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Kasperle auf Burg Himmelhoch:Fünfzehntes Kapitel „Geh zum Teufel!“
日期:2023-08-01 17:31  点击:213
Kasperle dachte nun, er wäre herzlich befreundet mit dem Herzog. Am nächsten Morgen hatte er daher allen Abendkummer vergessen und er schrie vergnügt, als Veit seine Türe öffnete: „Jetzt will ich dem Herzog guten Morgen sagen.“
 
„Sachte, sachte!“ Veit hielt ihn am Kittelchen fest und sagte warnend: „Tu’s nicht! Die Prinzessin sitzt beim Herzog und redet schlimm von dir; der Herzog ist schon ganz grillig geworden. Lauf lieber zum Marlenchen!“
 
Da lief Kasperle an das Bächlein, fand dort Marlenchen und vertraute der an, daß die böse Prinzessin noch immer nicht abgereist sei.
 
Marlenchen sah ernsthaft drein. „Sie ist wirklich böse, und mein Vater besucht den Herzog auch nicht, solange die Prinzessin da ist. Aber sei nicht traurig! Der Herzog hat doch gesagt, sie reise bald ab.“
 
Und dann vergaßen die Kinder die schlimme Prinzessin. Sie spielten zusammen und Marlenchen lachte wieder hell und froh.
 
Als Kasperle in das Schloß zurücklief, dachte er leichtsinnig: Vielleicht ist sie schon abgereist. Aber die Prinzessin Gundolfine hatte den ganzen Morgen kein Wörtlein vom Abreisen gesagt. Sie saß wieder in einem kornblumenblauen Seidenkleid am Tisch beim Mittagsmahl, und dem Kasperle blieb wirklich ein paarmal der Bissen im Halse stecken, so böse sah sie ihn an.
 
Dazu sah der Herzog auch wieder so verdrießlich drein wie eine Waschfrau, der der Fluß die Wäsche mitgenommen hat. Von Freundschaft war nicht viel zu merken. Und als Kasperle sich nur so viel Pudding nahm, wie gerade noch auf seinen Teller hinaufging, rief die Prinzessin: „Pfui!“ und der Herzog sagte auch: „Pfui!“ Und dann winkte er Veit, und der mußte Kasperle hinausbringen. Aber Veit tat, als verstünde er den Herzog nicht richtig, er nahm den Teller voll Pudding mit, das war ein Trost.
 
Nachher saß Kasperle in seiner Turmstube und schaute trübselig über das Land. Der Haushofmeister hatte ihm nämlich gesagt: „Ausreißen darfst du nicht, sonst merkt der Herzog noch das geheime Türchen, und du bist dann ganz gefangen.“
 
Da blieb Kasperle im Turmzimmer, und weil er vor lauter Langeweile nicht wußte, was er anfangen sollte, stellte er sich vor den Spiegel und schnitt Gesichter. Er dachte: Ich will Prinzessin spielen, und er verzog und verzerrte sein Gesicht immer mehr, und schließlich brachte er es fertig auszusehen wie die Prinzessin, wenn sie freundlich tat, wenn sie weinte, schalt, auch wenn sie Karten spielte. Und als er gerade alle Gesichter konnte, kam Veit und holte ihn. Der Herzog war mit der Prinzessin spazierengefahren, und der gute dicke Oberstallmeister ließ Kasperle zum Schokoladetrinken einladen. Das war fein!
 
Kasperle raste die Treppe hinab und schrie unten laut: „Eingeladen, eingeladen!“ Dabei rannte er beinahe eine alte Frau um, die in der großen Flur stand und mit einem Diener redete. Die Alte sah ihm ganz verdattert nach. „Das — das — ist doch Kasperle!“
 
„Ei freilich, Frau Mummeline!“ antwortete der Diener. „Kennt Ihr ihn denn?“
 
Die base Mummeline aus dem Schulhaus in Waldrast brummte nur: „Hm!“ Bei sich dachte sie: Was, das Kasperle ist hier am Herzogshof! Ei, wie ist denn das zugegangen! Sie war dem Kasperle seit vielen Jahren bitterböse. Einst hatte der im Schulhaus in Waldrast Zuflucht gefunden, und sie hatte sich schwer über den unnützen Schelm geärgert. Und nun lief der hier durch das Schloß, als müßte es so sein. Sie sah, wie ihm ein Diener die Türe aufmachte, wie alle bei seinem Anblick lachten, und da rief sie laut: „Eia, so ein böser Schelm hat es gar zu hohen Ehren gebracht!“
 
