Es war einmal ein sehr armer Mann, der sein Leben damit fristete, alte zerrissene Stiefel auszubessern. Dieser arme unglückliche Mann hatte eine ebenso unglückliche Frau und eine Tochter.
Eines Tages ging die Frau dieses Armen mit ihrer Tochter ins Bad, um sich zu baden. Sie treten in die Badezelle. Während sie anfangen wollen zu baden, kommt die Badefrau [169]und sagt, daß sie aufstehen müssen, weil die Frau des Obersterndeuters sich dort baden will. Die Armen verlassen den Raum und gehen in einen anderen. Dort rüsten sie alles zu und lassen das Wasser laufen. Gerade als sie sich baden wollen, kommt wieder die Badefrau und erklärt, daß diese Zelle für das Fräulein Tochter der Obersterndeuterin bestimmt sei. Sie gehen in eine andere. Dort war nun gerade die erste Verwalterin der Obersterndeuterin, eine vierte war für die Sklavinnen, eine fünfte für die Dienerinnen, eine sechste und siebente usw. für die Familienangehörigen der Obersterndeuterin bestimmt. Überall werden sie so fortgejagt. Daraufhin ärgert sich die Frau, sie wird aufgeregt und kehrt zornig in ihr Haus zurück.
Am Abend kommt der arme Schuhflicker, der eine mit Mühe und Not verdiente Okka Brot in sein Kattuntaschentuch gewickelt und ein Bund Zwiebeln am Ende seines Stockes aufgehängt hat, und klopft an die Tür.
Die Frau öffnet ihrem Manne die Tür, aber gleichzeitig öffnet sich auch ihr Mund. Der unglückliche Mann weiß nicht, was die Veranlassung zu diesem Empfange gewesen ist, und wünscht Aufklärung. Die Frau erklärt ihm die Sache und vergißt nicht folgende energische Erklärungen hinzuzufügen:
„Mann, entweder wirst du Obersterndeuter, damit wir, wenn wir ins Bad gehen, mit gleicher Ehrerbietung behandelt werden, oder ich lasse dich nicht mehr ins Haus herein.“
„Aber, Frau, ich bin ein ungebildeter Mann. Um Obersterndeuter zu werden, muß man lesen und schreiben können. Davon habe ich keine Ahnung. Wie sollte ich das werden können?“
„Ich weiß nicht, was Lesen und Schreiben ist. Du mußt das Schuhflicken aufgeben und richtig Obersterndeuter werden. Sonst ist dies mein letztes Wort: ich werde dir nicht wieder aufmachen. Dann magst du meinetwegen zum Teufel gehen.“[170]
Der arme Schuhflicker merkte, daß die Worte seiner Frau ganz bestimmt waren. Er kannte ihre Natur und ihren bösen Charakter. Seitdem sie sich verheiratet hatten, war es dreiundvierzig Jahre. So hatte er sie ordentlich kennengelernt. Es gab kein anderes Mittel, als Obersterndeuter zu werden. Am nächsten Morgen stand er früh auf, ging in den Laden und ließ alle Werkzeuge, die er hatte, versteigern. Mit den paar Piastern, die er gewonnen, kaufte er sich auf dem Alttrödelmarkt einen Kaftan, ebenso machte er sich aus alten weißen Vorhängen einen Turban, besorgte sich ein altes Tintenfaß und ein Schreibrohr, setzte sich an einer Straßenecke, wo viele Leute vorbeigingen hin und wartete wie eine Spinne, die ihr Netz gebaut hat und auf Beute wartet, auf gläubige Kunden. Daß es viele solcher Dummen gibt, sieht man aus der Menge der Besprecher und Bepuster und aus der allgemeinen Unwissenheit. Ohne Zweifel konnte unser Schuhflicker unter diesen so zahlreichen Berufsgenossen sich sein Stück Brot verdienen. Aber die Absichten seiner Frau gingen sehr hoch. Ach, wie könnte das möglich sein?
