Wie die Kinder mit dem Kätzchen spielen.
Quäle nie ein Thier zum Scherz,
Denn es fühlt wie Du den Schmerz.
Kätzchens Ankunft war eine große Freude für die Kinder und besonders für Prinzeß Marie. Wenn sie früh aufwachte, mußte man ihr das kleine Thier ins Bett bringen, wo sie ihm das Frühstück gab, welches aus Milch und Bisquit bestand. Joly, der oft eifersüchtig war, wurde ohne Erbarmen geschlagen und in die Bedientenstube verwiesen, wenn er sich neidisch zeigte und dem Kätzchen etwas anhaben wollte. Kätzchen fühlte sich auch bald heimisch in dem blauen mit Sternen besäeten Zimmer, man merkte es ihm an, daß es in einem Himmelbett zur Welt gekommen war; 15 denn nichts erschien ihm zu gut, um es zu benutzen. Das Prinzeßchen wollte auch mit nichts Anderem mehr spielen als mit Kätzchen. Trotzig stand die schöne große Puppen-Königin in der Ecke, seit 8 Tagen war ihr starkes Haar nicht gebürstet und geflochten, ihr Staat nicht gewechselt worden. — Gabriele, die Balldame, lag eben so lang schon im Himmelbett in der Nachtjacke und niemand dachte daran, ihr nur ein einziges Mal die Augenlieder aufschlagen zu lassen, unter welchen doch so schöne blaue Glasaugen ruhten. Unter dem Tisch lag aber die Wickelpuppe noch im Taufstaat, denn sie hatte ihre schöne Wiege dem Miaukätzchen einräumen müssen. Die Puppenstube befand sich aber in großer Unordnung, weil Miaukätzchen alles darin herumgeworfen hatte; der Kronleuchter war zertrümmert, die hübschen Nippsachen zerbrochen und die kleine Uhr von Marzipan sah gar nicht mehr aus wie eine Uhr; denn Miaukätzchen hatte die süßen Bestandtheile derselben entdeckt und häufig daran geleckt.
Kätzchen durfte sich auch alle möglichen Freiheiten nehmen. Wenn die Fürstin durch das Zimmer ging mit dem Schleppkleid, sprang es auf die Schleppe und ließ sich spazieren fahren. Wenn Prinzeßchen mit dem Batisttuch wedelte, haschte Kätzchen danach und hing sich mit seinen kleinen Krallen in dessen Spitzen, welche natürlich darunter litten.
Mademoiselle Gogo pflegte in einem Lehnsessel Platz 16 zu nehmen, wenn sie das Prinzeßchen an- oder auskleidete; dann hüpfte Kätzchen auf die Lehne. „Kätzchen sieht zu“, sagte Mademoiselle Gogo, und sie meinte, das könne Prinzeßchen vermögen, hübsch still zu halten. Das war aber eines Tages gar nicht der Fall und Mademoiselle Gogo schüttelte unzufrieden das Haupt, so daß die rothen Mützenbänder wackelten, und da Kätzchen meinte, alles was sich bewege, wolle mit ihr spielen, Wupp! war es auf Mademoiselle Gogos Kopf gesprungen und hatte die rothen Schleifen in den Klauen. Mademoiselle Gogo fiel aber beinahe in Ohnmacht vor Schrecken und das Prinzeßchen konnte vor Lachen vollends nicht still halten; aber das war auch nicht nöthig, denn die gute Mademoiselle Gogo lachte gleich darauf von ganzem Herzen mit.
Joly pflegte sein Frühstück und Mittagsmahl beim Kamin in des Prinzeßchens Zimmer zu erhalten, und Kätzchen, obgleich es schon ganz gesättigt war, fühlte stets Appetit danach und naschte davon. Wenn nun der arme zurückgesetzte Joly sich darüber erzürnte, zu bellen anfing und Kätzchen wegjagen wollte, begann dasselbe zu pusten und zu drohen und mit ihren Sammetpfötchen Ohrfeigen auszutheilen, so daß Joly das Schwänzchen einzog und queilte und unter das Kanapee flüchtete.
Kätzchen war noch gar nicht gut erzogen und pflegte oft die schönen Teppiche zu verunreinigen; Mademoiselle Gogo machte eine Ruthe, um es zu strafen, aber Prinzeßchen 17 bat immer vor und wenn alle Welt sich die Nase zuhielt, meinte sie immer, es sei die Resede, welche so stark dufte — und da gab es auch manche Leute, welche das wirklich zu glauben schienen.