Kasperle drehte sich flugs um. Jetzt erst sah er die base Mummeline, er erkannte sie wohl, und flugs schnitt er ihr ein böses Prinzessinnengesicht. Da erschrak die base arg. „Meine Güte,“ brummelte sie, „der kann ja aussehen wie unsere Prinzessin Gundolfine, fast noch greulicher!“
 
Frau Mummeline brachte der Prinzessin alljährlich gute Heilkräuter, die diese gegen allerlei Krankheiten, verdorbenen Magen und schlechte Laune gebrauchte. Für den Magen waren die Kräuter gut, die schlechte Laune dagegen wurde meist noch schlechter. Da nun die Prinzessin ausgefahren war, wollte ein Diener Frau Mummeline ihre Kräuter und Tränklein abnehmen, doch die sagte, nein, sie müsse der Prinzessin alles selbst geben. Also mußte sie warten.
 
Inzwischen saß das Kasperle sehr vergnügt zwischen etlichen Hofherren und spielte Prinzessin Gundolfine. Und weil die alle die böse Prinzessin nicht leiden konnten, lachten sie sehr über das Kasperle, und das Lachen tönte in den Park hinaus, denn der Oberstallmeister hatte seine Fenster offen stehen.
 
Weil aber der Herzog durch den Park heimkehrte, — er war am ersten Parktor schon ausgestiegen — hörten er und die Prinzessin das Gelächter. Die Prinzessin sagte spöttisch: „Dort ist man recht lustig, ich möchte wetten, es ist Kasperle.“
 
„Unsinn,“ rief der Herzog „der ist eingesperrt!“
 
„Nun, wir können ja mal nachsehen, ob es noch im Turm ist, das Kasperle,“ sagte die Prinzessin. Sie trat in die Flur, und dort saß die base Mummeline. Die hatte das letzte Wort gehört und sie knickste sehr tief und sagte: „Mit Verlaub, allergnädigste Prinzessin, das Kasperle ist vor ’ner Stunde hier durchgelaufen und — und —“
 
„Na, was denn?“ fragte der Herzog unwirsch. „Rede Sie doch, was ist ‚und‘!“
 
„Es hat — jemine — es ist schrecklich — aber es hat wirklich ausgesehen wie die Prinzessin.“
 
„Was,“ schrie die Prinzessin, „er erlaubt es sich wieder, mein Gesicht nachzumachen!“ Und geschwind rannte sie die Treppe hinauf, der Herzog lief ihr nach, und beide traten unerwartet in das Zimmer, in dem Kasperle kasperte.
 
Der machte gerade ein Gesicht, wie es die Prinzessin schnitt, wenn von dem Grafen von Singerlingen geredet wurde.
 
„Na, warte du!“ Da war die Prinzessin plötzlich mitten im Zimmer und klatsch, klatsch schlug sie auf das Kasperle ein, und der Oberstallmeister mußte ihr den armen Schelm entreißen, sonst wäre es dem gar übel ergangen.
 
Es war eine schlimme Geschichte! Der Herzog war bitterböse, die Prinzessin war noch bitterböser und der Oberstallmeister sagte, er wolle auch auf sein Gut zurückkehren, so viel schlechte Laune könne er nicht vertragen.
 
Zwei Hofherren sagten das auch, der Herzog wurde zornig, und zuletzt mußte er sich wirklich wieder in das Bett legen und Kamillentee trinken. Und an allem war Kasperle schuld, sagte die Prinzessin. Der Herzog ging darum vorher selbst, schloß Kasperle in den Turm und sagte, morgen werde er streng bestraft, sehr, sehr streng.
 
Da saß nun das Kasperle wieder allein, traurig und voll Angst. Es dachte: Ach, wer hilft mir nur in meiner Not! Wenn sich der Herzog immerzu über mich ärgert, warum läßt er mich nicht frei und sagt, ich möchte zum Teufel gehen!
 
