„Ehrwürdig ist er,“ fiel der Rotdorn ein. „Er hat gewiß eine Menge Seltsames erlebt, wovon er erzählen könnte, wenn er wollte.“
„Es sitzt sich herrlich auf ihm,“ rief die Nachtigall, die auf seiner Spitze saß und mit den Flügeln schlug. „Er ist viel, viel solider als die dünnen, schwankenden Zweige.“
Der alte Pfahl nahm sich diese Komplimente nicht weiter zu Herzen. Er dachte über den Besuch nach, den er gehabt hatte, und ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, daß etwas Arges im Gange sei.
Da kam die Grabwespe nach Hause.
Mit großer Mühe schleppte sie sich in das Loch hinein und legte ihr Ei. Als sie wieder herauskam, zitterte sie an allen Gliedern und konnte kaum sprechen.
„Sind Sie krank?“ fragte der Pfahl teilnehmend.
„Ich muß sterben,“ erwiderte die Grabwespe. „Und hör’ nun gut zu, was ich dir sage! Du bist ja ein guter alter Pfahl, der seinen Mitgeschöpfen kein Leid antun will. Ich habe in der ganzen Welt nur eine Feindin. Die dringt in mein Haus ein, wenn ich nicht da bin...“
„Halt!“ rief der Pfahl und zitterte vor Schreck, so daß die Hälfte seines Mooses auf die Erde hinabfiel und er auf der einen Seite einen großen Riß bekam.
Aber die Grabwespe ließ ihn nicht ausreden.
„Schweig still!“ sagte sie. „Ich hab nur noch einen winzigen Augenblick zu leben, und du mußt[S. 45] auf das hören, was ich dir erzähle. Die Goldwespe heißt mein Feind, und sie ist recht schön anzusehen — viel schöner als ich. Sie glänzt, als wäre sie aus Gold und Silber gemacht. Aber böse und träge ist sie. Sie selbst hat keine Lust, für ihre Jungen Nahrung zu suchen. Darum sucht sie sich das Loch, in das ich meine Eier gelegt habe, und legt die ihren daneben. Und dann fressen ihre Kinder all die Nahrung, die ich gesammelt habe, und mein Kind obendrein. — Du mußt mir versprechen, auf sie achtzugeben, wenn sie kommt. Und nun lebe wohl und vielen Dank für deine Freundlichkeit!“
Der alte Pfahl bekam noch einen Riß und konnte vor Schreck die Sprache nicht wiederfinden. In diesem Augenblick kam die Nachtigall und erwischte die Grabwespe. Die Sträucher schrien entsetzt auf, aber die Nachtigall entschuldigte sich aufs beste.
„Sie mußte ja sowieso sterben,“ meinte sie. „Sie war bereits tot. Aber ich gebe zu, es ärgert mich, daß ich den Schlingel von Goldwespe nicht erwischt habe.“