Jedenfalls suchte unser Schuhflicker eine junge Gans zum Rupfen und brauchte nicht zu lange zu warten. Eine alte Zigeunerin von fünfundneunzig Jahren, deren Augen infolge des Alters hellblau geworden, deren Hüften gebrochen, deren Kniescheiben infolge der Schwäche herausgetreten waren, die sich auf zwei dünne Beine gleichwie auf zwei schwarze Bohnenstangen stützte und einen Körper hatte, der in keinem Verhältnis zu diesen Füßen stand, ging zu dem Schuhflicker.
„Hollah, Herr Hodscha, ist dein Atem wirkungsvoll? Ich bereite jedesmal am letzten Mittwoch des Monats den Geistern eine Suppe und stelle sie in den Herd. Am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang nehme ich das Gefäß, bringe es ans Meer und werfe es hinein, dann eile ich ohne mich umzudrehen und umzusehen nach Hause. Auf diese Art bin ich bisher immer vor den bösen Geistern sicher gewesen.“[171]
„Ach, Herr Hodscha, ich weiß nicht, ob unser junger Herr mir diesmal einen falschen Tag gesagt oder sich geirrt hat. Ich weiß nicht, was los ist. Diesen Monat konnte ich mein Gelübde nicht ausführen und habe seit jenem Tage einen gewaltigen Kopfschmerz, als ob er meinen Kopf abrisse und zerhackte. Mein lieber Herr Hodscha, wenn dein Atem wirkungsvoll ist, so besprich mich.“
Unser Schuhflicker hatte vom Besprechen und vom Gebet und Derartigem keine Ahnung. Schließlich fing er an, innerlich über seine Frau zu fluchen, die ihn in eine solche schwierige Lage gebracht hatte.
Als die Zigeunerin dies sah, sagte sie zu sich: „Gott hat mir geholfen. Zu was für einem guten, tüchtigen Hodscha hat er mich geführt. Sieh, sieh, seine Augen haben sich ganz verändert. Jetzt fängt er auch zu beten an. Ach, jetzt bin ich wieder gesund geworden.“
Der arme Schuhflicker ahnte, daß die Geschichte nicht so endigen würde, nahm sich zusammen, setzte sich neben die Schwarze, bestrich ihre faltenreiche mit Laudanum bestrichene Stirn mit seinen Händen, sagte dann mit leiser Stimme zwei- bis dreimal einige sinnlose Wörter und blies die Frau an.
Derartige Dinge üben auf das Nervensystem bisweilen eine gute, bisweilen eine schlechte Wirkung aus. Die Nerven werden dadurch beeinflußt. Deswegen hörte der Kopfschmerz der Schwarzen hiernach auf.
Die Frau kehrte zufrieden und dankbar, lachend und vergnügt nach Hause zurück und sagte zu ihrer Herrin: „Ach, Herrin, heute habe ich einen Hodscha gefunden, dessen Atem so heilkräftig war, daß mit einem Hauch mein Kopfschmerz beseitigt wurde.“
Die Herrin antwortete:
„Wo war der Hodscha? Wie wäre es, wenn du hingingest und, damit die Heftigkeit des Herrn aufhört, ihn besprechen ließest?“
Sie antwortete:[172]
„Das wäre nicht schlecht. Wenn wir sein Hemd besprechen ließen, wäre es vielleicht das wirksamste.“
Die Herrin schickte die Schwarze mit folgenden Worten zum Hodscha:
„Das ist ein guter Gedanke von dir. Ich werde dir ein rotes Tuch geben. Es kann auch ein Stück Kattun sein, das er des Feiertags anlegt. Geh sofort nach oben und nimm aus dem Wäschebündel ein Hemd aus Kräuselstoff und bring’ es dem gesegneten Hodscha. Gib ihm diese zwei Medschidije und sage ihm, wenn sein Atem wirkungsvoll sein wird, werden wir ihm zwei Goldstücke geben. Nicht wahr, meine liebe Hoschkadem?“
Als der Hodscha die Schwarze kommen sieht, denkt er, daß sie das ihm gegebene Geld wieder fordern will. Als er erfährt, was sie will, wird er beruhigt. Er spricht das Gebet über das Hemd und steckt die blanken Medschidije in seine Tasche.