Und wie Kasperle so traurig saß und vor Heimweh nach dem Waldhaus ihm das Herzlein weh tat, hörte er ferne einen Wanderburschen singen. Der kam näher, unter dem Turm blieb er stehen und Kasperle verstand nun, was er sang. Es war ein altes Lied:
„Nur net verzagt!
Bald der Morgen tagt.
Zum guten End’
Sich alles wend’t.
Mußt net greinen,
Mußt net weinen!
Auf Gott vertrau’,
Zum Himmel schau!
Himmelslichter blinken
Und die Englein winken.
Halt nur aus!
Schon nach Haus
Finden ich und du
Einst in guter Ruh,
Einst in guter Ruh.“
 
Der Wanderbursch zog weiter, das Lied verhallte, aber dem Kasperle war es ein rechter Trost gewesen. Er sann nach. Wo hatte er das Lied nur schon gehört? Da fiel ihm die Magd beim dicken Bauer Strohkopf ein. Die hatte an dem Abend, da er mit seinem Michele zur Hochzeit reiste, das Lied halb gesungen. Und dann hatte sie — oh! Kasperle zupfte sich an seiner eigenen Nase — einen wunderbaren Rat hatte sie ihm gegeben. Vielleicht half das Mittel doch.
 
Kasperle blieb am Fenster hocken, bis es dunkel wurde, bis Stern um Stern auftauchte und schließlich alle die lieben Himmelslichter zu sehen waren. Und dann hörte er die Uhr schlagen, lauschte und lauschte, und als es Mitternacht war, erhob er sich leise. Vollmond war freilich noch nicht, aber wenn einer am nächsten Tag streng, sehr streng bestraft werden soll, dann kann er halt auf den Mond nicht warten.
 
Kasperle schlüpfte durch den Schrank, kam auf die Treppe, und dann schlich er sich leise, leise bis an des Herzogs Schlafzimmer. Da mußte er durch ein Vorzimmer gehen, in dem ein Diener schlief. Eigentlich sollte der wachen, er schlief aber und das Kasperle huschte an ihm vorbei. Die Türe zu des Herzogs Zimmer war nur angelehnt. Sie knarrte nicht und Kasperle kam ungehört hinein. Eine kleine Nachtlampe brannte, und in ihrem Schein sah Kasperle den Herzog in seinem Bett liegen. Der schlief pumpelfest, rückte und rührte sich nicht.
 
Ein bißchen bange war es Kasperle schon, aber endlich trat er doch an das Bett, schlug die Decke zurück, packte fest die große Zehe des rechten Fußes und sprach leise: „Sag’: ‚Geh zum Teufel!‘, sag: ‚Geh zum Teufel!‘“
 
Der Herzog zuckte zusammen. Was kniffte ihn denn da so? Er schlief aber weiter und Kasperle kniffte derber und derber und sagte wieder und wieder sein Sprüchlein. „Au!“ Der Herzog fuhr in die Höhe. Was war denn an seiner Zehe? Da sah er das Kasperle stehen und hörte das immerzu sagen: „Geh zum Teufel, geh zum Teufel!“
 
„Au!“ schrie er noch einmal, denn Kasperle kniffte tüchtig, und unwillkürlich wiederholte der Herzog wütend: „Ja, geh zum Teufel, du Strick, du!“
 
„Hurra!“ schrie Kasperle, ließ die große Zehe des Herzogs los und raste hinaus. Er flitzte an dem Diener vorbei, der von dem Geschrei erwacht war, raste hinab durch die große Halle, öffnete flugs eins der Fenster, die nach dem Garten führten, schlug einen Purzelbaum — und draußen war er, über Wege und Beete rannte Kasperle, es war ihm gleich, wohin er trat; er platschte durch das Wässerlein, kletterte auf einen Baum, schwang sich über die Mauer und war draußen, ehe sie im Schloß noch recht wußten, was geschehen war.
 