Eines Tages wurden wieder die guten Freundinnen zu Chocolade gebeten und alle freuten sich sehr am Kätzchen und spielten mit demselben auf alle mögliche Weise. Sie bliesen eine Marabout-Feder in dem Zimmer umher und Kätzchen haschte danach; dann kullerten sie Bälle, ließen ein wächsernes Mäuschen mit einem Uhrwerk umher laufen; banden eine kleine Puppe an einen Bindfaden und ließen sie tanzen. Kätzchen machte die wunderlichsten Sprünge bei solchem Spiel und legte eine wahre Katzengrazie an den Tag. Eine berühmte Tänzerin soll eine Katze als Vorbild genommen haben für ihre Pas’ und Bewegungen und unser Kätzchen hätte wirklich Tanzstunde geben können. Zuletzt setzten die Kinder dem Kätzchen einen Federhut auf und zogen ihm einen Puppenüberrock an, was sich Kätzchen gefallen ließ, und die Kinder waren ganz vergnügt dabei.
Endlich frug Lisi: „wie heißt denn das Kätzchen?“ und alle waren erstaunt, daß es noch keinen Namen hatte. „O wir sollten es taufen, wie neulich die Wickelpuppe, das war doch ein gar zu hübsches Spiel“, sagte Lisi und Prinzeßchen klatschte vergnügt in die Hände.
„Das ist prächtig! das ist allerliebst!“ riefen die Kinder.
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„Wir kleiden Kätzchen in das Taufzeug der Wickelpuppe“, sagte Diane und Kätzchen mußte das Schleppkleid anlegen und wurde auf das rosa-atlas Kissen festgebunden; dabei schien es sich indeß nicht so behaglich und unterhaltend zu fühlen wie bei den anderen Spielen; es war indeß gehorsam und lag ganz still, während die Pathen sich putzten. Es war ja festgebunden.
Das Prinzeßchen schmückte sich wieder mit dem goldgestickten Shawl, Diane mit dem blauen Mantel, Amelie mit dem rosa Schleier, Lisi kleidete sich als Pastor und die lange Jenny erschien wieder als Herr Gevatter.
Wir haben bis jetzt noch nicht viel von der langen Jenny gesprochen und das aus guten Gründen. Es ist nicht angenehm, von unartigen Kindern sprechen zu müssen, und die lange Jenny war ein unartiges Kind. Freilich konnte sie nichts dafür; denn sie hatte ihre Mutter sehr früh verloren und wurde vom Vater und von der ganzen Dienerschaft verzogen, welche über ihre Unarten lachten und ihr allen Willen thaten. Sie war 8 Jahr alt und so groß wie ein 10jähriges Mädchen; aber in der Schule wußte sie nicht mehr als die sechsjährigen, und da sie nie ihre Aufgaben machte, mußte sie immer im Winkel stehen. Bei den Kindergesellschaften störte sie gern das Spielen, auch erregte sie immer Zank und man hatte sie nicht lieb und lud sie selten ein; heute war sie aber eingeladen worden.
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„Wie soll das Kätzchen heißen?“ frug Lisi.
„Krallkätzchen!“ rief Jenny schnell.
„O nicht doch,“ erwiederte das Prinzeßchen, „das würde ja Kätzchen an seine einzigen Fehler erinnern.“
„Schwanzelius,“ meinte Diane, „wegen des schönen Schwanzes, den es so anmuthig zu bewegen weiß.“
„Scheckchen,“ sagte Amelie. „Kätzchen ist ja so scheckig wie die jungen Kastanien, die wir zuweilen aus den grünen Schalen pochen.“
Prinzeßchen wollte aber von all diesen Namen nichts wissen.
„Ich dächte,“ meinte Lisi, „wir tauften Kätzchen Röschen, wegen des hübschen rosarothen Schnäuzchens, was es hat.“
„Ja,“ sagte Prinzeßchen, „Kätzchen ist aber ein Kater und darf doch nicht einen weiblichen Namen haben. Auch wird das liebe Thier, wenn es so groß und dick ist wie Murr, der Hofkater, nicht gut Röschen genannt werden können.“
„Nun,“ sagte Lisi, „so wollen wir es denn Rosaurus taufen; — so lang es jung ist, rufen wir es Röschen, und wird es alt und häßlich, so kann es Saurus genannt werden.“
Damit waren die Kinder einverstanden und die Taufe begann. Die Pathen stellten sich im Kreise auf, wie damals, als die Wickelpuppe getauft werden sollte. Dem Joly 20 wurde indeß die Demüthigung erspart, seinem Feind das Mützchen zu halten und er durfte im Lehnstuhl schlummern.
