Auf diese Worte Gackeleias ertönte ein leiser, ungemein reiner und lieblicher Gesang von den drei Lilien her, welche zu Häupten des Hennenkreuzes standen:
"O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!"
Nach diesen Stimmen nahte hinter der Linde hervor von beiden Seiten eine gar rührende Prozession von Greisen, Männern, Frauen, Jünglingen und Jungfrauen, Knaben und Mägdlein, ja Säuglingen auf den Armen der Mütter. Alle waren sie durch Kränze und Gewinde der manichfaltigsten Blumen und Kräuter verbunden, die sie in der einen Hand hielten, während sie in der andern an weißen Stäben schimmernde Fahnen trugen und rings um Frau Urhinkel aufpflanzten. Diese Fahnen aber bestanden aus nichts anderm, als aus Hemden, Strümpfen, Röcken, Wämsern und besonders aus vielen allerliebsten, kleinen Kindermützchen, welche Frau Urhinkel mit eigenen Händen verfertigt hatte, um die Armen damit zu bekleiden. Alle die Kleidungsstücke schimmerten wie Silber und Gold und was mit großem Fleiße, mit großer Liebe und Ueberwindung genäht war, das war wie mit Edelsteinen und Perlen ausgeziert. Es waren die Werke der Frau Urhinkel, welche ihr nachfolgten. Als nun alle diese Siegsfahnen um die liebe Seele aufgepflanzt waren, zogen die Geister der Armen, welche sie durch milde Austheilung der Gaben Gottes vor Noth, Verzweiflung und Verbrechen gehütet und als dankbare Kinder in das Haus des Vaters geführt hatte, hin zu dem Sargkorbe, worin der Leib ihrer Wohlthäterin ruhte, und verwandelten ihn mit allen ihren Laubgewinden durchflechtend in ein Schiff von Blumen. Die guten, dankbaren Seelen schmückten das Ruhebettlein der Ahnfrau mit allem Danke, aller Liebe, die sich durch Blumennamen aussprechen lassen, und als der Blumensarg neu erblüht war, brach Gackeleia freudig in die Worte aus:
"o das ist eine schöne Leichenrede, das sind keine rednerischen Blumen, das ist eine Blumenrede, mir ist, als spräche ich selbst so, wenn ich diese Blumengewinde ansehe; denn was die Blumen heißen, das sind sie mir!"
"Ja, liebe Ahnfrau, da ist Augentrost für dich, welche alle Thränen getrocknet, Liebäugelein für dich, weil du alle Arme so lieblich anblicktest, brennende Liebe mit den granatrothen Blumen, weil dein Herz von Nächstenliebe geglüht; Thymian, das gewürzige Demuthkraut für dich du Demüthige; Ehrenpreis für dich du aller Ehren werthe; Engelsüß und Engelblume sprechen: "du süßer milder Engel in aller Noth!--O du Herzblümlein, du Herzenstrost, du Herzensfreude flüstern drei andre Blümlein;--du Honigblümchen, je länger je lieber hatten wir dich, sagen andre.--Wie viele stammeln mit Kinderaugen, "Vergiß mein nicht."-Das Schlafkräutlein spricht: "schlummere süß"--und das Fühlkraut: "rühr mich nicht an."--Das Mollenkraut, das Wunderbäumchen, Palme Christi säußelt um dein Haupt.--Das Herrgottsbärtlein weht durch deine Locken.--Die Passio
nsblume schaut dich an--ruhe sanft lieb Denkeli--an deinem schattigen so
nnigen Herzen, du Liebstöckel, blühet dein Herzgespann, das demüthige Sophienkraut, das Sonnenbräutlein, der So
nnenthau füllt ihm die Löffelchen seiner Hände, im tiefsten Schatten, wie in glühender So
nne heilend und erquickend. Dem lieben Herzen, dem es nahe ist, müssen die Feinde vergeben, wie es ihnen vergiebt, alle müssen es lieben, kein Zauber kann es kränken, selbst der eigne nicht.--O schlummre selig, der Engeltrank dir Wohl verleih!--Sey Wohlgemuth, Gottes Gnade, Gottes Hülfe, Gottes Heil sind mit dir.--Zum Himmel kehr dich du Sonnenwende.--Wandle träumend durch den Himmelsthau zu dem Kreuzblümlein, dem Jesusblümlein.--Der Heiland legt den Himmelsschlüssel in deine Hände--Du ewige Blume. --Gotteshülfe sey dir ewig grün.--Tausendblättchen hast du reine, feine Garbe voll Heilkraft--und Floramor, Tausendschön, die purpursammtne Amaranthe schimmert dich an, daß dir das Herz lacht u.s. w.--Wer kann alle Liebe aussprechen, welche die Blumen stammelten?--Zu ihren Füßen deutete die Jerusalemsblume, die feurige Liebe, die Mannstreue auf die Liebe und Treue Graf Gockels. Alle diese Blumen waren von vielen weißen Rosen durchflochten und an den Ecken des Sarges ragten Lilien hervor, und beide wußten nichts freudigeres zu sagen, als, "sie liebte uns." In der Hand hatte die liebe Todte einige Heilkräuter, einen Strauß von Schlüsselblumen, Chamomillen, Melissen, weißen Nesseln, Lindenblüthe und Orangenblättern.--Ein Monatröschen, das sie lange gepflegt, blühte in einem Körbchen an ihrer Seite.--Die ganze sprechende Blumendecke des Sarges war von einer immergrünen Epheuranke übersponnen, welche an dem Kreuze zu Häupten des Sarges hinanrankend sagte: "immergrün ist meine Treue, wer will mich trennen von meiner Liebe, ich halte ihn und lasse ihn nicht. Wer ist treuer als ich? selbst von der Wurzel getrennt, lasse ich nicht von dem, was ich umarmte, und grüne und lebe klammernd an meiner Stütze. Mit ewigem Grün umschließet die Treue die Asche der Todten und bindet die Scherben der Urne; denn losgerissen würde sie sterben. Selbst den gefallenen Stamm umgrüne ich. Seit ich lebe, ringe ich aufwärts, nicht aus eigener Kraft, so
ndern getragen von zuvorkommender Gnade, die ich dankbar mit den Wurzeln meiner Zweige erfaße.--Weil ich barmherzig den nackten Fels bekleide, decket die ewige Liebe meine eigne Armuth und trägt mich aufwärts mit den Barmherzigen, die sie selig spricht; auf daß ich aufsteige aus der Wüste, gestützt auf den Geliebten überfließend von Beglückungen."--Solches und vieles andere stammelten die Blumen und Kräuter, womit die Geister der dankbaren Armen, denen Frau Urhinkel alle Barmherzigkeit erwiesen hatte, ihren Sarg von neuem schmückten. --Als sie den Sarg geschmückt hatten, zogen sie sich zu beiden Seiten der Frau Urhinkel zurück, erhoben ihre Fahnen wieder und traten in den Hintergrund.
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