Der Herzog war ganz munter geworden, und es war ihm eingefallen, er hatte doch gesagt: „Geh zum Teufel!“ Also war das Kasperle frei. Da schrie er, so laut er konnte: „Haltet ihn, haltet ihn!“
 
Der Diener, der jemand aus dem Zimmer hatte huschen sehen, rief um Hilfe. Er dachte, dem Herzog habe gar jemand etwas zuleide getan. Auf sein Rufen kamen andere Diener, Kammerherren, der Haushofmeister, alle herbei; alle fragten, was geschehen sei, der Herzog konnte aber vor Ärger eine ganze Weile kaum schnaufen. Als er endlich erzählte, was geschehen sei, da hopste Kasperle gerade über die Parkmauer.
 
„Man muß ihn verfolgen, ihn fangen, einsperren!“
 
„Mit Verlaub, das wäre aber unrecht,“ sagte der Haushofmeister, der ein ehrlicher Mann war. „Der Herr Herzog hat gesagt: ‚Geh zum Teufel!‘ und da ist Kasperle fort.“
 
Aber davon wollte der Herzog nichts wissen. Er wurde fuchsteufelswild. Der Hauptmann der Landjäger mußte kommen, und der Herzog befahl allen, sie müßten nach Kasperle suchen. Das ganze Schloß geriet in Aufregung, und als die Prinzessin Gundolfine hörte, was geschehen war, vergaß sie, sich vor Ärger ihre Haare aufzusetzen.
 
Fackeln wurden angezündet, die Hunde losgelassen, Landjäger und Diener marschierten auf, und alle schickten sich an, nach Kasperle zu suchen. Zuletzt fiel es dem Herzog noch ein, Kasperle könnte beim Herrn von Lindeneck sein, und er befahl, man solle dort zuerst fragen.
 
Da marschierten mitten in der Nacht mit Bumbum und Trara Landjäger vor Schloß Lindeneck auf, und Marlenchen, die gerade einen lieblichen Traum gehabt hatte, lief erschrocken an das Fenster. Was war denn geschehen?
 
„Kasperle ist verschwunden,“ hörte sie rufen. Da erschrak sie tief in ihrem Herzen. Hatte der kleine Freund wirklich sein Wort gebrochen? Sie schlüpfte rasch in ihre Kleider und lief barfuß die Treppe hinab. Unten stand ihr Vater, der redete mit dem Hauptmann und sagte, daß Kasperle nicht im Schloß sei. Und der Hauptmann erzählte, was eigentlich geschehen war. Auf einmal fragte er: „Haben Sie eine Glocke auf dem Hofe, Herr von Lindeneck?“
 
Der schüttelte den Kopf, aber er horchte verwundert auf. Es war wirklich, als bimmele irgendwo ein Glöckchen, fein und zart. Von dorther klang es, wo der blühende Rosenbusch stand. Und das klang und tönte noch, als die Landjäger schon mit Bumbum und Trara das Schloß verlassen hatten.
 
Da ging der Herr von Lindeneck an den Rosenbusch und fand dort sein Marlenchen sitzen. Das lachte und lachte, hing sich an seinen Hals und rief froh: „Kasperle ist frei! Er hat sein Versprechen nicht gebrochen.“
 
„Wenn sie ihn nicht einfangen, den armen, lieben kleinen Schelm,“ sagte der Herr von Lindeneck. Aber Marlenchen schüttelte den Kopf und sagte geheimnisvoll: „Da suchen sie ihn nicht, wo er hingelaufen ist.“
 
Frau Mummeline aus Waldrast, die im Schloß hatte übernachten dürfen, war gleich zur Prinzessin gelaufen und hatte dort gesagt: „Gewiß ist Kasperle in den Wald hinausgerannt wie damals.“
 
Da schrie die Prinzessin im ganzen Schloß herum, man möchte im Hochwald suchen. Doch der Herzog befahl, überall im ganzen Land und namentlich an der Grenze beim Waldhaus sollten Wächter stehen. Er brummte und schalt ganz schrecklich über Kasperles Davonlaufen, am meisten aber schalt er auf die Prinzessin; die sei an allem schuld, sagte er.
 
