7. Kapitel (Wie es dem Kranken und jemand anderem besserging)-1
Seit dem Tag, da der Oberst den Andres besucht hatte, blieb seine Frau auch nicht mehr draußen in der Stube, wenn sie kam, um nach dem Kranken zu sehen. Täglich ging sie nun zu ihm hinein, setzte sich eine Weile an sein Bett zu einer gemütlichen kleinen Unterhaltung und freute sich jedesmal über die Fortschritte der Genesung. Zweimal schon waren auch Otto und Miezchen dagewesen und hatten ihrem Freund Stärkungen mitgebracht.
Andres sagte ganz gerührt zu der Trine, wenn selbst ein König krank wäre, man könnte ihm nicht mehr Teilnahme zeigen. Der Doktor war sehr zufrieden mit Andres, und als er einmal beim Herauskommen auf den eintretenden Oberst traf, sagte er zu ihm: "Es geht Andres schon viel besser. Deine Frau kann nun ihre Trine wieder heimnehmen, die hat gute Dienste geleistet. Nur sollte ab und zu jemand kommen. Der arme, verlassene Kerl muß doch essen und hat keine Frau und kein Kind. Vielleicht weiß deine Frau Rat."
Der Oberst richtete den Auftrag aus, und am folgenden Morgen sagte seine Frau, als sie den Andres besuchte: "Jetzt muß ich etwas mit Ihnen besprechen, Andres. Ist es Ihnen recht?"
"Gewiß, gewiß, mehr als recht", erwiderte er und stützte seinen
Kopf auf den Ellbogen.
"Ich will nun die Trine wieder heimkommen lassen, weil es Ihnen schon so gut geht", fing sie an.
"Ach, Frau Oberst, glauben Sie mir", fiel der Andres ein, "ich wollte sie jeden Tag heimschicken. Ich weiß ja, daß sie Ihnen fehlt."
"Ich hätte sie nicht hereingelassen, wenn sie Ihnen gefolgt hätte", fuhr die Frau Oberst fort. "Aber jetzt ist es anders, da der Doktor sie entläßt. Er sagte aber, was ich auch längst dachte. Jemand sollte noch für ein paar Wochen Ihr Essen kochen oder es bei mir holen und allerlei kleine Hilfsleistungen ausführen. Ich habe nun gedacht, Andres, Sie könnten für diese Zeit das Wiseli aufnehmen."
Kaum hatte der Andres den Namen aussprechen gehört, als er von seinem Ellbogen auf und in die Höhe schoß.
"Nein, nein, Frau Oberst, nein, sicher nicht", rief er und wurde ganz rot vor Anstrengung. "So etwas können Sie nicht denken. Ich sollte hier drinnen im Bett liegen, und draußen in der Küche sollte das schwache Kind für mich arbeiten! Ach, um Himmels willen, wie dürfte ich noch an seine Mutter unter der Erde denken, wie würde sie mich ansehen, wenn sie so etwas wüßte! Nein, nein, Frau Oberst, meiner Lebtag nicht, lieber nicht essen, lieber nicht mehr aufkommen—als so etwas."
Die Oberstin hatte ihn ganz ruhig zu Ende reden lassen. Jetzt, als er sich auf sein Kissen zurücklegte, sagte sie besänftigend: "Es ist nicht so schlimm, was ich ausgedacht habe, Andres. Überlegen Sie doch einmal. Sie wissen ja, wo das Wiseli versorgt ist. Meinen Sie, es habe dort nichts zu tun oder nur besonders leichte Arbeit? Recht tüchtig muß es heran und bekommt so wenig freundliche Worte dazu. Würden Sie ihm etwa auch keine geben? Wissen Sie, was Wiselis Mutter tun würde, wenn sie jetzt neben uns stände? Mit Tränen würde sie Ihnen danken, wenn Sie das Kind jetzt in Ihr Haus nehmen würden, wo es gute Tage hätte. Das weiß ich, und Sie sollten sehen, wie gern es Ihnen helfen würde."
