»Wohnt es im Himmel?« fragte Lilli. »Schau, da möcht’ ich halt auch wohnen, da ist’s schön, nit? Da singen [pg 132]die lieben Englein, und die lieben Englein, die wohnten früher auf der Erde, das waren die artigen Kinder, nit? – Der liebe Gott hat sie in sein Himmelreich geholt, nit wahr, Ilse?«
Die Worte des Kindes riefen sentimentale Ahnungen in Flora hervor, sie war auch im Begriff, dieselben auszusprechen, als Nellie ihr das Wort abschnitt.
»Was schwatzt der kleine Kind für Zeug?« sagte sie und streichelte liebkosend Lillis Hand. »Wo hast du dies gehört? Keiner Mensch hat noch in der Himmel geschaut.«
»Aber die Mama hat’s gesagt, – sie weiß es, nit wahr, Ilse?« rief Lilli heftig.
Die gab ihr keine Antwort darauf, sie versuchte, das Kind auf andre Gedanken zu bringen.
»Möchtest du wieder zu deiner Mama?« fragte sie.
»Nein,« entgegnete Lilli, »ich bleib’ lieber bei euch. Die Mama kümmert sich halt so wenig um mich, sie hat kein’ Zeit. Sie muß immer studieren,« setzte sie altklug hinzu. »Alle Abend geht sie ins Theater.«
»Denn es kümmert sich ka Katzerl – ka Hunderl um mi!« recitierte Flora schwärmerisch.
»Komm zu mir, Lilli,« bat Melanie, »ich will dir eine herrliche Weihnachtsgeschichte erzählen.«
»Bitt’, bitt’, laß mich bei Ilse bleiben, Melanie, ich will ganz gewiß recht genau zuhören auf dein G’schicht.«
Und während Melanie ihre Erzählung zum besten giebt, wollen wir einen Blick in den Weihnachtssaal werfen.
Die beiden Damen waren so ziemlich fertig mit ihrer großen Arbeit. Fräulein Güssow war dabei, noch einige versiegelte Pakete auf verschiedene Plätze zu verteilen. Es waren in denselben die Geschenke enthalten, welche die junge Welt sich untereinander bescherte. Der Name der Empfängerin war darauf geschrieben, die Geberin mußte erraten werden.
Fräulein Raimar stand neben dem Gärtner, der eifrig beschäftigt war, die angekommenen Kisten zu öffnen, die Deckel [pg 133]wurden lose wieder darauf gelegt, denn das Auspacken besorgten die Empfängerinnen selbst.
Nur mit Lilli wurde eine Ausnahme gemacht, Fräulein Raimar packte deren Kiste aus und schüttelte den Kopf, als sie damit beschäftigt war.
»Sehen Sie nur den Tand, liebe Freundin,« sagte sie. »Nicht ein vernünftiges Stück finde ich dabei. Zwei weiße Kleider, so kurz, daß sie dem Kinde kaum bis an die Knie reichen, aber schön gestickt, hier eine breite rosa Atlasschärpe, ein kleiner Hermelinmuff, ein Paar feine Saffianstiefel und eine Puppe im Ballstaat. Und vieles Zuckerwerk – das ist alles! Warme Strümpfe und eine warme Decke, um die ich so sehr gebeten, und die dem Kinde so nötig sind, – sie fehlen ganz.«
»Hier scheint ein Brief für Sie zu sein,« sagte Fräulein Güssow und nahm ein duftiges rosa Billet von der Erde auf. Wahrscheinlich war dasselbe aus dem Muff gefallen, den die Vorsteherin noch in der Hand hielt. Sie erbrach das an sie gerichtete Schreiben und las wie folgt:
»Ich ersuche Sie freundlich, meiner Lilli die Kleinigkeiten unter den Baum zu legen. Hoffentlich ist das liebe Herzl recht gesund. Nun ich hab halt nit nötig, mich zu sorgen, weiß ich doch das goldene Fischel in so gute Händ! – Wollne Strümpf und a Jackerl hab i halt nit mitgeschickt, i wünsch das Kind nit zu verwöhnen. Es soll immer a weiß Kleiderl anziehn, – Hals frei und Arme frei, – so ist sie’s gewohnt, und dabei möcht ich’s halt lassen.
Geben Sie mein Herzblatterl tausend Schmazerl, und daß es die Mama nit vergißt!
Mit dankbaren Grüßen verbleib ich
Ihre
ergebene Toni Lubauer.«