Jeden Morgen, bevor die Sonne aufging, fuhr der Wind durch den Wald und riß die letzten Blätter von den Bäumen. Jeden Tag wurde der Wind stärker, zerbrach große Zweige, fegte die welken Blätter in Haufen zusammen, trieb sie wieder auseinander und legte sie zuletzt als weichen, dicken Teppich über den ganzen Waldboden hin. Hier und dort hing ein vereinzeltes Blatt an einem Zweige, das sich sträubte und nicht sterben wollte. Aber es wurde ihm nur eine Galgenfrist bewilligt. Fiel es nicht heute, so fiel es morgen.
Der Igel verkroch sich so tief in ein Loch unter einem Steinhaufen, daß er zwischen zwei Steinen eingeklemmt sitzen blieb und weder vorwärts noch rückwärts konnte. Der Sperling bezog sein Nachtlogis in einem verlassenen Schwalbennest, die Frösche gingen endgültig auf den Grund des Teiches hinab, setzten sich im Morast zurecht, den Maulrand oben im Wasser, und warteten der Dinge, die da kommen würden. Die Wellen rissen die Seerosenstengel los und spülten sie weg, das Schilf zerbrach im Sturm und trieb mit der Strömung fort.
Der Herbstfürst starrte über das Land hin, um zu sehen, ob es kahl und öde war, auf daß sich die Stürme des Winters frei zu tummeln vermöchten und der Schnee sich niederlegen könnte, wo er Lust hatte.
Und es war so leer, daß die Sonne Tag um Tag später aufstand und früher zu Bett ging, weil sie fand, es sei nichts da, worauf sie scheinen könne.
„Nun komme ich!“ schrie der Winter von den[S. 263] Bergen. „Meine Wolken bersten von Schnee, und meine Stürme reißen sich los.“
„Ich habe noch einen Tag,“ sagte der Herbst.
Er ging über die Wiese, auf der das Gras schon gelb war; alle Blumen waren verschwunden mit Ausnahme des kleinen Tausendschönchens, das nie ein Ende finden kann. Dann ging er in den kahlen Wald hinein. Er sah nach dem Igel, lächelte den braunen Mäuslein zu, die hübsch ordentlich die Schalen aus der Stube trugen, wenn sie ein Nußgelage veranstaltet hatten, streichelte die starken Buchenstämme, fragte sie, ob sie dem Sturme standhalten könnten, und nickte den ewig vergnügten Krähen zu.
Dann blieb er vor der alten abgestorbenen Eiche stehen und blickte auf die Efeuranke herab, die ganz bis zum Wipfel emporkletterte und ihre grünen Blätter entfaltete, als ob es gar keinen Winter gäbe.
Und während er sie betrachtete, mit Augen, die mild und betaut waren, wie die des Frühlings, brachen die Efeublüten auf. Sie wiegten sich im Winde, gelb, grün und unansehnlich; und doch waren es ebenso richtige Blüten wie die, die im Reich des Sommers wuchsen.
„Nun kann ich meine Stürme nicht länger zurückhalten!“ schrie der Winter.
Der Herbst neigte sein Haupt und lauschte. Er hörte den Sturm über die Berge herabbrausen. Eine Schneeflocke fiel auf seinen bunten Mantel... und noch eine... und noch eine.
Zum letztenmal setzte er das Horn an den Mund und blies, gedämpft und wehmütig:
„Du grünste, du letzte,
du einz’ge, geschätzte,
du ewige, blanke!
Um alle Jahreszeiten
sich deine Arme breiten,
dem Herbst gilt dein letzter Gedanke,
du traute Efeuranke!“
Dann ging er im Sturme fort.