Jetzt mußte dem Andres auf einmal alles anders vorkommen. Er wischte sich die Augen, dann sagte er: "Ach, ach! Wie könnte ich aber zu dem Kind kommen? Sie geben es gewiß nicht weg, und dann müßte man ja doch auch wissen, ob es wollte."
"Es ist jetzt schon gut, kümmern Sie sich nicht weiter darum,
Andres", sagte die Frau Oberst fröhlich und stand von ihrem Sessel
auf. "Ich will nun selbst sehen, wie's geht, denn mir liegt die
Sache nach allen Seiten hin am Herzen."
Damit nahm sie Abschied von Andres. Als sie aber schon unter der
Tür war, rief er ihr ängstlich nach: "Aber nur, wenn es will, das
Wiseli, nur, wenn es will—bitte, Frau Oberst!"
Sie versprach noch einmal, das Kind sollte nur freiwillig zu ihm kommen oder dann gar nicht, und verließ das Haus. Sie ging aber nicht den Berg hinauf, sondern hinunter zum Buchenrain, denn sie wollte gleich versuchen, das Wiseli dahin zu bringen, wo sie es so gern haben wollte.
Am Buchenrain angekommen, traf die Frau Oberst gerade mit dem Patenonkel zusammen, als er ins Haus gehen wollte. Er begrüßte sie, ein wenig erstaunt über den Besuch, und sie teilte ihm gleich beim Eintreten in die Stube mit, warum sie gekommen sei und wie sehr sie hoffe, keinen abschlägigen Bescheid zu bekommen. Denn es liege ihr viel daran, daß das Wiseli die Pflege zu Ende führen könne. Da die Tante in der Küche die Unterhaltung hörte, kam sie auch herein und war noch erstaunter als ihr Mann, den Besuch vorzufinden.
Er erklärte ihr, warum die Frau Oberst gekommen sei, und sie meinte gleich, das sei schon nichts, von dem Kind werde niemand eine besondere Hilfe erwarten. Da sagte aber der Mann, was recht sei, müsse man gelten lassen. Das Wiseli könne helfen, wo es sei, es sei sehr tüchtig. Er würde das Kind nicht einmal gern weggehen lassen, es sei folgsam und gelehrig. So für vierzehn Tage wollte er nichts dagegen haben, daß es den Andres ein wenig verpflege. Bis dahin werde er wohl wieder auf sein, daß es heim könne. Denn länger könnte es dann nicht fort sein, dann komme schon so allerhand Arbeit, denn da müsse man sich schon auf den Frühling vorbereiten.
"Ja, ja", fügte die Frau hinzu, "ich habe nicht vor, immer wieder von vorn mit ihm anzufangen. Jetzt habe ich ihm alles mit Mühe gezeigt, das kann es nun anwenden. Der Andres soll nur selber ein Kind anlernen, wenn er eins braucht."
"Ja, wegen vierzehn Tagen", sagte der Mann beschwichtigend, "da wollen wir auch nichts sagen. Man muß einander schon einen Gefallen tun."
"Ich danke Ihnen", sagte nun die Frau Oberst und stand auf. "Der
Andres wird Ihnen gewiß auch recht dankbar sein. Kann ich das
Wiseli gleich mit mir nehmen?"
Die Tante meinte, es werde nicht so stark pressieren. Aber der Mann fand es am besten so. Je schneller Wiseli gehe, desto früher sei es wieder da, meinte er. Denn er bestand auf den vierzehn Tagen. Wiseli wurde herbeigerufen, und der onkel sagte ihm, es solle schnell sein Bündelchen Kleider zusammenpacken, weiter nichts. Wiseli gehorchte. Fragen durfte es nicht, warum. Seit es sein Bündelchen in das Haus gebracht hatte, war gerade ein Jahr vergangen. Es war nichts Neues hinzugekommen als sein schwarzes Röcklein, das hatte es an. Es war aber nun abgetragen und hing wie ein Fetzchen an dem Kind herab. Und Wiseli schaute ein wenig scheu die Frau Oberst an, als es nun mit seinem leichten Bündelchen dastand.