Inzwischen hatte Kasperle schon den Wald erreicht. Er schlüpfte in seinem grasgrünen Kasperlekleid durch das Gebüsch, und als er einmal einen Förster daherkommen sah, warf er sich zu Boden und der Mann ging dicht an ihm vorbei und sah ihn nicht. Kasperle rannte, schlug Purzelbäume und gelangte ziemlich rasch an das Waldende. Der Morgen dämmerte schon, rosenrote Wolken segelten lustig am graublauen Himmel dahin, ein schöner Tag stieg herauf.
 
Als Kasperle aus dem Walde trat, sah er das Land schon ganz hell vor sich liegen, er sah aber auch auf dem Stück Landstraße, das er noch bis zu dem Schloß des Grafen von Singerlingen zu gehen hatte, Menschen wandern. In der nahen Stadt war Markt und die Landleute fuhren und trugen ihre Waren dahin.
 
Ein bißchen ungemütlich war das Kasperle, er dachte aber leichtsinnig: Ach was, ich schlupf’ durch! Nun, er wollte gerade wieder seinen flinken Lauf beginnen, als er plötzlich neben sich etwas sehr Verwunderliches erblickte: ein Kasperle, das genau so aussah wie er. Aber es war aus Holz, und Kasperle erkannte es gleich, das hatte der gute Meister Friedolin geschnitzt. Unter der Kasperlefigur war eine Schrift zu lesen, und weil das Lesen Kasperles schwache Seite war, dauerte es ziemlich lange, bis er die Worte entziffert hatte. Dann aber riß er freilich auch seinen Mund sperrangelweit auf. Da stand nämlich: Wer einen kleinen Buben findet, der so aussieht, der soll ihn eiligst fangen und dem Herzog August Erasmus abliefern.
 
Potzhundert, das war eine Geschichte! Kasperle war so verdonnert, daß er gar nicht die Schritte hörte, die sich ihm nahten, und dann fiel er vor Schreck platt um, als jemand zu ihm sagte: „Na, Kasperle, was sagst du denn dazu?“
Es war der Kasperlemann, der so redete. Der Kasperlemann, der ihn immer verfolgt hatte.
 
Kasperle schnappte vor Angst, als wäre er ein Fischlein, das man auf ein Sofa gelegt hat.
 
„Du bist wohl ausgerissen?“ fragte der Kasperlemann lächelnd.
 
„Er hat’s gesagt, ich durfte,“ schrie Kasperle in seiner Angst.
 
„Du, schrei nicht so! Komm ein wenig unter den großen Baum, da, wo mein Karren steht!“ sagte der Kasperlemann. „Wenn dich Leute sehen, kann’s dir schlecht gehen.“
 
„Er hat’s doch gesagt!“ stöhnte Kasperle.
 
„Wer hat was gesagt?“
 
„Der Herzog! Ich solle zum Teufel gehen. Und nun bin ich frei.“ Dem Kasperle rollten vor Angst dicke, dicke Tränen über seine Backen und der Kasperlemann sagte mitleidig: „Armes Kasperle! Wenn er dich fängt, läßt er dich doch nicht frei. Aber ich will dir helfen, denn du hast mir auch geholfen, damals, als ich mich zu einer sehr schlechten Tat habe verleiten lassen. Ich habe versprochen, es dir nie zu vergessen. Krieche mal vorläufig flink in meinen Karren! In der Ferne kommen Landjäger.“
 
Da war Kasperle flinker im Karren, als die Landjäger ritten. „Verstecke dich nur tief hinein!“ sagte der Kasperlemann. „Und wohin willst du eigentlich? Über die Grenze am Waldhaus kannst du doch nicht laufen!“
 
„Zum Grafen von Singerlingen, der hilft mir schon,“ murmelte Kasperle.
 
