Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten folgendes. In alten Zeiten war ein gerechter Padischah. Dieser Padischah hatte keine Nachkommen. Eines Tages verkleidete er sich mit seinem Hofmeister und ging aus. Als sie an einer Quelle die Waschung vollzogen und das Gebet verrichteten, kam von ungefähr ein Derwisch, ging zu ihnen und sagte: „Friede sei über dir, mein Padischah.“ Da sagte er: „Auch über dir Friede, Vater Derwisch. Da du weißt, daß ich ein Padischah bin, so kennst du auch mein Verlangen.“ Der Derwisch sagte: „Mein Padischah, du hast keine Nachkommen auf der Welt.“ Er nahm einen Apfel aus seinem Busen und sagte: „Mein Padischah, nimm diesen Apfel, schäle ihn und iß ihn mit der Königin. Die eine Hälfte gib ihr und die andere Hälfte gib der Amme. Dann [103]erhältst du einen Sohn. Aber hüte dich, ihm einen Namen zu geben, bevor ich komme.“
Als der Padischah seine Hand in die Tasche steckt, um dem Derwisch Geld zu geben, sieht er, daß der Derwisch verschwunden ist. Dann geht er ins Schloß, schält den Apfel, gibt die Hälfte der Königin und die andere Hälfte der Amme. Sie essen ihn und legen sich am Abend schlafen. Sie bekommen Nachkommen. Nach neun Monaten und zehn Tagen bekommt der Padischah einen Sohn, und auch die Amme bringt einen Knaben zur Welt. Der Padischah gab den Armen viele Geschenke. Als schließlich der Prinz und sein Gefährte vier oder fünf Jahre alt sind, schickt man sie zur Schule, um etwas zu lernen. In der Schule nannte man ihn den namenlosen Prinzen.
Eines Tages ärgerte sich der Prinz darüber, geht zu seinem Vater und sagt: „Mein Vater, ich habe keinen Namen. Warum hast du mir keinen Namen gegeben?“ Er antwortete: „Mein Sohn, du bist durch einen Derwisch entstanden. Bevor der Derwisch kommt, kann ich die Angelegenheit mit deinem Namen nicht ordnen.“
Die Minister hielten eine Sitzung ab und sagten: „Padischah, wer weiß, wann der Derwisch kommt? Wollen die Angelegenheit ordnen.“ Da antwortete er: „Sehr schön.“ Als man die Sache ordnen will, kommt der Derwisch und sagt: „Mein Padischah, der Name des Prinzen soll Sefa, und der des Gefährten Dschefa sein.“ Danach geht er weg. Die setzen nun ordnungsgemäß ihren Unterricht fort.
Als eines Tages Sefa und Dschefa18 in den Hofgarten gehen, sagt Dschefa zu Sefa: „Ich will die Waschung vollziehen“ und geht weg. Als Sefa sich nach allen Seiten umsieht, erscheint ein Derwisch, zieht aus seinem Busen ein Bild und gibt es dem Prinzen. Der sieht, daß es ein Mädchen, schön wie der Mond am vierzehnten, ist. Sofort verliebt er sich in dieses Bild, fällt auf den Boden und wird ohnmächtig. Als er nach einiger Zeit wieder zu sich kommt, geht er mit Dschefa ins Schloß.[104]
Der Prinz wird krank und wird von Tag zu Tag bleicher und schwächer. Obgleich Ärzte und Hodschas ihn behandeln, finden sie kein Mittel. Der Padischah denkt: „Wenn jemand das Leiden des Prinzen kennt, so ist es Dschefa.“ Er ruft ihn. Dieser steht ehrfürchtig mit übereinandergeschlagenen Händen vor ihm. Der Padischah sagt: „Dschefa, sage mir, was die Krankheit meines Sohnes ist. Ich gebe dir vierzig Tage Frist, am einundvierzigsten schlage ich dir den Kopf ab.“
Dschefa geht zu Sefa und sagt: „Mein Prinz, Ihr Vater hat mir vierzig Tage Frist gegeben. Sagen Sie mir, was Ihre Krankheit ist, denn am einundvierzigstenTage wird er mich töten.“ Wie sehr er auch flehte, er erhielt keine Antwort.