Am Abend kehrt unser Schuhflicker mit dem Gelde, wie er noch nie in seinem Leben soviel zusammen gesehen, nach Hause zurück und denkt, daß seine Frau ihn mit Freuden aufnehmen werde.
Er kommt ans Haus und fängt an der Tür mit den Medschidije zu klappern an, um sie neugierig zu machen. Jedoch die Frau war ungeheuer fest in ihrem Entschluß. Sie kümmerte sich gar nicht um das Geld und um das Klappern. Der Mann macht soviel Lärm, jammerte und flehte, daß die Nachbarn Mitleid mit ihm hatten, aber das kümmerte die Frau gar nicht. Ihr Entschluß war gefaßt. Schließlich sah sie aus dem Fenster und sagte ihr letztes Wort: „Wenn du nicht Obersterndeuter wirst, wird dir nicht die Tür geöffnet.“
Der arme Schuhflicker, der vierzig Jahre mit seiner Frau zusammengelebt hatte, kannte ihre Natur sehr gut. Wer sollte auf der Welt so wie er wissen, wie hartnäckig und eigensinnig sie war. Es war jetzt unnütz, in sie zu dringen. Er mußte Obersterndeuter werden oder die Verbindung [173]mit dem Hause gänzlich aufgeben. Aber Obersterndeuter zu werden, war recht schwer, ja sogar unmöglich. Wie sollte ein unwissender Mensch, der nichts anderes getan hatte als alte Schuhe, und zwar für Lastträger und Feuerwehrleute, und Pantoffel auszubessern, Obersterndeuter werden können. Doch das mußte ertragen werden.
Schließlich zog er traurig und niedergeschlagen ab. Er ging in ein Gasthaus und mietete sich dort ein Zimmer.
Jedenfalls der Herr der Schwarzen hatte sein aufbrausendes Temperament abgelegt und lebte in seinem Hause wie ein Lamm und war seiner Familie gegenüber wieder liebenswürdiger. Diese außergewöhnlichen Zustände wurden dem heilkräftigen Atem des Hodschas und seiner wunderbaren Gabe zugeschrieben, und die versprochenen zwei türkischen Pfunde wurden ihm gegeben. Es ist bekannt, daß die Frauen, besonders die Frauen, die keinen Unterricht genossen hatten, in derartigen Dingen sehr geschickt sind. Ja, sie sind viel mehr als die Zeitungen geeignet, einen solchen Menschen berühmt zu machen. Nun, der Ruhm unseres Hodschas wuchs von Tag zu Tage und seine Kunden nahmen zu. Die anderen Scharlatane dieser Gattung, die mit Anblasen die Leute betrügen, waren ohne Kunden und ohne Brot.
Unser Hodscha war sehr reich geworden. Aber was nützt ihm der Reichtum? Da er nicht Obersterndeuter geworden war, so blieben ihm, obgleich er reich, ja sogar sehr reich geworden war, die Türen seines Hauses verschlossen, die ihm immer beide geöffnet wurden, wenn er als Schuhflicker mit zerrissenen Schuhen des Abends mit einer halben Okka Brot in einem zerrissenen Tuche nach Hause kam.
Nun, eines Tages war die Tochter des Padischahs, um sich zu baden, ins Bad gegangen. Die Prinzessin hatte ein paar sehr kostbare Ohrringe. Als sie sich badete, hatte sie diese Ohrringe abgenommen und oben auf das Waschbecken gelegt. Nach einiger Zeit suchte sie die Ohrringe, den einen fand sie, der andere war verschwunden.[174]
Die Prinzessin wurde sehr unruhig. Dieser kostbare Ohrring gehörte zu den ältesten Diamanten der Familie. Was sollte sie ihrem Vater antworten.