„Heiho, Kasperlemann,“ rief da ein Landjäger, „mit wem redest du denn da?“
 
„Na, mit meinem Kasperle, wie’s halt ein Kasperlemann tut,“ antwortete der. „Ich will zum Herrn Grafen von Singerlingen und fragen, ob ich heute dort nicht einmal kaspern kann.“
 
„Hei, wir suchen auch ein Kasperle!“ antworteten die Landjäger, die näher gekommen waren und nun den ganzen Wagen umstanden. „Aber nicht so ein hölzernes Ding wie deine Kasperles, ein richtiges lebendiges Kasperle, das dem Herzog August Erasmus gehört und ihm ausgerissen ist. Wir müssen aber weiter, sonst läuft der Schelm gar noch über die Grenze.“
 
„Viel Glück auf den Weg!“ rief der Kasperlemann den Landjägern nach. Dann hockte er sich lachend neben seinen kleinen Karren hin und redete hinein: „Nun, warten wir noch, bis die Landjäger am Schloß vorbei sind! Dann fahre ich dich hin.“
 
Dem Kasperle war es trotz der guten Worte doch recht bänglich ums Herz. Es traute dem Kasperlemann noch immer nicht recht, und als der mit seinem Eselswagen losfuhr, seufzte und stöhnte er jämmerlich. Der Mann hörte es, und der Esel hörte es; der Kasperlemann lachte ein wenig über den furchtsamen Schelm, der Esel aber, weil er eben ein Esel war, fing ein schreckliches Gerase an vor Angst. Rumpelpumpel, hoppedihopp ging es die Landstraße entlang, der Kasperlemann mußte springen, um nur mitzukommen. Ruck, schubb, hopsassa! Innen im Wäglein purzelten das lebendige Kasperle und sein hölzerner Gefährte durcheinander, schön war es gerade nicht.
 
Aber auf einmal hielt der Wagen mitten aus dem Hof des Grafen von Singerlingen. Der wollte just in seinen Garten gehen und spazierte gerade über den Hof. Da sah er den Kasperlemann, und weil er ein freundlicher Herr war, blieb er stehen und fragte: „Was willst du denn?“
 
„Ich bringe Kasperle,“ antwortete der Mann.
 
Da streckte auch schon Kasperle seine große Nase heraus und sagte kläglich: „Jemine, jemine, der dumme Esel!“
 
„Na nu, wen meinst du denn? Woher kommst du überhaupt?“
 
„Den da.“ Kasperle hob sein Fingerlein, deutete auf den Esel und fügte etwas bedrückt hinzu: „Der Herr Herzog hat gesagt, ich soll zum Teufel gehen, und da bin ich hierher gekommen.“
 
„Ei, du bist ja recht freundlich!“ rief der Graf. „Hältst du mich gar für den Teufel?“
 
„Nä!“ Kasperle grinste, und dann kletterte er ganz aus dem Wäglein, faßte zutraulich des Grafen Hand und bettelte: „Gelt, du hilfst mir?“
 
„Das schon, aber erst muß ich wissen, wie sich das mit dem Zum-Teufel-Gehen verhält. Hat das der Herzog wirklich gesagt?“
 
Kasperle nickte, und dann erzählte er treuherzig, wie er den Herzog dazu gebracht hatte.
 
„Ei, du Schelm, du!“ Der Graf lachte herzhaft. „Da kann ich mir denken, daß der Herzog dein Ausreißen nicht gelten lassen will. Er mag sich recht ärgern.“
 
„Aber er hat’s doch gesagt!“ Kasperle schaute kläglich drein, er fand, gesagt war gesagt. Und das fand auch der Graf von Singerlingen, gesagt war gesagt. Also durfte das Kasperle schon ausreißen, und er versprach ihm seine Hilfe. „Ich fahre dich ins Waldhaus,“ versprach er.
 
„Aber an der Grenze wird’s bös,“ erwiderte der Kasperlemann.
 
„Bah, in meinem Wagen sucht niemand nach!“ Der Graf befahl gleich das Anspannen, ließ im Wagen die Fenster verhängen, und dann ging die Reise los. Oben blies ein Diener ins Horn: „Trarira, Trarira!“ und lustig liefen die Pferde die Landstraße entlang.
 
„Hei, da fährt der Graf von Singerlingen!“ sagten die Leute, und weil sie den Grafen gern hatten, nickten und winkten sie und riefen: „Guten Tag!“ und „Glückliche Reise!“
 
Ein Städtchen kam. „Trarira, trarira!“ rasselte der Wagen hindurch. Vor einem Wirtshaus saßen Landjäger, die hatten ein hölzernes Kasperle aufgestellt und sie riefen: „Wer einen findet, der so aussieht, der soll ihn festhalten; er bekommt eine große, große Belohnung.“
 
„Trarira, trarira!“ Der Wagen des Grafen von Singerlingen rollte vorbei. Niemand sah hinein, niemand vermutete das Kasperle drin.
 