Am einundvierzigsten Tage sagte er: „Mein Prinz, heute ist der Abschiedstag. Wollen uns gegenseitig verzeihen, was wir einander getan haben.“ Dann umarmte er ihn, und aus seinen Augen floß Blut statt der Tränen. Als Dschefa „Gott befohlen“ sagte und sich wandte, rief der Prinz ihn zurück und sagte: „Komm, Dschefa, nimm dies Bild und gib es meinem Vater.“ Dschefa nahm erfreut das Bild, ging zum Vater und sagte: „Mein Padischah, eine frohe Botschaft! Der Prinz hat mir dies Bild eines Mädchens gegeben.“ Er sieht, daß es die Tochter des Padischahs von Jemen ist. Er geht zu Sefa und sagt: „Mein Sohn, warum hast du mir nicht gesagt, daß du in die Tochter des Padischahs von Jemen verliebt bist. Sollte ich ein Padischah sein und meinem Sohn nicht helfen können?“ Dann rief er Dschefa und befahl: „Ich verlange von dir die Tochter des Padischahs von Jemen.“ Sefa sagt: „Wo Dschefa ist, bin ich auch. Wenn Sie erlauben, gehe ich mit Dschefa.“ Darauf verabschiedeten sie sich von seiner Mutter, treffen die Vorbereitungen zur Reise, besteigen die Pferde und machen sich auf den Weg. Allmählich kommen sie an eine Quelle, lassen die Pferde auf der Wiese frei, und ruhen sich etwas aus. Auf einmal sehen sie, daß eine alte Frau mit einem Kruge in der Hand, um Wasser [105]zu holen, kommt. Sie fragten die Mutter: „Mutter, wie heißt dies Land?“ Sie antwortet: „Mein Sohn, dies Land heißt Jemen.“ Als sie fragen: „Mutter, kannst du uns diese Nacht als Gäste aufnehmen?“ antwortet sie: „Mein Sohn, ich habe kein Lager.“ Der Prinz holt aus seiner Tasche eine Handvoll Goldstücke. Die Frau sagt: „Mein Sohn, ich habe ein Lager, für die Pferde habe ich auch einen Stall.“ Sie gehen mit ihr ins Haus, binden die Pferde im Stalle an und steigen nach oben.
Als sie in einem Zimmer verweilten, rief der Prinz die Mutter und sagte: „Mutter, du fragst gar nicht, wie es mit uns steht.“ Sie sagte: „Mein Sohn, erzähle doch.“ Er erzählte: „Ich bin der Sohn des Padischahs von Stambul und habe mich in die Tochter des Padischahs von Jemen verliebt. Deswegen bin ich in die Fremde gezogen. Ist sie vielleicht hier?“ Sie antwortete: „Ja, mein Sohn, ich bin ihre Lehrerin, in dieser Woche verheiratet sie sich mit dem Sohne des Padischahs von Indien.“ Da seufzt er und alles verfinstert sich vor ihm.
Am nächsten Tage bekommt die Frau Lehrerin die Nachricht: „Die Prinzessin verlangt dich.“ Die Frau Lehrerin sagt: „Mein Sohn, ich habe Besuch von draußen. Wie sollte ich den allein lassen.“ Da bekommt sie Nachricht, daß sie ihren Besuch mitbringen soll.
Wir wenden uns jetzt zu Sefa und Dschefa. Da sie aus einem Apfel entstanden waren, so waren sie sich sehr ähnlich. Die Frau Lehrerin sagte: „Mein Sohn, was sagt Ihr, man hat Euch auch eingeladen. Kommt bitte mit.“ Sefa sagt: „Bringe mir einen Feredsche und Jaschmak.19 Ich will mich anziehen und dann hingehen.“ Sie sagte: „Sehr schön.“ Sie zogen einen Jaschmak und Feredsche an und gingen in das Schloß. Die Tochter des Padischahs von Jemen, schön wie der Mond am vierzehnten, stieg die Treppe hinab und ging ihnen mit ihren Sklavinnen entgegen. Als Sefa sie sah, zitterten ihm Hände und Füße. Dann stiegen sie nach oben und setzten sich in ein Zimmer, [106]nahmen ihren Jaschmak und Feredsche ab und unterhielten sich. Nachdem sie Kaffee getrunken und geraucht hatten, sagte die Prinzessin: „Frau Lehrerin, woher ist dieser Gast gekommen? und wer ist er?“ Sie antwortete: „Sie sind aus diesem Lande und gehören zu meiner Verwandtschaft. Ich habe mich sehr dazu gefreut.“
Am Abend sagte die Prinzessin: „Frau Lehrerin, bleibt als Gäste bei mir. Ich werde euch nicht weglassen.“ Sie antwortete: „Ach, meine Tochter, zu Hause ist ihre Mutter. Die weiß nichts davon, daß sie hierhergegangen sind. Sie würde sich wundern. Morgen werde ich ihre Mutter um Erlaubnis bitten und sie hierherbringen.“ Dann standen sie auf und gingen nach Hause. In dieser Nacht schliefen sie. Am nächsten Morgen lassen sie Sefa im Hause und gehen mit Dschefa ins Schloß. Nachdem sie zu Abend gegessen hatten, geben sie der Frau Lehrerin ein großes Zimmer und sie beide zogen sich in ein anderes Zimmer zurück, zündeten goldene und silberne Leuchter an und setzten sich auf Federkissen. Das Mädchen umarmt Dschefa und küßte ihn und sagte: „Umarme mich auch und küsse mich auch.“ Dschefa tut das auch. Das Mädchen sagt: „Das ist der Kuß eines Mannes.“ Schließlich gibt er sich zu erkennen und setzt ihr alles von Anfang bis zu Ende auseinander, daß der gestern Gekommene, der Sohn des Padischahs von Stambul sei, und daß sie beide aus einem Apfel entstanden seien.