Lisi begann:
„Rosaurus, du sollst nicht wie die andern Katzen, arme kleine Vögel verspeisen; du sollst sie nicht aus ihren Käfigen herauskratzen mit grausamer Blutgier, worüber die Kinder, denen sie gehören, dann so bitterlich weinen; du sollst nicht die jungen Vögelchen aus den Nestern holen, daß die Alten pipen und klagen über ihre unglücklichen Kinder. Rosaurus, du sollst auch nicht die weißen Mäuschen verfolgen, welche bei Nacht lustwandeln und durch die rothen Augen und hellen Fellchen sich im Dunkeln verrathen; Rosaurus, du sollst auch die andern Mäuse ungestört knuppern lassen an Wurst und Speck, an Zucker und Bisquit. Deine Pathen versprechen, dich recht gut zu erziehen und dir immer so viel Bisquit und Braten zu geben, daß du gar nicht an lebendige Leckerbissen denken kannst. Du sollst durch die Liebe und Fürsorge deiner Pathen aus einem wilden Raubthiere, aus einem blutdürstigen Hausthiere, in eine edle, sanftmüthige Schooßkatze umgewandelt werden.“ — —
So weit war Lisi in ihrer Rede gekommen, als sie plötzlich unerwarteter Weise unterbrochen ward.
Jede Gevatterin hatte nämlich während der Rede den kleinen Katzen-Täufling einige Secunden auf dem Arm gehalten, wie das bei Lisis Schwesterchen auch geschehen 21 war, und das Kind hatte ganz still auf dem Rücken gelegen und nur zuweilen mit den halbzugekniffenen Aeugelein geblinzelt. Als nun die lange Jenny an die Reihe kam, fing diese an es heftig zu wiegen, so daß der kleine Rosaurus unruhig ward.
„Ich möchte wohl,“ dachte Jenny, „daß der Balg etwas schrie, er führt sich gar zu langweilig auf.“
Während sie nun in scheinbarer Freundlichkeit das Gesicht über ihn beugte, fuhr sie mit der Hand unter das lange Schleppkleid und kniff Kätzchen recht tüchtig in den Schwanz. Kaum war das aber geschehen, als der kleine Täufling ein durchdringendes Geschrei ausstieß und in der höchsten Wuth nach Jennys Gesicht sprang; es biß sie in die Nase und schlug beide Vorderkrallen in ihre Wangen, so daß sie vor Schreck das Kissen fallen ließ.
Das war Kätzchen eben recht, es schlüpfte heraus aus den seidenen Fesseln und ergriff die Flucht; dabei überpurzelte es sich einige Mal, weil das lange Taufkleid den schnellen Lauf hinderte.
Ueber den Lärm erwachte Joly; er bemerkte schnell, welchen Vortheil Kätzchens Staat seinem Feind in die Hände spiele. Bellend verfolgte er das arme Thier; aber dieses sprang mit dem Taufkleid auf einen Stuhl und gab dem wüthenden Joly, trotz den schönen gestickten Aermeln, zwei derbe Ohrfeigen auf jede Seite, so daß ihm das Blut aus dem Munde strömte, und Joly heulend und schreiend 22 sich verkroch. Rosaurus aber floh weiter und blieb mit der Schleppe an einem Thürriegel hängen, so daß dieselbe abriß; die Mütze hatte er lange schon verloren, dann schlüpfte er aus dem Taufjäckchen heraus, indem er mit Krallen und Zähnen alle Hindernisse zerriß und, heilfroh, seine Banden gebrochen zu haben, entfloh er, niemand wußte wohin. Niemand wagte auch das wilde Thier zu verfolgen, denn die Kinder fürchteten dessen Verzweiflung; sie lachten indeß nach überstandenem Schreck nicht wenig; nur Jenny weinte, denn sie blutete und es war zu vermuthen, daß sie noch lange die Narben der Katzenkrallen und Zähne tragen würde.
Mlle. Gogo kam herbei und wusch ihr die Wunden mit frischem Wasser; dabei zankte sie aber die Kinder aus wegen des Spiels und meinte, die Taufe sei eine heilige Handlung; sie sei eingesetzt, um die Menschen unter die Christen aufzunehmen und man müsse nicht Scherz treiben mit Kirche und Religion. Lisi bat sehr um Verzeihung, daß sie das Spiel vorgeschlagen und versicherte, daß sie es nicht überlegt habe.
Hierauf hatten die Kinder noch viel über den Vorfall zu plaudern, als die Dienerschaft gemeldet ward, um sie abzuholen; man nahm Abschied und Prinzeßchen konnte den Moment der Trennung gar nicht erwarten, um das liebe kleine Kätzchen ans Herz zu drücken, welches sich in seiner Angst sehr gut verborgen hatte. Es wollte gewiß 23 den Augenblick abwarten, wo alles still war, um sein Abendbrot zu verlangen. — Aber es kam nicht. Prinzeßchen rief mit der süßesten Stimme; sie kroch unter Betten und Komoden; sie leuchtete ins Kamin: Rosaurus war nicht zu sehen. Prinzeßchen konnte sich lange nicht entschließen, ins Bett zu gehen; sie meinte, Kätzchen könnte nicht schlafen, wenn es nicht wie gewöhnlich in die Puppenwiege gebracht würde. Mlle. Gogo bestand aber darauf, daß die Prinzessin sich niederlege; diese weinte aber bitterlich, ehe sie einschlief und glaubte immer im Traum, den kleinen Rosaurus miauen zu hören.