Sämtliche Bediente des Bades wurden ganz nackt ausgezogen, alle wurden mit größter Sorgfalt untersucht. Das ganze Bad, alle Winkel wurden untersucht. Alle Arbeit war vergeblich. Alle Hoffnung schwand. Der Ohrring wurde nicht gefunden.
Die Prinzessin kehrte traurig und bekümmert in das Schloß zurück. Man konnte ihr den Mund selbst nicht mit einem Messer öffnen. Schließlich erzählte sie die Sache ihrer Amme, weinte und jammerte, sie gelobte den vier Großvätern, den Siebmachervätern Fett und Lichte, aber ohne Erfolg.
Schließlich dachte die Amme nach. Als sie in dem Palaste des und des Paschas war, war von einem Hodscha gesprochen worden, dessen Atem wirkungsvoll und der im Besitze großer Wunderkraft war. Wenn sich dieser verlorene Ohrring überhaupt finden ließ, konnte nur dieser verehrte Hodscha ihn finden. Man suchte nach, wo dieser Mann saß, und man fand ihn. Am nächsten Tage ging die Prinzessin mit ihrer Amme zu dem Hodscha.
Als der Hodscha den Hofwagen kommen sah, kam ihm zuerst der Gedanke, daß sich jetzt für ihn die Möglichkeit ergebe, Obersterndeuter zu werden. Ja, wenn er erst einmal Obersterndeuter wäre, dann würde er nach Hause gehen und es seiner Frau zurufen. Er würde wieder in sein Haus gehen, das ihm seit zwei Jahren verschlossen war, und mit seiner lieben Frau und seiner Tochter, die ihm so teuer wie sein Leben war, zusammen leben. Tatsächlich kam ihm sein Leben, das er jetzt im Gasthof zubrachte, sehr schwer vor.
Sie stiegen aus dem Wagen. Der Hodscha nahm wieder die betrügerischen Gesten an, in denen er bei Ausübung seines Berufs schon Gewandtheit erlangt hatte, und empfing seine Kunden artig. Die Prinzessin setzte sich traurig und [175]verzweifelt in eine Ecke wie ein sich bewegender aber lebloser Körper und wartete auf die Perlen, die aus dem Munde des Hodscha fallen würden.
Die Amme erklärte die Sache. Sie sprach von den Gelübden und sagte, daß diese ergebnislos geblieben seien. Über sie selber etwas zu sagen, sei überflüssig, da die Prinzessin die Tochter des herrschenden mächtigen Sultans sei.
Diese Worte wirkten auf den Hodscha wie ein beängstigender Traum. Einerseits zitterte er, andererseits schwitzte er. Wenn er es nicht herausbringen würde — und dessen war er sicher —, was würde dann mit ihm geschehen? Mit einem Padischah und mit den Angehörigen eines Padischahs zu spielen, das hieß mit dem Feuer spielen.
Es war aber auch nicht möglich, direkt zu erklären, wie alles gekommen sei, und zu sagen, daß er ein Betrüger sei. Wie würde dies werden, wie würde es ablaufen!
Schließlich sagte er nach langem Nachdenken:
„Euer Verlust erscheint mir etwas sonderbar. Euer Verlust muß am Rande eines Tales, am Zweige eines Baumes aufgehängt sein.“
Auf diese Worte hin dachte die Amme nach. Ja, ja, der Hodscha hatte ein reines Wunder gesagt. Der Ohrring war im Bade verloren gegangen, sofort wurden Leute in das Bad geschickt. Sie suchten wiederum alles nach, schließlich fanden sie ihn auf einem Reiserbesen, der vor eine Wasserrinne gelegt war. Dem Hodscha wurden unendlich viel Geschenke gemacht. Da die Sache sehr wichtig war, hatte man dem Padischah nichts davon gesagt.
