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Der Löwe und das Schaf
日期:2023-11-23 11:04  点击:204
In den Märchenbüchern ist geschrieben und auch von den Weisen der Vorzeit ist erwähnt worden, daß einst in dem Hafen einer Insel ein großes Schiff, das von Menschen verlassen war, geblieben war. Dieses Schiff war vorher von einem Sturm betroffen und an das Ufer geschleudert worden und alle darin befindlichen Lebewesen waren umgekommen. Nur ein Schaf war gerettet worden. Dies Schaf verließ bisweilen das Schiff, weidete am Ufer, ging des Abends wieder in das Schiff und schlief dort.
 
Nun wohnte in dem Walde jener Insel ein großer Löwe. Alles Wild jener Gegend gehorchte ihm. Eines Tages machte er eine große Jagd, und nachdem er und alle, die unter seinem Schutz lebten, sich gesättigt hatten, fiel der Blick des Löwen, als er am Ufer spazierenging, auf das Schiff. Er betrat sofort das Schiff, das ihm sehr gefiel, und während er alles betrachtete, sah er das Schaf. Da er satt war, hatte er Mitleid mit dem Schaf, schenkte ihm das Leben, lud es zu sich ein, behandelte es sehr freundlich, zog es in seine nächste Umgebung, ließ ihm von niemandem Unrecht tun, da es fremd in dieser Gegend war, versorgte es mit allem Nötigen und gewährte ihm Sicherheit. Das Schiff machte er zu seinem Palast, lud sein ganzes Gefolge nach dem Nachmittagsgebet dorthin ein und [199]ließ dort Diwan38 abhalten. Das Schaf verkehrte auch ohne weitere Förmlichkeiten bei dem Löwen. Eines Tages hatte der Löwe mit seinem Gefolge bis zum Abend gejagt, aber kein Wild gefunden. Am folgenden Tage fanden sie gleichfalls nichts. Als sie am dritten Tage auch keine Beute fanden, war sowohl der Löwe wie auch sein Gefolge vor Hunger am Ende ihrer Kräfte. Seine Vezire beschlossen einstimmig den Tod des Schafes und gingen zum Löwen. Dieser sagte: „Ich will lieber vor Hunger sterben, als mein Wort brechen und einem schuldlosen Wesen, dem ich Sicherheit versprochen habe, einen Schaden zufügen.“ Seine Vezire sagten: „Jawohl, das Wort des Königs der Tiere ist Wahrheit, und seine Rede ist die absolute Weisheit, aber heute ist Euer erlauchter Körper vor Hunger nahe am Tode. Nun, was macht es, wenn ein Sklave sich für das Wohl der Untertanen des Königs opfert? Schon die Weisen sagen: ‚Der Schaden des einzelnen ist besser als der Schaden der Gesamtheit.‘ Statt daß alle deine Diener umkommen, ist es besser, daß einer deiner Sklaven sich opfere. Es ist billig, daß du für das Wohl so vieler Seelen dieses Schaf uns als Mahlzeit gibst.“
 
Der Löwe hörte auf ihre Rede und wollte das Schaf töten, konnte aber keinen Vorwand finden. Während er nach einem Grunde suchte, kam das Schaf nach Gottes Ratschluß zum Löwen. Dieser sagte: „Du ungebildetes Tier, nimmst du gar keine Rücksicht auf Könige? Jedesmal wenn du kommst und gehst, dich hinsetzt und aufstehst, machst du meinen Thronsaal voll Staub.“ Das arme Schaf, das die wahre Sachlage nicht ahnte, sagte: „O Löwe, du Unvergleichlicher, unterlasse doch, bitte, derartige unverständige Scherze. Ist wohl auf einem Schiffe im Meere Staub, daß durch meine Bewegungen dein Thronsaal staubig werden könnte?“ Als der Löwe dies hörte, schwieg er, aber der Fuchs, der von allen seinen Günstlingen unter den Tieren besondere Gunst genoß, trat hervor und sagte: „Du Schaf, dein Benehmen ist [200]schon an und für sich sinnlos und schmachvoll, aber diese Entschuldigung ist die reine Gemeinheit und wird allerlei Buße nach sich ziehen, denn gibt es eine größere Sünde als den Königen gegenüber das Wort zu ergreifen und ihre Perlen ausstreuende Rede Lügen zu strafen? In deiner großen Dummheit begreifst du nicht einmal deine Schuld und widersprichst dem Könige. Diese unverständige Entschuldigung ist wie die Entschuldigung, die der Stallknecht seinem Herrn gegenüber vorbrachte. Deine Entschuldigung ist schlimmer als dein Vergehen.“ Der Löwe fragte: „Was ist das für eine Geschichte?“ Der Fuchs antwortete:
 
„Es wird erzählt, daß ein angesehener Mann eines Nachts aus einer Gesellschaft nach Hause zurückkehrte. Während er die Treppe hinaufstieg, hörte sein Stallknecht, der im Stall war, das Geräusch der Schritte. Er kommt heraus und sieht, daß in der Dunkelheit jemand die Treppe emporsteigt. Nun war der Stallknecht jedesmal von der jungen Hausherrin beehrt worden. Er dachte also, es sei die junge Frau, kam herbeigesprungen, um ihr unter die Arme zu greifen.20 Er konnte aber nicht abwarten, bis er die Hälfte der Treppe erstiegen hatte und drückt den Knöchel seines Herrn, aber da er diesen Knöchel nicht so weich wie sonst fand, faßt er Verdacht und schaut genauer auf das Gesicht. Da sieht er, daß der Knöchel, den er im Glauben, es sei der der jungen Frau, gedrückt hatte, der seines Herrn ist. Aus Furcht fängt er an um Verzeihung zu bitten und zu schwören: ‚Bei Gott, ich wußte nicht, daß Sie es waren, ich dachte, es sei die junge Frau. Jedesmal, wenn sie kommt, beehrt sie mich an der Treppe. Ich dachte, sie sei gekommen. Darum seien Sie mir, bitte, nicht böse und zürnen Sie mir nicht.‘ Mit diesen Worten entschuldigte er sich. Nun, die Entschuldigung des Schafes gleicht ihr. Deshalb muß es auch seine Strafe erhalten.“
 
Der Löwe zerriß sogleich mit diesem Vorwand das arme Schaf. 

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