»Mama, wir müssen ganz still sein, wir spielen Begraben!« krähte Elschen im Vorübergehen, und die Mutter stand denn auch andächtig und still.
Das Haus lag inmitten eines großen Gartens, der in verschiedene Abteilungen zerfiel. Da war ein freier Platz mit einem Sandhaufen für die Kinder. In einem andern Teil standen Blumen und Ziersträucher und wieder in einem andern lagen in schönen Reihen Gemüsebeete, daneben zog sich eine dichte Himbeerhecke. Am Ende dieser Hecke war der von Gretchen gewählte Begräbnisplatz. Sie hatte schon ein Loch gegraben, das sich aber als viel zu flach erwies. So arbeiteten Totengräber, Pfarrer und Trauergeleite mit vereinten Kräften, bis das Loch tief genug war, den Ururgroßvater aufzunehmen.
Die Grabrede fiel kurz aus, um so kräftiger und anhaltender war der Gesang. Wir hatten als passende Lieder gewählt: »Morgenrot, Morgenrot! Leuchtest mir zum frühen Tod!« und: »Der Pilger aus der Ferne zieht seiner Heimat zu.«
Elschen hatte noch vorgebracht »Wenn ich groß bin,« aber das war als völlig unmöglich abgeschlagen worden. Überdies sank sie durch diese Forderung in unserer Achtung wieder auf die frühere Stufe zurück.
An diesem Tag blieben wir bis zum Abendbrot im Garten. Der Sonnenschein war so hell und freundlich, während über der alten Bodenkammer immer noch etwas Unheimliches zu lagern schien. Aber am nächsten Tag unterzogen wir den Inhalt der Truhe einer weiteren Besichtigung.
Die Bücher rochen uralt und hatten schwere, feste Einbanddecken. Die Schrift war merkwürdig schnörkelig und ließ sich nicht ohne Mühe entziffern. Wir strengten uns auch nicht sonderlich an. Eine Menge der Bücher wurden mit Abscheu zur Seite gelegt, weil sie sich als »Doktorsbücher« erwiesen. Dasselbe Schicksal teilten ein paar Andachtsbücher »auf Kosten einer wahrheitliebenden Gesellschaft gedruckt«. Dann stieß Anni einen Schrei des Entzückens aus, denn sie hatte ein Geschichtenbuch, nein, noch schöner, ein Märchenbuch entdeckt. Wer hätte der Truhe diesen köstlichen Schatz angesehen!
Anni fing gleich an, uns »die Geschichte von dem tugendhaftigen Prinzen Treuherz und der wonnesamen Prinzessin Herzelaide« vorzulesen, aber der Genuß war nur mäßig. Sie blieb immer wieder an den feinen Schnörkelchen der Buchstaben hängen, und da die Sätze endlos lang waren, hielt sie an, wenn der Atem ausging, was nicht zur Erleichterung des Verständnisses beitrug.
Gretchen gähnte unverhohlen. Elschen spielte längst mit ihrer Puppe, da ging auch mir die Geduld aus.
»Laß doch die gräßlichen alten Prinzen und Prinzessinnen in Ruh! Man versteht ja gar nicht, was sie miteinander sprechen. Und richtig ordentlich schreiben konnten die Leute früher scheint's auch nicht. Wir wollen das Buch wieder in die Truhe werfen.«