„Ja... im Rotdorn drüben,“ entgegnete der Pfahl. „Aber sie geruht nie, auf mir zu sitzen, darum brauchen Sie keine Angst zu haben. — Gefällt die Wohnung sonst der gnädigen Frau?“
„Ja, ich danke. Ich nehme sie. In fünf Minuten bin ich wieder hier.“
Damit flog sie fort, und der alte Pfahl war so vergnügt wie lange nicht.
„Wenn es auch keine Nachtigall ist, so ist es doch[S. 39] etwas ähnliches,“ sagte er zu sich selbst. „Ei ist Ei, und ich weiß nur so viel, daß ich jetzt ebensoviel wert bin wie der Rotdorn.“
Gleich darauf kehrte die Grabwespe mit einer Marienkäferlarve zurück, die sie mit vieler Mühe auf den Pfahl hinaufschleppte und in das Loch hineinsteckte. Der alte Pfahl sah ihr verwundert zu.
„Mich geht es ja zwar nichts an,“ sagte er. „Aber ich finde, Sie möblieren die Wohnung auf eine sonderbare Art.“
„Das ist für mein Junges,“ erklärte die Grabwespe. „Ich muß dafür sorgen, daß es etwas zu fressen hat, wenn es aus dem Ei schlüpft. Wenn ich eine Marienkäferlarve gefangen habe, so steche ich sie mit meinem Stachel, so daß sie ohnmächtig wird, und trage sie in das Loch hinein.“
„Wäre es nicht schöner, Sie stächen sie ganz tot?“ fragte der Pfahl.
„Wohl möglich. Aber dann würde sie verfaulen, siehst du. Und meine Kinder sollen frisches, gutes Fleisch bekommen.“
„Ich halte mich nicht darüber auf, daß Sie für die Familie sorgen,“ sagte der Pfahl, nachdem er ein wenig nachgedacht hatte. „Ich weiß ja auch, daß alle Tiere die reinen Straßenräuber und Banditen sind. Fressen sie nicht einander, dann fressen sie uns unschuldige Bäume und Pflanzen. Aber wenn Sie einem alten, einfachen Pfahl gestatten wollen, Sie noch mit einer Frage zu belästigen: Warum warten Sie nicht mit der Fütterung Ihrer Kinder, bis sie aus dem Ei kommen?“
„Dann bin ich tot und verschwunden,“ erwiderte die Grabwespe.
„Wie meinen Sie?“ fragte der Pfahl, der glaubte, falsch verstanden zu haben.
„Ich bekomme mein Kind nie zu sehen,“ sagte die Grabwespe. „Wenn ich das Haus mit Marienkäferlarven gefüllt habe, lege ich das Ei, und dann muß ich sterben. Das ist nun mal mein Schicksal.“
„Herrje!“ rief der Pfahl.