Dörfer kamen, wieder eine Stadt, dann wieder ein Dorf. Und als Kasperle in seiner Nähe einmal ein bißchen hinaussah, prallte er erschrocken zurück. Jemine, das war ja Protzendorf!
 
Auf einem Felde stand eine Magd. Ihr Haar glänzte in der Sonne wie lauteres Gold, sie schwang ihre Sichel und sang dazu. Hell tönte ihre Stimme und Kasperle sagte leise: „Das ist die Dörte vom Bauer Strohkopf.“
 
„Ach so, die das Lied gesungen und dir den vortrefflichen Rat gegeben hat!“ antwortete der Graf. „Na, warte, sie soll sich heute noch freuen!“ Er ließ halten und fragte die Magd, ob sie ihm wohl etwas zu trinken bringen könnte.
 
Dörte lief eifrig und holte aus einem nahen Quell Wasser für den Grafen und der sagte: „Halte beide Hände auf!“ Und er schüttelte Goldstücke in die ausgebreiteten Hände und rief: „Das ist für den guten Rat, den du Kasperle gegeben. Nun, Kutscher, fahr’ zu!“
 
„Trarira, trarira!“ Da kam die Grenze. Dort standen gleich vier Landjäger, die riefen alle vier: „Hier darf niemand vorbei!“
 
„Ei, potz Wetter!“ rief der Graf von Singerlingen, „wer will mich nicht vorbeilassen? Ja, das wäre ja eine neue Mode!“
 
„Wir sind der Graf von Singerlingen,“ schrie der Kutscher, und der Diener blies so laut „trarira, trarira!“ daß die Landjäger ganz erschrocken zurückwichen.
 
Und da war die Grenze und da rollte der Wagen darüber, und da — steckte das Kasperle seine freche Nase zum Wagenfenster hinaus.
 
„Kasperle, Kasperle!“ schrien die Landjäger. „Ganz gewiß, er war es!“
 
Aber der Wagen war vorüber, der rollte durch den Wald, rollte auf dem weichen Boden dahin, und auf einmal war das Waldhaus da und — vor dem Waldhaus saßen Meister Friedolin, Mutter Annettchen, die schöne Frau Liebetraut und Herr Severin mit ihren Kindern.
 
Ganz wunderhold aber saßen da auch Rosemarie und der Geiger Michele. Die waren just zu Besuch in das Waldhaus gekommen. Und gerade hatten sie alle von Kasperle gesprochen, als der Wagen hielt und das Kasperle mit einem großen Satz heraussprang. „Er hat gesagt, ich soll zum Teufel gehen, hurra, hurra!“ schrie er, „ich bin frei, ich bin frei!“
 
Auch der Graf von Singerlingen stieg aus, und als er das Waldhaus sah, uralt und putzniedlich, da sagte er, er könne schon begreifen, daß Kasperle so gern hier sei, lieber als im Herzogsschloß.
 
Der Graf trank mit Kaffee und aß von dem Kuchen, den die schöne Frau Liebetraut gebacken hatte. Dann sah er sich Meister Friedolins Kasperlepuppen an, fand eine, die so groß wie das Kasperle selbst war, und meinte, die möchte er wohl dem Herzog mitbringen. Meister Friedolin gab sie ihm gern. Der Graf stieg wieder in den Wagen und versprach Kasperle, er wolle das Marlenchen grüßen, vielleicht dürfe ihn die Kleine einmal besuchen. Dann ging es fort mit Trarira, und als der Wagen an den Landjägern vorbeikam, ließ der Graf das hölzerne Kasperle hinausgucken. Da sagten die Landjäger verdutzt zueinander: „Er bringt es ja wieder mit!“
 
Auch auf dem Herzogsschloß riefen die Diener zuerst alle: „Der Graf von Singerlingen bringt Kasperle!“
 
„Hach,“ schrie die Prinzessin, „er will mich gewiß heiraten! Flink, flink, ich will mein allerschönstes Kleid anziehen!“
 
Doch der Graf wollte die Prinzessin nicht heiraten, und das richtige Kasperle brachte er auch nicht mit. Er sprach nur lange und ernsthaft mit dem Herzog, und da sagte der, er wolle das Kasperle nie mehr verfolgen, auch nicht, wenn es das Marlenchen besuchen würde. Ja, zuletzt schrieb der Herzog sogar einen Brief, in dem stand, Kasperle solle nicht eingesperrt und bestraft werden, wenn er in des Herzogs Land käme.
 
