Es regnete. Es regnete sogar schon seit Tagen und es wollte einfach nicht aufhören. Bei diesem Wetter wollte man nicht mal einen Hund vor die Tür scheuchen. Nur Papa und Sofie waren auf dem Gehweg unterwegs. Sie waren auf dem Heimweg.
Sofie lachte die ganze Zeit über und ließ es sich nicht nehmen, mit ihren dicken Gummistiefeln in jede Pfütze zu hüpfen.
»Papa, das macht riesig Spaß. Probier das doch auch mal aus.«
Doch dann blieb sie plötzlich stehen. Sie hockte sich hin und bestaunte etwas Kleines vor ihren Füßen.
»Ui, was ist denn das?«, fragte sie neugierig.
Papa kam näher und sah ebenfalls auf das kleine Etwas.
»Das ist nur ein Regenwurm.«, erklärte er.
»Warum heißt der Regenwurm eigentlich Regenwurm?«, fragte Sofie neugierig.
Papa kratzte sich am Kinn. Er dachte noch nach.
»Das ist eine sehr gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von einem Regenwurm. Und die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«
Es war einmal ein Peter. Peter war ein Wurm, dem es nicht reichte, seine Gänge in der Erde zu graben. Er wollte die große weite Welt bereisen, sich ferne Länder anschauen und und etwas anderes sehen, als jeden Tag die Dunkelheit im Untergrund.
»Ich werde eine Reise machen.«, sagte sich Peter.
Aus dem Schrank holte er seinen Rucksack hervor, den er bis zum heutigen Tag noch nie benutzt hatte. Dort hinein packte er alles, was er vielleicht brauchen konnte. Eine große Taschenlampe, ein Taschenmesser, ein Taschentuch, eine Taschenuhr und ein Taschenbuch gegen Langeweile. Gut gerüstet machte sich der Wurm auf den Weg nach oben.
Neugierig bohrte er sich vorsichtig durch den Boden und erblickte das erste Mal in seinem Leben die warme Sonne, eine grüne Wiese und viele bunte Blumen in allen Farben, die man sich nur vorstellen konnte.
»Oh, wie schön es doch hier oben ist. Das Paradies könnte nicht schöner sein.«
Doch dann bebte der Boden um ihn herum und vier Beine liefen nur knapp an Peters Kopf vorbei.
»Hilfe! Zu Hilfe!«, rief er panisch und hatte Angst um sein Leben.
Ein großes, behaartes Tier war es gewesen. Laute, bellende Geräusche gab es von sich und trottete weiter, als habe es den Wurm gar nicht gesehen.
»Pass doch besser auf, wo du hin gehst. Hier sind noch andere Leute auf der Wiese.«
Aber das Tier hörte gar nicht zu.
Peter kletterte langsam aus seinem Loch heraus. Dieses Mal sah er sich aber genau um. Seine Augen sahen nach links, nach rechts, nach vorn und auch nach hinten. Neue Gefahren waren nicht in Sicht.
»Schön, dann kann ich ja endlich die Welt bereisen und mir alles anschauen.«
Doch hatte er sich zu früh gefreut. Wie aus heiterem Himmel ertönte ein schriller Ton von oben. Ein schreckliches Wesen, das am ganzen Körper Federn hängen hatte, stürzte sich auf den Wurm herab. Ein spitzer Schnabel war bereit, ihn zu fressen.
»Hilfe!«
Peter kroch schnell zurück in seine unterirdischen Gänge. Hinter sich schloss er sofort das Loch nach oben. Dann atmete er erst einmal durch.
»Was ist das nur für eine gefährliche Welt? Das habe ich mir aber anders vorgestellt.«
Eigentlich wollte er seine Reisepläne fallen lassen, aber die Neugier war größer. Der Wurm öffnete ein weiteres Mal einen Durchgang zur Wiese und sah sich nun ganz vorsichtig um. Nun entdeckte er überall Gefahren. Riesige Zweibeiner liefen hin und her, setzten sich einfach auf den Rasen und zerdrückten mit ihren Hintern alles, was nicht schnell genug flüchten konnte.
»Was mache ich nur? So werde ich niemals etwas erleben.«
Peter war enttäuscht und verkroch sich erneut. Doch dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Aus allen Richtungen hörte er plötzlich klopfende Geräusche.
»Nanu? Was ist denn das?«
Ein letztes Mal streckte er seinen Kopf nach draußen. Es fielen unzählige Wassertropfen vom Himmel. Und wer hätte es gedacht, die schrecklichen Wesen und Tiere verschwanden. Sie liefen fort und versteckten sich. Es schien, als hätten sie Angst vor den Tropfen.
»Ihr seid mir aber feine Monster.«, lachte Peter.
Dann setzte er sich einen Hut auf den Kopf und kroch auf die Wiese. Bei diesem Wetter konnte er sich ganz in Ruhe umschauen und die Welt bereisen. Nun lauerte ihm niemand mehr auf. Alle Gefahren waren auf und davon.
»So werde ich es nun immer machen.«, sagte sich Peter.
»Wenn Wassertropfen vom Himmel fallen, werde ich durch die schöne Welt reisen. Wenn der Regen dann aufhört, verstecke ich wieder unter der Erde.«
Und so lebte der Wurm glücklich weiter und entdeckte immer wieder neue schöne Dinge.
Sofie sah Papa mit großen Augen an.
»Und so ist der erste Regenwurm entstanden?«
Papa nickte ernst und nahm seine kleine Tochter an die Hand.
»Und nun gehen wir weiter. Bei dem Regen gefällt es mir zu Hause doch viel besser.«
Sofie folgte ihm. Als ich mit ihren großen Gummistiefeln in eine Pfütze hüpfte, musste sie laut lachen.
»Die Geschichte war prima, aber ich glaube dir davon kein einziges Wort.«
Papa seufzte. Hatte sie ihn schon wieder beim Schwindeln erwischt.