Es fiel ihm ein, wer sie vor ihm besessen hatte; und er kam auf den Gedanken, daß in dem Geheimfach vielleicht Dokumente lägen, die für den jungen Mann, den Sohn der ehemaligen Besitzerin, von Wichtigkeit sein konnten. Und der Doktor vergegenwärtigte sich den jungen Mann, der schon damals sein Interesse wachgerufen hatte. Stolz hatte der Jüngling des Doktors Anerbieten, eine Dienerstelle bei ihm anzunehmen, abgeschlagen; und der Doktor hatte schon damals daran gedacht, ob nicht vielleicht ein Geheimnis über der Geburt des Jünglings schwebe.
Unser Doktor fackelte nicht lange, sondern holte Hammer und Brecheisen. Und ohne sich daran zu kehren, daß er die Truhe, die er einst für fünfzig Goldstücke erstanden hatte, zerstörte, schlug er sie so weit in Stücke, bis das Geheimfach zutage kam. Da lag ich nun, und da lagen ja nun auch die Papiere.“
„Höchst interessant!“ rief der Adler. „Ich habe wirklich schon lange nichts so Spannendes gehört.“
„Nahm er dich denn nun und gab er dich wieder in die Welt hinaus?“ fragte das Eisen.
„Mich beachtete er zunächst überhaupt nicht,“ antwortete der Dukaten. „Er nahm vielmehr die Pa[S. 130]piere, setzte sich an den Tisch und las sie durch; und dann las er sie zum zweiten und dritten Male. Ich lag inzwischen da und glänzte und freute mich, glücklich meinem Versteck entronnen zu sein. Ich hatte auch gar keine Angst, übersehen zu werden; denn das passiert einem Dukaten nie. Und ich kann auch nicht sagen, daß ich mich gelangweilt hätte. Denn der Doktor las laut aus den Papieren vor, hielt laute Selbstgespräche und machte überhaupt kein Geheimnis aus den Dingen, die er da so auf einmal entdeckt hatte. Es waren ja auch durchaus keine unwichtigen Papiere, die er in Händen hatte. Da war der Trauschein, ein Beweis dafür, daß die verstorbene Musiklehrerin eine wirkliche Gräfin war, gesetzlich getraut mit einem der reichsten Adligen des Landes. Und da war auch der Taufschein, durch den offenbar wurde, daß ihr Sohn — jener junge Mann, der das Anerbieten des Doktors, Diener bei ihm zu sein, so stolz zurückgewiesen hatte — daß dieser junge Mann der rechtmäßige Erbe dieses Adligen war. Der alte Armenarzt lachte hell auf bei dem Gedanken, daß er beinahe einen wirklichen Grafen zum Diener bekommen hätte.
Aber es kam noch etwas ganz andres dazu, wodurch das Interesse des Doktors noch viel mehr gesteigert wurde. Es war ihm so, als hätte er gerade heute in der Zeitung etwas von jenem Grafen, also dem Vater des jungen Mannes, gelesen. Er sprang auf, um die Zeitung zu suchen. Wie eine Fliege in einer Flasche, so schwirrte er im Zimmer umher, konnte aber die Zeitungsnummer nicht finden. Da lief er, wie er ging und stand, auf die Straße hinunter und kaufte die Nummer der Zei[S. 131]tung. Atemlos kehrte er auf sein Zimmer zurück, faltete die Zeitung auseinander — und richtig: der Graf, der einst mit der armen Musiklehrerin vermählt gewesen war, war soeben, plötzlich und unerwartet, in Paris gestorben. Unverheiratet, so stand in der Zeitung. Und da stand auch, daß der Titel und die großen Besitzungen auf eine Nebenlinie übergingen.
Der Doktor sprang auf, lief im Zimmer umher und rieb sich vergnügt die Hände. Der Nebenlinie werden wir was pusten! dachte er. Hier ist ein rechtmäßiger Erbe. Der wird eines schönen Tages hervortreten und seine Ansprüche erheben. Aber auf einmal fiel ihm ein, daß er ja in Wirklichkeit gar nicht wußte, wo dieser Erbe steckte.