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Der Trotzkopf-110
日期:2023-02-24 12:44  点击:205
»Was für eine Waldblume meinst du, Tante Rat?« fragte der junge Mann etwas erstaunt und sah mit seinen [pg 223]offenen, klugen Augen die Angeredete, die sehr schnell und mit lebhaften Gesten gesprochen hatte, an. »Von wem sprichst du?«
 
»Von ihr – von ihr!« rief sie zurück. »Von Ilse, die ihr erwartet,« wollte sie eigentlich sagen, aber der Name fiel ihr im Augenblick nicht ein; das betäubende Läuten der Glocke, die das Zeichen zur Abfahrt gab, machte sie nervös und verwirrte sie, es kam noch hinzu, daß der junge Mann ihren Worten wenig Aufmerksamkeit schenkte und immer auf dem Sprunge stand, sie zu verlassen.
 
»Ich muß dich verlassen, Tante!« sagte er denn auch, »ich muß mich nach einem Kinde umsehen, das ich mit diesem Zuge erwarte –«
 
»Sie ist es! Sie ist es!« rief sie lebhaft, aber er hörte ihre Worte nicht mehr, sondern von neuem ging er suchend den Zug entlang.
 
»Haben Sie ein allein reisendes Kind bemerkt – und ist dasselbe vielleicht hier ausgestiegen?« fragte er einen Schaffner.
 
»Nein!« antwortete dieser und schwang sich auf seinen hohen Sitz hinauf, denn der Zug setzte sich langsam in Bewegung.
 
Als Frau Rat an ihm vorüberfuhr, rief sie ihm einige Worte zu, leider vergeblich, er verstand sie nicht.
 
Assessor Gontrau blieb stehen, etwas ratlos und nachdenklich. Der Oberamtmann Macket hatte seinen Vater gebeten, daß er sofort bei Ilses Ankunft telegraphieren möge, ob sie glücklich angekommen sei. Was sollte er jetzt thun? Es blieb ihm nichts andres übrig, als eine Depesche abzusenden mit den Worten: »Nicht angekommen!«
 
Eben im Begriffe, sich zu diesem Zwecke in das Bureau zu begeben, fiel sein Blick auf einen Brief, der auf der Erde dicht vor ihm lag. Er hob ihn auf und las die Aufschrift auf dem geöffneten Kouvert. Nicht wenig erstaunte er, als [pg 224]er die Adresse las: »Fräulein Ilse Macket,« – sonderbar! Der Schaffner und die Leute hier haben kein Kind aussteigen sehen und doch muß es angekommen sein!
 
»Wissen Sie nicht, wer den Brief verloren hat?« wandte er sich an eine Frau, die einen kleinen Obststand in der Nähe hatte.
 
»Gesehen habe ich es gerade nicht,« meinte die, »aber ein junges Fräulein mit Locken hat ihn gewiß mit aus der Tasche gezogen. Ich sah, daß sie etwas herausnahm. Die dort war es,« unterbrach sie sich plötzlich und zeigte auf Ilse, die um das ganze Haus gegangen war und von der entgegengesetzten Seite gerade hervortrat, als der Zug abfuhr.
 
Ihre alte Freundin grüßte noch einmal zärtlich zum Fenster hinaus, machte auch allerhand bedeutungsvolle Zeichen, winkte nach der andern Seite zu Leo hinüber, – Ilse verstand nichts von allem.
 
Höchst unglücklich stand sie da und blickte dem Zuge nach, der ihre einzige Bekannte hier in die Ferne führte. »Nun bin ich verlassen!« sprach sie für sich, »was soll ich nun anfangen!« Es war merkwürdig, wie ihre mutige Sicherheit ein so schnelles Ende genommen hatte. – Wie recht hatte Fräulein Güssow mit ihrer Besorgnis! Auf diesen Fall war sie gar nicht vorbereitet! Was sollte sie nun beginnen? Am liebsten hätte sie wie ein kleines Kind angefangen zu weinen, sie schämte sich nur vor dem jungen, blonden Postbeamten, der zu einem Parterrefenster hinauslehnte und sie neugierig beobachtete.
 
Aus ihrer peinlichen Ratlosigkeit schreckten sie plötzlich eilige Schritte auf und gleich darauf erfolgte die Anrede: »Gnädiges Fräulein, ich bitte um einen Augenblick!« 

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