwährend die Ohren voll. Durch das Eis sah er vom Grunde des Sees die Froschmäuler hervorragen.
Da packte ihn die Wut.
„Träume ich, oder wache ich?“ schrie er und griff mit beiden Händen in seinen Bart. „Hält man mich zum besten? Bin ich hier Herr oder nicht?“
Er hörte die Anemonen ruhig und leicht in der Erde atmen, und er vernahm, wie tausend Larven im Holz der Bäume munter und ungestört bohrten, als ob der Sommer im Lande wäre. Er sah die Bienen in ihrem sichern Nest umherkriechen und den Honig verteilen, den sie im Sommer eingesammelt hatten. Die Fledermaus sah er in ihrem hohlen Baum und den Regenwurm tief in der Erde. Überall, wohin er sich wandte, sah er Millionen von Eiern, Larven und Puppen, gut verwahrt und getreulich auf das Verschwinden des Winters harrend.