Der Hodscha arbeitete inzwischen weiter und verdiente viel Geld, aber wiederum war ihm die Tür seines Hauses verschlossen, da er nicht Obersterndeuter geworden war.
Eines Tages hatte ein Dieb dem Padischah einen sehr kostbaren, mit Brillanten besetzten Ring, ein altes Familienstück, gestohlen. Überall suchte man nach, fand aber den Dieb nicht.[176]
Der Padischah zog sich verzweifelt in einem Zustande, daß er seines Lebens überdrüssig war, in eine Ecke zurück.
Die Prinzessin wollte nicht, daß ihr Vater so traurig war, ging zu ihm und küßte ihm Wangen, Hand und den Saum seines Kleides. Der Padischah war sehr erfreut über seine Tochter, die, während er so traurig war, zu ihm kam und ihn liebkoste. Er war auch zu ihr freundlich. Dies benutzte die Prinzessin und sagte, daß der Hodscha, der ihren Ohrring gefunden, auch aller Wahrscheinlichkeit nach den Ring finden würde.
Wer ins Wasser fällt, faßt sogar nach einer Schlange. Der Padischah gab Befehl, und sofort gehen Adjutanten aus, um den Hodscha zu suchen. Sie bringen ihn ins Schloß. Der Arme steht zitternd Todesängste aus. Er wird vor den Padischah gebracht. Der Padischah erzählt ihm die Sache und macht ihm klar, daß er, wenn er die Angelegenheit nicht ins Reine bringen und den Ring zur Stelle schaffen würde, seinen Kopf verlieren würde.
Der Arme sah ein, daß die Sache unmöglich sei und daß es ihm das Leben kosten werde. Aber um diesen verhängnisvollen Augenblick etwas hinauszuschieben und um diese Zeit gut zu verleben, sagte er: „Mein Padischah, das ist eine schwierige Sache. Es steht nicht in der Macht der Sterne, Euch sofort eine Antwort zu geben. Gebt mir vierzig Tage Frist, weist mir ein Zimmer an und gebt mir während dieser Zeit die vorzüglichste Nahrung. Am vierzigsten Tage werde ich Euch sagen, wer der Dieb ist.“
Der Padischah nahm den Vorschlag an und befahl, daß alles ausgeführt werden sollte, was der Hodscha wünschte. Der Hodscha zog sich in ein vorzüglich ausgestattetes Zimmer zurück, um sich Gott zu weihen. Dort betete er zu Gott und flehte, daß er sein Gebet annehme und ihm seine Sünden verzeihen möge. Andererseits verfluchte er auch seine Frau, die ihn in seinem Alter in solche Not und Prüfungen gebracht, und ihren Wunsch nach einer angesehenen Stellung.[177]
Jeden Tag wurde ihm ordnungsgemäß Essen gebracht. Um die Tage nicht zu vergessen, behielt er einen leeren Teller von den ihm gebrachten Speisen zurück.
Inzwischen war nun eine Zeit vergangen. Um festzustellen, wieviel Tage er schon dort sei und wieviel Tage ihm von seinem Leben noch übrig seien, zählte er die Teller. Es waren genau achtzehn. Voller Hoffnungslosigkeit entfuhren ihm, ohne daß er es wollte, diese Worte: „Ach, achtzehn!“
Die Diebe des Ringes gehörten zu den Palastdienern. Sie beobachteten alles, was der Hodscha tat, durch ein Loch. Der Beobachter an jenem Tage hatte nicht bemerkt, daß der Hodscha die Teller gezählt hatte, sondern hatte nur gehört, daß er ausrief: „Ach, achtzehn!“
Es waren nun in der Tat achtzehn Diebe. Als der Beobachter die Zahl achtzehn hörte, suchte er sofort seine Genossen auf und sagte: „Mit unserer Sache steht es schlecht. Dieser Kerl ist ein Teufel oder der Antichrist oder derartiges. Er hat jetzt heraus, wieviel wir sind. Heute hat er in der Ekstase dreimal: „Ach, achtzehn“ ausgerufen. Wenn er noch länger Zeit hat, wird er auch noch herausfinden, wer wir sind, und wir sind für den Strick des Henkers reif.“
Die Diebe gerieten über diese Nachricht ihres Genossen in Aufregung. Sie hielten einen Rat ab, berieten sich und beschlossen, in der Nacht zum Hodscha zu gehen, ihn anzuflehen, sie nicht zu verraten, und sein Mitleid zu erwecken.
