Tausende starben, aber niemand hörte ihren Todesseufzer bei dem Lärm, den der Kampf der Lebenden mit sich brachte. Und es war, als ob[S. 246] immer mehr Leben entstände, sobald ein Leben erlosch.
Die jungen Zeisige hüpften aus dem Nest, fielen vom Zweig herab und flatterten wieder hinauf. Die Krähenkinder schrien in den Wipfeln, und die jungen Adler flogen vom Felsen herab, um ihre Flügel auszuprobieren. Der Star jagte die erste Brut aus dem Nest und legte nochmals Eier, der Frosch erlebte es, seine mißgestalteten Jungen in anständiger Verfassung zu sehen, bevor er vom Storch verspeist wurde.
Nie waren die Fische im Fluß so zahlreich, die Blätter der Buche so breit, das Gesträuch so dicht gewesen, nie hatten so viele Blumen an der Hecke gestanden.
Und der Sommer stand mitten in seinem Reich, groß, rank und strahlend.
„So ist es gut!“ sagte er.
Da wurde es Abend.
Die Krähen flogen von ihrem Klub in der alten, abgestorbenen Eiche nach Hause, die Vöglein im Gebüsch stimmten ihr Abendlied an, machten es aber kurz, denn sie waren müde. Die Blumen schlossen sich, und die Bienen verrammelten das Haus. Der Nachtfalter flog auf weichen grauen Flügeln dahin. Die Sterne glitzerten; immer mehr, immer größere kamen zum Vorschein.
Vorsichtig steckte der Nebel seinen Kopf heraus, spähend und lauschend. Und da es ganz still war, quoll er hervor, weiß und grau, wogend, lautlos. Bald lag er ruhig träumend da, bald tanzte er auf seine eigentümliche Art über die Wiese dahin. Er guckte in den Wald hinein, wo die Linde duftete,[S. 247] er glitt den Fluß hinab, der dahinrann und im Dunkel verschwand.
Aber vom Waldessaume her erscholl plötzlich ein langer, jubelnder Triller über das Tal:
„Gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitt!“
Der Nebel stand still und lauschte. Der Hirsch hob den Kopf, die Vögel öffneten verschlafen die Augen und antworteten mit leisem Gepiep.
„Gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitt!“
Die Nachtigall sang:
„Nun dämmert’s im Gesträuch.
Die sternenhohe Sommernacht
zieht durch die weiten Lande sacht.
Und alles schläft, vom Mond bewacht,
und weilt in Traumes Reich.
Gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitt!
Nur die Nachtigall schlägt,
Wenn nichts sich regt:
Gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitte — gitt!“