In alter Zeit lebte ein Padischah und dieser Padischah hatte drei Söhne. Der Padischah wurde blind und sagte zu seinen Söhnen: „Wenn ihr von einer Stelle, welche die Spur meines Pferdes nicht berührt und mein Auge nicht gesehen hat, eine Handvoll Erde bringt, werde ich wieder gesund.“
Der älteste Sohn besteigt ein Pferd, macht einen Weg von vierzig Tagen und bringt von dort eine Handvoll Erde. Sein Vater streicht die Erde auf seine Augen, sie hilft aber nicht. Sein zweiter Sohn besteigt ein Pferd, macht eine Reise von achtzig Tagen, bringt von dort eine Handvoll Erde, auch sie hilft nicht. Der Padischah sagt: „Ihr habt [143]mir nicht geholfen. Vielleicht findet mein jüngster Sohn den Ort, den die Spur meines Pferdes nicht berührt hat, und vielleicht nützt er mir, wenn er Erde davon bringt.“ Sein jüngster Sohn besteigt ein Pferd, reist hundert Tage. Nach hundert Tagen kommt er in ein Schloß. In dem Schlosse befand sich eine alte Frau. Die alte Frau beherbergt den jungen Mann, fragt ihn nach dem, was ihm geschehen ist. Er erzählt, daß der Padischah blind geworden ist und daß er der Sohn des Padischahs sei und, um Erde zu suchen, ausgezogen sei. Die alte Frau antwortet: „Wenn dein Vater des Morgens aus eurer Stadt aufbrach, frühstückte er zu Mittag in unserm Schlosse. Auf diese Art kannst du nicht den Ort finden, den sein Pferd nicht betreten und sein Auge nicht gesehen hat.“ Der Jüngling antwortete: „Ja, Mutter, wie ist mir da zu helfen?“ Die alte Frau sagt: „Nachdem du zwanzig Tage gegangen bist, triffst du an dem und dem Orte eine Höhle. Geh in die Höhle. Neben der Tür ist ein Halfter aufgehängt. Das Halfter nimm in deine Hand und schwinge es einmal, dann kommen viele Pferde und sagen: ‚Mein Held, besteige mich.‘ Steige du auf keins der Pferde. Dann kommt ein rotbraunes Pferd mit krummen Beinen und Krebs auf den Schultern. Dies rotbraune Pferd besteige und so wirst du deinen Wunsch erreichen.“
Der Jüngling reist zwanzig Tage. Nach zwanzig Tagen findet er die Höhle, nimmt das Halfter, das an der inneren Tür hängt, schwingt es einmal. Viele Tiere kommen und sagen: „Mein Held, besteige mich.“ Er besteigt keins davon. Danach kommt ein rotbraunes Pferd mit krummen Beinen und Krebs auf den Schultern. Er besteigt jenes Pferd und macht sich auf den Weg. Nach zwei Tagen steigt er an einer hohen Cypresse ab und legt sich schlafen. Auf einmal ertönt, während er schläft, eine Stimme. Er wacht von dieser Stimme auf, springt auf und sieht, daß ein Drache an dem Brunnen emporzuklettern im Begriff ist. Der Jüngling schießt den Pfeil, den er in der Hand hat, ab [144]und tötet den Drachen. Da sagen die Jungen des Vogels, die sich auf dem Baum befanden: „Mein Held, unsere Mutter ist ein Raubvogel, sie wird dich töten. Geh, verbirg dich. Dann werden wir unserer Mutter in unserer Sprache es sagen. Was auch immer dein Wunsch sein mag, sage ihn ihr. Vielleicht kann sie dir helfen.“ Der junge Mann geht und verbirgt sich irgendwo. Nach einiger Zeit kommt der Vogel, der die Mutter der Jungen ist, und sieht, daß der Drache getötet ist. Die Jungen sagen ihrer Mutter: „Der Jüngling, der uns gerettet hat, hat sich an jener Stelle verborgen. Frage ihn, was ihm fehlt.“ Da geht der Vogel hin, nimmt den Jüngling in seine Krallen, trägt ihn auf den Wipfel des Baumes und sagt: „Fordere von mir, was du willst. Ich will dich erfreuen.“ Der Jüngling erzählt das, was ihm geschehen ist. Der Vogel antwortet: „Dein Vater pflegte sein Nachmittagsgebet hier zu verrichten. Das Pferd unter dir, ist das Pferd deines Vaters, damit wirst du deinen Wunsch erlangen. Aber wenn du in Not bist, rufe mich.“ Der junge Mann bricht von dort auf. Das braunrote Pferd sagt: „Schließe dein Auge und öffne es nicht.“ Der junge Mann schließt seine Augen. Nach einer Stunde sagt es: „Öffne deine Augen.