In der folgenden Nacht betreten sie alle zusammen sein Zimmer. Er geriet in große Furcht.
Man sagt: Wenn der Mensch verzweifelt ist, gebärdet er sich am mutigsten, so wie die Katze, wenn sie verzweifelt ist, den Hund anfällt. Da der arme Hodscha äußerst hoffnungslos war, so stürzte er sich auf die Leute und rief: „Ach, ihr, seid ihr da?“ Er glich sozusagen einem rasenden Löwen.[178]
Die Diebe wurden noch besorgter und fielen dem Schuhflicker zu Füßen. Er wußte nicht, was los war und sah sie ganz entgeistert an. Schließlich stand der mutigste von ihnen auf und sagte, nachdem er ihn mit höchster Ehrfurcht begrüßt hatte: „Mein Herr, Sie sind wirklich eine sehr begabte und große Person. Sie haben entdeckt, daß wir achtzehn sind. Jedenfalls hätten Sie auch noch uns herausgebracht. Wir wollten Ihnen jedoch nicht soviel Mühe machen und haben beschlossen, die Wahrheit zu sagen. Wir vertrauen auf Ihre edle und barmherzige Gesinnung und auf Ihr großes Herz. Nehmen Sie unsere Bitte an und erbarmen Sie sich nicht nur über uns, sondern auch über unsere Kinder. Unser Leben ist jetzt in Ihrer Hand. Nur Sie können uns retten. Ja, wir haben den Ring gestohlen.“
Auf diese Rede hin machte der Schuhflicker große Augen und wurde wieder ruhig. Es war kein Zweifel, jetzt war er gerettet. Er sagte mit angenommener Würde: „Dankt Gott, daß ihr noch gerade im letzten Augenblick euch gemeldet habt, sonst wäre es euer letzter Tag gewesen. Ich war gerade dabei, eure Namen zu entdecken.“
„Ach, mein Herr, dessen sind wir sicher, aber haben Sie Mitleid mit unseren Kindern.“
„Gut, versprecht Ihr, es nicht wieder zu tun?“
„Wir versprechen es nicht nur, wir schwören es bei unserem Glauben und auf unser Gewissen.“
„Da ihr versprecht, es nicht wieder zu tun, so will ich euch aus Mitleid nicht verraten. Gebt den Ring am vierzigsten Tage einer Gans zu fressen und brecht ihr einen Flügel. Das andere ist dann meine Sache. Wenn ihr so tut, gut, dann werde ich keinen von euch verraten, sonst geht es euch schlecht.“
Die Diebe versprechen, die Worte des Hodschas getreu auszuführen, versprechen ihm viel Geld und gehen weg.
Der vierzigste Tag kommt heran. Der Padischah erwartete diesen Tag mit Ungeduld. Schließlich befiehlt er, [179]den Hodscha vorzuführen. Der Hodscha kommt vor den Padischah. Dieser fragt mit zorniger Stimme: „Nun, wie steht es? Hast du ihn gefunden?“
„Ja, mein Herr, das heißt richtiger, ich habe seine Spur. Jetzt möge Euer Majestät befehlen, daß alle Geschöpfe des Palastes vor mir im Zuge vorüberziehen, dann werde ich zeigen, wer der Dieb ist.“
Der Padischah befiehlt es, und vom Großvezir an bis zum Küchenjungen ziehen alle Leute des Schlosses vor dem Hodscha vorbei. Obgleich auch die wirklichen Diebe dabei waren, sagt der Hodscha nichts.