Die Liebe des Mädchens wurde noch größer und sagte: „Dafür muß ein Mittel gefunden werden. Ach, Dschefa, morgen gehe ich als Braut des Sohnes des Padischahs von Indien fort. Gegenüber, eine halbe Stunde entfernt, ist eine Türbe. Ich gehe nicht, bevor ich nicht zuerst diese Türbe besucht habe. Ihr müßt morgen von der Frau Lehrerin direkt zu der Türbe gehen, dem Wärter etwas Geld geben, eintreten und mich erwarten. Ich komme mit dem Wagen zur Türbe, steige aus, gehe allein in die Türbe, lasse dich meine Brautkleider anziehen. Du besteigst den Wagen [107]und gehst als Braut zum Sohne des Padischahs von Indien. Ich entfliehe von dort mit Sefa. Wir erwarten dich auf dem und dem Berge. Du entfliehst eines Tages von dort und kommst.“ So beschlossen sie in jener Nacht. Am Morgen geht Dschefa und die Frau Lehrerin wieder nach Hause und erzählen dies alles im Geheimen dem Sefa. Sie geben der Frau Lehrerin eine Anzahl Goldstücke und verabschieden sich. Sie verlassen das Haus, gehen zur Türbe, geben dem Wärter eine Handvoll Goldstücke und Sefa und Dschefa verbergen sich in einem Winkel der Türbe.
Wir wollen die Geschichte nicht in die Länge ziehen. Die Wagen kommen, die Braut steigt bei der Türbe ab, betritt die Türbe, sieht, daß Sefa und Dschefa dort sind. Sofort zieht sie, ohne zu verweilen, ihre Kleider aus, gibt sie Dschefa. Als der von dort wieder zum Wagen gekommen ist, umarmt man ihn und setzt ihn in den Wagen. Die Pferde bekommen einen Peitschenschlag und man macht sich auf den Weg nach Indien.
Eines Tages kommen sie nach Indien. Aus Freude, daß die Tochter des Padischahs von Jemen als Braut für den Sohn des Padischahs von Indien kommt, werden Kanonen abgeschossen und Freudenfeste abgehalten. Die Türen des Schlosses werden geöffnet und man ging ihnen entgegen. Die Sklavinnen fassen ihn unter den Arm20 und führen ihn ins dritte Stockwerk hinauf. Kurz, in jener Nacht bringt man Dschefa, in der Meinung, daß er ein Mädchen sei, in das Brautgemach. In jener Nacht zeigte er sich dem Bräutigam nicht gefällig. Am Morgen ging der Prinz grollend weg, die vermeintliche Braut blieb im Schloß. Nach einigen Tagen, während die Braut im Garten spazieren geht, erscheint von ungefähr die Schwester des Bräutigams und sagte: „Ach, meine Prinzessin, komm, wollen zu Gott bitten, vielleicht wird einer von uns ein Mann.“ Das wäre für das Mädchen ein Glück gewesen. Dschefa betete und das Mädchen sagte „Amen“. Sie untersuchten sich. Das Mädchen sagte: „Bei mir ist nichts.“ Dschefa sagte: [108]„Bei mir ist etwas geworden.“ Sie umarmen sich und pflücken die reifen Küsse von ihren Wangen, die anderen heben sie sich für später auf.21
Dschefa sagte: „Hier können wir nicht mehr bleiben. Wollen in mein Land gehen.“ Sie besteigen die Pferde, und machen sich mit den Worten: „Wo bist du, Sefa?“ auf den Weg.
Nach vier bis fünf Tagen erreichten sie sie. Sie fragten sich gegenseitig nach ihrer Gesundheit und erzählten genau ihre Erlebnisse.