“ Als er seine Augen öffnet, befindet er sich an einem Orte, dessen Leute und Sprache ihm unbekannt und dessen Menschen ihm nicht gleichen. Dieser Ort war die Hauptstadt eines Padischahs. Als er vor dem Schloß vorbeigeht, sieht der Padischah ihn und da er merkt, daß er den Leuten seines Landes nicht glich, schickt er einen von seinen Leuten hin, läßt ihn holen und fragt: „Woher kommst du und wohin gehst du?“ Er antwortet: „Wenn du damit einverstanden bist, will ich in deine Dienste treten.“ Der Padischah ist damit einverstanden und sagt: „Ich habe neunundzwanzig Vezire. Du sollst der dreißigste sein.“ Er nimmt das Amt des Vezirs an. Die anderen Vezire haben die Absicht, den jungen Mann zu töten und laden ihn mit Erlaubnis des Padischahs ein. Nachdem sie gegessen und getrunken [145]haben, untersuchen sie ihn. Aus seiner Tasche sieht der Flügel eines goldenen Vogels hervor. Einer von den Veziren geht zum Padischah und sagt: „Dein neuer Vezir hat geprahlt: Diesen goldenen Vogel will ich lebendig herbringen.“ Der Padischah läßt den Vezir kommen und sagt: „Ich wünsche diesen Vogel lebendig von dir.“ Der junge Mann sagt: „Sogleich“ und ging hinaus zu dem rotbraunen Pferde. Das Pferd fragt ihn: „Was fehlt dir?“ Er antwortet: „Ich habe mir den Unwillen des Padischahs zugezogen. Er verlangt einen goldenen Vogel von mir.“ Das Pferd sagt: „Das ist etwas Leichtes. Besteige mich, schließe dein Auge. Ich werde dir helfen.“ Der junge Mann besteigt das rotbraune Pferd, schließt sein Auge und befindet sich sofort an der Stelle des großen Vogels, wo er vorher gewesen war. Der Vogel fragt den jungen Mann. Als Antwort bekommt er: „Der Padischah verlangt von mir einen goldenen Vogel.“ Der Vogel antwortet: „Geh, bringe die Tiere aus dieser Herde, koche sie und hänge sie an diesem Baume auf.“ Der junge Mann bringt die Tiere aus der Herde, kocht sie und hängt sie an einen Zweig. Nach einer halben Stunde kommen drei goldene Vögel zu dem an dem Zweige hängenden Fleische. Der andere große Vogel greift die goldenen Vögel an, verschwindet in der Luft und ist nicht mehr zu sehen. Der Jüngling geht auch. Der große Vogel hatte ihm nämlich auseinandergesetzt: „Sei an der Tür der Höhle, an dem und dem Orte anwesend und gib dir Mühe die Vögel zu fangen, wenn ich sie verfolge, bringe sie mit dir und sei nicht unachtsam wie dein Vater und laß den Vogel nicht entwischen.“ Deswegen war er — das heißt der Jüngling —, als der große Vogel die goldenen Vögel verfolgte und in die Luft geflogen war, auf sein Pferd gestiegen und zur Tür der Höhle gegangen. Auf einmal entsteht in der Luft ein Geräusch, der große Vogel bringt die goldenen Vögel herbei und treibt sie vor sich. Da der junge Mann nun persönlich anwesend war, gelang es ihm, mit größtem Eifer einen von den Vögeln, [146]als sie in die Höhle gehen wollten, zu fangen. Danach verabschiedet er sich von dem großen Vogel, nimmt den goldenen Vogel, besteigt das erwähnte rotbraune Pferd und geht direkt in das Schloß des Padischahs. Der Padischah sieht, daß er den gewünschten goldenen Vogel gebracht hat. Daraufhin wurde die Liebe des Padischahs zu diesem Vezir groß, aber die anderen Vezire beneideten ihn und warteten immer auf eine Gelegenheit. Eines Tages luden sie wieder diesen Vezir ein, gaben ihm Wein zu trinken und machten ihn betrunken. Wieder ging einer von ihnen zum Padischah und sagte: „Dein neuer Vezir prahlte: ‚Ich will auf diese hohe Pappel steigen.‘ “ Der Padischah rief ihn und sagte, als er kam: „Ich verlange, daß du auf diese Pappel steigst und mir Antwort bringst, was auf dieser Pappel los ist.