Der Padischah fragt: „Nun, Hodscha, wer hat den Ring?“ Der antwortet: „Mein Padischah, unter den Leuten Eures Schlosses ist kein Dieb. Trotzdem ist der Ring bei einem lebenden Wesen, das zu Eurem Schlosse gehört. Befehlt, daß auch die Tiere alle vor mir vorbeiziehen sollen.“
Der Padischah befiehlt es. Die Pferde, Stuten, Esel, Maultiere und die anderen Tiere ziehen alle vorüber. Bei keinem ist der Ring. Schließlich fragt der Hodscha: „Sind das alle Tiere im Schlosse?“
Man antwortet:
„Nein, mein Herr, es ist noch ein Rudel Gänse da.“
Der Hodscha sagt: „Auch die führt vor.“
Auch die Gänse zogen vorüber. Schließlich sieht er eine Gans, deren Flügel zerbrochen ist. Er ordnet an, daß diese aufgeschnitten werde. Man führt seinen Befehl aus, schneidet ihr den Bauch auf und findet den Ring. Jedermann ist erstaunt. Der Padischah ernennt ihn zum Obersterndeuter.
Der neue Obersterndeuter geht eilends nach Hause und bringt seiner Frau die frohe Nachricht. Die Frau geht mit ihren Kindern zusammen ins Bad. Als es heißt: „Die Frau des Obersterndeuters ist gekommen“, empfängt sie jedermann mit Ehrerbietung. Dann kehrt sie nach Hause zurück und sagt zu ihrem Manne: „Nun bin ich ins Bad gegangen, jetzt kannst du wieder deinen Obersterndeuterposten aufgeben.“[180]
„Aber Frau, ist das denn möglich? Hast du den Verstand verloren?“
„Tu, was du willst. Du mußt ihn aufgeben.“
Er bleibt einige Zeit lang im Gefolge des Padischah. Wie sehr er sich auch bemüht, aus dem Amte entlassen zu werden, es glückt ihm nicht.
Eines Tages beschließt er, den Verrückten zu spielen, um von dem Hofdienst los zu kommen. Während der Padischah im Bade ist, schlachtet er ein Lamm, zieht sich dessen Kaldaune über den Kopf, wickelt sich dessen Eingeweide um die Hüften, geht vor das Bad und ruft: „Der Padischah soll herauskommen, das Bad wird einfallen.“
Als dem Padischah dies gemeldet wird, wickelt er sich schnell in irgend etwas ein und stürzt hinaus.
Kaum ist er draußen, als das Bad mit Krachen einstürzt. Der Padischah umarmt ihn, dankt ihm, daß er ihm sein Leben gerettet, und gibt ihm viele Geschenke.
Dieser ist über das merkwürdige Zusammentreffen sehr erstaunt.
Eines Tages geht der Padischah mit seinem Obersterndeuter spazieren. Unter einem Baume nimmt er von der Erde etwas auf und befiehlt dem Obersterndeuter zu sagen, was es sei.
Der denkt nach, und da er es nicht raten kann, sagt er: „Heuschrecke, wenn du auch einmal und auch ein zweitesmal springst, das drittemal wirst du gefangen.“
Da öffnet der Padischah seine Hand, und eine große Heuschrecke springt heraus. Dem Padischah gefiel dies sehr, und er sagte: „Was für eine Belohnung wünschst du?“
Er antwortet: „Ich bitte Euer Majestät, mich aus dem Dienst zu entlassen.“ Der Padischah nimmt das wohl oder übel an.