»Thut nix!« erwiderte Nellie, »man muß mit weniges auch zufrieden sein!«
»Bitte, bitte – wartet einen Augenblick!« rief es plötzlich hinter ihnen.
Annemie war es, die in voller Eile allen nachgelaufen kam. »Ich bin noch nicht ganz fertig,« fuhr sie atemlos fort, »ich kann aber nichts dafür! Als ich mein Kleid überzog, riß ein Band irgendwo, – nun hängt der eine Zipfel vom Ueberwurfe bis auf die Erde. Bitte, seht einmal nach!«
Alle waren stehen geblieben und betrachteten Annemie. Nellie, praktisch wie immer, untersuchte gleich, wo der Schaden saß.
»Komm her,« sagte sie, »ich werde dir ausbessern. Aber ein Nadel und Faden muß ich haben, dann nähe ich dir gleich mit weniger Stich in Ordnung.«
»Sei nicht umständlich,« meinte Flora. »Hier hast du eine Stecknadel, damit wirst du es ebenso gut machen können. Wie manchmal habe ich mir schon ein Band oder einen kleinen Riß schnell mit der Nadel gesteckt.«
Aber davon wollte die Engländerin nichts wissen. Sie nahm Annemie mit in ihr Zimmer und nähte die wenigen Stiche.
»Bitte, liebe, gute Nellie, mir ist hier am Aermel ein Endchen Spitze abgerissen, willst du mir nicht die gleich annähen? Du bist auch ein Engel!«
Nellie brachte auch diesen Schaden in Ordnung, und als sie fertig war, zupfte sie an Annemie hier und dort zurecht, nichts saß an der kleinen, runden Lachtaube, wie es sitzen mußte. Die Handschuhe waren nicht zugeknöpft, die Halskrause saß schief und an dem halbhohen Lackschuh fehlte ein Knöpfchen.
»Du bist aber ein sehr unordentlich’ Mädchen, liebes Lachtaube,« schalt Nellie, »aber ich kann dich nicht helfen, du [pg 153]mußt mit deiner abgerissener Knopf gehen. Es schlägt sechs, wir müssen pünktlich erscheinen.«
Die übrigen Mädchen hatten an der Treppe gewartet, jetzt gingen alle zusammen hinunter und an der Thür des Saales blieben sie stehen, sie hatten mit einem Male keinen Mut, hineinzugehen.
»Ich höre sprechen,« sagte Orla gedämpft, »ich glaube, die Herren sind schon da.«
Sie legte das Ohr an die Thür und horchte.
»Wirklich, sie sind da!« bestätigte sie.
»Lass’ mich durchs Schlüsselloch sehen, Orla,« bat die neugierige Flora und schob die erstere leicht beiseite.
Sie beugte den Kopf, als sie das Auge an die Thür legen wollte, packte Grete der Uebermut, so daß sie Flora einen Stoß gab und diese mit dem Haupte gegen die Thür flog. Das war ein Schreck! Wie der Wind flogen alle bis an das andre Ende des Vorsaals, – wenn Fräulein Raimar das Geräusch gehört hätte! »Dann sind wir einfach furchtbar blamiert,« erklärte Melanie und schalt Grete albern und ungezogen.
»Du bist ein Tollpatsch, Grete, im höchsten Grade ungebildet!« sagte Flora entrüstet, und Annemie lachte, daß ihr die hellen Thränen über die Wangen liefen.
»Sei mir nicht böse, daß ich dich auslache, Flora,« sagte diese, »aber ich kann nicht anders. Du sahest zu komisch aus und machtest ein so entsetztes Gesicht, als du mit deinem griechisch frisierten Kopf gegen die Thür flogst.«
Fräulein Raimar hatte wirklich ein Klopfen an der Thür vernommen, sie öffnete dieselbe, und als sie die Mädchen stehen sah, rief sie ihnen zu, sich zu beeilen.