„Nun kommt die Reihe an mich,“ sagte der Sommer.
Er nahm die Rose aus dem Gürtel und warf sie auf den Berg, auf dem er saß, und sogleich schossen die herrlichsten Rosen aus dem Boden hervor. Sie nickten im Winde von den Felsenspitzen und füllten die Täler mit ihrem Duft und ihren Farben. In jedem Strauch saßen muntere Nachtigallen und sangen, und an den Stengeln der Blumen hingen schwere Tautropfen, die in der Sonne glitzerten.
„Nun?“ sagte der Sommer.
Der Winter beugte sich vor und starrte unverwandt auf die schönste der Rosen. Da gefror der Tautropfen, der unter der Blume hing. Der Vogel, der auf ihren Zweigen saß und sang, fiel steif zur Erde, und die Rose selber verwelkte.
„Nun?“ sagte der Winter.
Aber der Sommer erhob sich und sah mit seinen milden Augen den Berg des Winters an, dort, wo der Schnee am tiefsten lag. Und wohin er blickte, schmolz der Schnee, und aus der Erde brach eine große, schöne Weihnachtsrose hervor.
So konnten die beiden Fürsten zu keiner Einigung kommen.
Der Tag verstrich, es wurde Abend und Nacht. Der Mond beschien den prächtigen Schneeberg, der wie Diamanten glitzerte und glänzte. Drüben vom Berg des Sommers her erscholl der Gesang der Nachtigall, und der Duft der Rosen schwebte in den Raum hinaus.
Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, kamen zwei andere Fürsten just auf die Stelle zu gewandert,[S. 213] wo der Winter und der Sommer saßen und einander böse Blicke zuwarfen.
Der eine kam von Osten, der andere von Westen. Sie waren von kleinerer Gestalt als der Winter und der Sommer und nicht so stark und ehrfurchterweckend anzusehen. Aber groß waren sie doch, und man sah deutlich, daß es hohe, mächtige Herren waren. Denn sie gingen frei und stolz über die Erde hin und schauten ohne Scheu und Angst um sich.
Der von Osten kam, war der jüngere, ein blutjunger Mann, ohne ein Haar am Kinn. Sein Gesicht war weich und rund, der Mund lächelte ununterbrochen, und seine Augen waren verträumt und betaut. Sein langes Haar war mit einem Bande umwunden wie das eines Weibes. Er war ganz grün gekleidet. Das Band um sein Haar war grün und ebenso die Schleifen an seinem Fuß, und über der Schulter trug er an einem breiten grünseidenen Band eine Laute. Er wanderte so heiter und leicht dahin, als ob seine Füße die Erde nicht berührten, und die ganze Zeit trällerte er vor sich hin und spielte auf der Laute.