Die wollen wir nun verlassen und uns Indien zuwenden. Als es Abend wird, sieht man, daß weder die Braut noch die Schwester des Bräutigams im Schlosse sind. Ein Wehklagen entstand. Man rief die Besprecherin und ließ sich aus dem Sande weissagen. „Ach, das zu uns gekommene Mädchen ist ein Junge und hat gleichzeitig die Schwester des Bräutigams mitgenommen.“ Sofort verzauberte die Besprecherin ein Pferd und sagte: „Über sie soll der Tod, den ich sende, kommen.“
Das Pferd raste im schnellsten Galopp heran. Als es ihnen nahe war, erschien der Derwisch und sagte: „Dschefa, nimm eine Handvoll Erde und wirf sie auf das herankommende Pferd“ und verschwand. Plötzlich sieht er ein Pferd, das nicht seinesgleichen in der Welt hat. Als er von der Erde eine Handvoll Erde genommen und auf das Pferd geworfen hatte, wurde es ein elendes Pferd. Die Besprecherin schickte einen Hirsch, dessen Haare buntfarbig waren und dessen Geweih nach allen vier Seiten Licht verbreitete. Solch ein entzückendes Tier war es. Sefa sagte: „Dies Tier will ich ordentlich halten und meinem Vater als Geschenk bringen.“ Dschefa nahm wieder eine Handvoll Erde vom Boden und warf sie auf das Tier und machte wieder ein elendes Tier daraus. Der Prinz wurde darüber Dschefa feindlich. Darauf verzauberte die Besprecherin einen [109]Drachen und schickte ihnen den. Aus seinem Maule und seiner Nase sprühte Feuer, und er kam wie ein Blitzstrahl daher. Auch ihn bewarf er mit Erde und vernichtete ihn.
Die brachen auf und machten sich auf den Weg. Nach ein paar Tagen kamen sie nach Stambul. Als gemeldet wurde: „Mein Padischah, eine frohe Botschaft! Der Prinz kommt!“, wurden Kanonen abgeschossen und Freudenfeste abgehalten. Der Großvezier zog ihm entgegen und führte ihn in den Palast. Da sagte er: „Mein Vater, jetzt kannst du den Dschefa töten.“ Der Padischah befahl dem Henker. Der Henker faßte Dschefa an der Hand und führte ihn auf den Berg, um ihm den Kopf abzuschlagen. Als der Henker ihm ins Gesicht sah, konnte er es nicht übers Herz bringen. Er tötete einen jungen Hund, tauchte Dschefas Hemd in das Blut, legte Dschefa zwischen zwei Steine und brachte das blutige Hemde dem Padischah. Als dem Prinzen dies nach einigen Tagen zum Bewußtsein kam, rief er: „Wer hat auf der Reise für mich soviel Elend ertragen? Ach, mein Dschefa, wo bist du?“ Er ging in die Berge, um ihn zu suchen.
Wir wollen uns nun zu Dschefa wenden. — Seit ziemlicher Zeit war der Unglückliche zwischen den Steinen geblieben. Weder Brot noch Wasser hatte er. Der Jüngling, der wie ein Stück Fels gewesen war, wurde wie ein Zwirnfaden. In zwei Stunden erhob er einmal seinen Kopf und rief: „Sefa, Sefa.“ Wer ihn sah, dem blutete das Herz.
Eines Tages zog eine Karawane dort vorüber, die hörte ein Gewimmer. Obgleich man suchte, was das sei, fand man nichts und zog vorüber. Der Prinz begegnete ihr und sagte: „Ach, Karawanenführer, hast du hier niemand gesehen?“ Der Karawanenführer sagte: „Auf der Spitze jenes Berges kam ein Gewimmer an mein Ohr. Ich habe nachgesucht aber nichts gefunden. Was es war, weiß ich auch nicht.“
Sofort stieg der Prinz ohne Verweilen auf die Spitze des Berges. Er hörte hin. Zwischen zwei Steinen hörte er alle zwei Stunden einmal eine sehr feine Stimme: „Sefa, Sefa.“ [110]Als der Prinz dies sah, zerriß sein Herz. Sofort hob er mit Gewalt die beiden Steine voneinander und warf sie zur Seite. Da sieht er, daß er wie ein sechs Monate altes Kind geworden ist. Er sprach ihn an: „Dschefa, Dschefa, ich bin gekommen“ und gab sich zu erkennen. Sogleich umarmten sie sich. Dann geht er mit Dschefa in eins der dort befindlichen Häuser, läßt Suppe kochen und nachdem er ihn einige Tage ordentlich gepflegt hat, kommt er wieder zu sich. Danach gehen sie von diesem Hause ins Schloß. Er verheiratete sich mit der Tochter des Padischahs von Jemen und verheiratete die Tochter des Padischahs von Indien mit Dschefa. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerten die Hochzeitsfeierlichkeiten. In der Nacht auf den einundvierzigsten Tag gingen die beiden Paare in das Hochzeitsgemach und erreichten ihr Verlangen.