“ Der junge Mann läßt sich auf Anweisung des rotbraunen Pferdes von einem Schmiede viele Nägel machen. Dann nimmt er einen Hammer in die Hand und schlägt einen Nagel in die Pappel. Auf diese Art schlägt er immer einen Nagel ein und steigt oben auf die Pappel. Oben auf der Pappel findet er einen goldenen Mädchenzopf, den ein Vogel gebracht hatte. Er steigt herunter und zeigt ihn dem Padischah. Der Padischah befiehlt ihm: „Ich verlange von dir dies goldhaarige Mädchen persönlich.“ Der junge Mann antwortet: „Zu Befehl.“ Darauf geht er zu seinem rotbraunen Pferde und sagt: „Der Padischah verlangt von mir das goldhaarige Mädchen.“ Das Pferd antwortet: „Besteige mich. Gott ist barmherzig. Schließe deine Augen und öffne sie, wenn ich es dir sage.“ Sofort befindet er sich auf einer Insel mitten im Meere und sieht, daß das goldhaarige Mädchen auf einem Throne schläft. Das Pferd befiehlt: „Nimm es mit dem Thron in deine Arme, aber schließe deine Augen und öffne sie nicht. Wollen abwarten, was Gott tut.“ Sofort nimmt der junge Mann das goldhaarige Mädchen in die Arme auf das Pferd, und schließt seine Augen. Da ertönt von der andern Seite eine Stimme: „Bruder, einmal hast [147]du mich in dieser Welt mißachtet, dies zweite Mal habe Mitleid mit mir.“ Diese Stimme war nämlich die des zweiten Bruders des Pferdes. Dies rotbraune Pferd war nämlich ein Peripferd. Seinerzeit war der Vater des jungen Mannes hierher gekommen, um das Mädchen zu nehmen. Der zweite Bruder des rotbraunen Pferdes hatte es damals sich aus der Hand nehmen lassen. Auch diesmal hat er Mitleid, bleibt zurück und läßt zu, daß das goldhaarige Mädchen dem Padischah gebracht wird. Nun sagt das goldhaarige Mädchen: „Ich habe drei Aufträge. Wenn du sie annimmst, richte die Hochzeit zu und ich werde dich heiraten, sonst nicht.“ Der Padischah sagte: „Was dein Auftrag auch sei, sage ihn mir. Ich werde sehen, was sich tun läßt.“ Der erste Auftrag des Mädchens: „An dem und dem Orte ist ein Kayk25 aus einer Haut, das lasse herbringen.“ Der Padischah trägt dem jungen Manne auf: „Geh, hole das Kayk, das da und da ist.“ Der junge Mann geht sofort zu dem rotbraunen Pferde und erzählt ihm die Sache. Das Pferd sagt: „Besteige mich und schließ deine Augen.“ Wieder befindet er sich auf einer Insel mitten im Meere. Das Pferd sagt: „Das Kayk, das der Padischah von dir verlangt hat, ist dieses, aber der Grund für deine Reise in diese Länder war eine Handvoll Erde. Diesen Platz hat weder deines Vaters Auge gesehen noch seines Pferdes Spur berührt. Geh hin, nimm eine Handvoll Erde.“ Daraufhin nimmt der junge Mann eine Handvoll Erde und steckt sie in sein Taschentuch. Danach nimmt er das Kayk in den Arm und schließt die Augen. Wieder ertönt wie vorher eine Stimme. Das war nämlich die Stimme des jüngsten Bruders des braunroten Pferdes. Das braunrote Pferd sagt: „Mein Bruder, du bist ein Jüngling. Habe Mitleid mit mir. Ich möchte dies Kayk mitnehmen und dem Padischah geben.“ Da hat er Mitleid und bleibt zurück. Der junge Mann bringt das Kayk dem Padischah und übergibt es ihm.
Der zweite Auftrag des Mädchens: „Im Meer ist ein eisenköpfiges Pferd, das bringe.“ Der Padischah befiehlt [148]es dem jungen Manne. Der geht wieder zu dem rotbraunen Pferde. Dies sagt: „Schlage mir unter jeden Huf einen Batman26 Hufeisen und lege mir auf den Rücken drei Ochsenhäute und klebe sie mit Pech an. Dann wollen wir sehen, ob sich die Sache machen läßt.“ Der Jüngling tut so, wie das Pferd es beschrieben hat. Danach kommen sie an das Gestade eines Meeres. Er läßt das rotbraune Pferd ins Meer. Nach zwei bis drei Stunden kommt es wieder heraus und hat das eisenköpfige Pferd am Halse gepackt. Er legt dem letzteren ein Halfter um den Kopf und besteigt das Pferd. Als er zum Palast des Padischahs kommt, schreit das Mädchen aus dem Schlosse: „Wärst du doch nie gekommen! Wohin gehst du?“ Da sieht sich der Jüngling um und sieht, daß vierzig Stuten aus dem Meer steigen und dort bleiben, als sie die Stimme des Mädchens hören.