Als der Graf von Singerlingen gerade das Schloß verlassen wollte, traf er die Prinzessin, sehr schön angetan, auf der Treppe. Der hielt er den Brief vor die Nase und die Prinzessin wurde ganz gelb vor Ärger und sie rief eiligst nach ihren Kammerfrauen, die sollten ihre Sachen packen, sie würde nicht mehr wiederkommen.
 
Der Graf von Singerlingen reiste ab, er fuhr zu Marlenchens Vater und lud Marlenchen zu sich ein; sie sollten vier Wochen lang mit Kasperle zusammen bei ihm bleiben.
 
Auch die Prinzessin reiste ab und der Herzog blieb allein in seinem Schloß. Da spürte er erst, wie lustig es doch mit dem Kasperle gewesen war. Er stieg hinauf auf den Turm, sah aus Kasperles Zimmer über das weite Land hin, und er dachte an das kleine Waldhaus, von dem Kasperle ihm erzählt hatte, an die glücklichen Menschen, die dort wohnten, und das Herz wurde ihm sehr, sehr schwer. Warum ist nur das Kasperle nicht bei mir geblieben? dachte er. Und da war es ihm auf einmal, als riefe in seinem Herzen eine Stimme: Du bist schuld, du bist schuld!
 
Der Herzog seufzte. War er wirklich schuld daran? Er mußte daran denken, wie oft er schlechter Laune war, unfreundlich gegen seine Untergebenen, mürrisch, hart, und das arme kleine Kasperle hatte er eingesperrt hier in dem Turm, hatte es auch hungern lassen und nicht bedacht, daß eben ein Kasperle ein Kasperle bleibt und Gesichter schneiden und unnütze Streiche machen muß. Und nun hatte er das Kasperle verloren, das so lustig durch das Schloß geflitzt war, und eigentlich hatte das Kasperle ihm doch etwas sehr Gutes angetan, es hatte ihm seinen Glücksring zurückgebracht.
 
Da stand der Herzog plötzlich wieder auf und stieg in sein Arbeitszimmer hinab. Dort setzte er sich hin und schrieb einen Brief.
Am nächsten Tag, als Kasperle sehr vergnügt vor dem Waldhaus sich herumkugelte, kam auf einmal ein Reiter dahergeritten. Der rief schon von großer Weite: „Hollahe, Kasperle, Kasperle!“
 
Na, da blieb dem Kasperle aber doch der Mund offen stehen! Denn der Reiter war niemand anders als Veit. Der hielt einen großen Brief und sagte: „An dich, Kasperle, vom Herzog!“
 
Es war gut, daß das Michele zur Hilfe kam und den Brief lesen half, allein hätte Kasperle es wohl gar nicht fertig gebracht. Der Brief aber lautete:
 
Mein liebes Kasperle!
 
Ich bin dir gar nicht mehr böse, und ich lade dich ein, mich recht, recht bald zu besuchen. Du sollst so viel Spaß machen können, wie du willst, und die Prinzessin Gundolfine darf dich nie wieder verklagen.
 
Mit einem schönen Gruß für dich, mein liebes Kasperle,
 
Dein Freund Herzog August Erasmus.
 
Hurra! hurra! Kasperle stand flink mal Kopf vor Vergnügen, und dann lief er in das Haus hinein, purzelte in die Stube und schrie: „Ich bin eingeladen, eingeladen, eingeladen!“
 
„Jemine! Von wem denn?“ fragte Meister Friedolin.
 
Da stellte sich Kasperle feierlich hin und sagte stolz: „Vom Herzog, der ist jetzt mein Freund.“
 
Aber ach, mit der Freundschaft war es gar nicht weit her! 

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